Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht, Alexander Bredereck Berlin und Essen, zum Urteil des Arbeitsgerichts Aachen (ArbG Aachen, Urteil vom 16. Januar 2014 – 1 Ca 3163/13 -, juris).
Ausgangslage:
§ 1 Abs. 5 KSchG sieht vor, dass, sofern bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind, vermutet wird, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Für die betroffenen Arbeitnehmer ist dies äußerst misslich, da die Abwehrmöglichkeiten der betriebsbedingten Kündigung dadurch eingeschränkt sind. Die Sozialauswahl kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden Die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses wird sich daher unter anderem auf eine Infragestellung der Namensliste konzentrieren.
Fall:
Im zu Grunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber einen so genannten Standortsicherungstarifvertrag geschlossen. Dieser sah als eine der Gegenleistungen des Arbeitgebers den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen während der Laufzeit vor. In einem Folgetarifvertrag wurde dann auf den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen verzichtet. Zuvor hatte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat bereits einen Interessenausgleich im Zusammenhang mit der geplanten Kündigung von Mitarbeitern geschlossen und Kündigung ausgesprochen.
Ein Arbeitnehmer klagte gegen die Kündigung. Im Kündigungsschutzprozess berief sich der Arbeitgeber auf den Interessenausgleich und die Namensliste.
Entscheidung:
Das Arbeitsgericht sah den Interessenausgleich als unwirksam an. Der zu diesem Zeitpunkt noch in Kraft befindliche Standortsicherungstarifvertrag habe als höherrangiges Recht Vorrang. Da der Interessenausgleich gegen das dort zementierte Kündigungsverbot verstieß, war er unwirksam. Als Betriebsvereinbarung darf der Interessenausgleich für seine Rechtswirksamkeit u. a. – wie jede Betriebsvereinbarung – nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Ein bereits erworbener tariflicher Sonderkündigungsschutz kann durch eine Betriebsvereinbarung nicht entzogen werden (Kania, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Auflage 2012, § 77 BetrVG, Rn. 38; Fitting, § 77 BetrVG, Rn. 61).
Pikant: Die Tarifvertragsparteien hatten eine rückwirkende Geltung des neuen Tarifvertrags, der den Standortsicherungstarifvertrag mit dem Kündigungsausschluss ablösen sollte, vereinbart. Leider hatten sie das beabsichtigte Datum der Rückwirkung aber um einen Tag verfehlt. Die Rückwirkung wurde für den 1.8.2013 vereinbart. Der Interessenausgleich war aber am 31.7.2013 geschlossen worden.
Fazit: Seitens des Arbeitgebers mit Sicherheit sorgfaltswidrig. Seitens der übrigen Parteien vielleicht auch oder möglicherweise besonders schlau? Die betroffenen Arbeitnehmer können sich jedenfalls freuen.
Fachanwaltstipp Arbeitnehmer:
Der vorliegende Fall zeigt einmal mehr, dass auch im Falle eines Interessenausgleichs mit Namensliste eine Kündigungsschutzklage in jedem Fall erhoben werden sollte. Es kann noch sehr viel anderes schief gehen. Selbst wenn der Interessenausgleich mit Namensliste nicht erfolgreich angegriffen werden kann, auch die Nichteinhaltung anderer Formalitäten (Betriebsratsanhörung) kann die Unwirksamkeit der Kündigung begründen. Zweifel an der Wirksamkeit sind im Rahmen der Abfindungsverhandlungen Geld wert.
Gesetz:
§ 1 Abs. 5 KSchG
Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.
Quelle:
ArbG Aachen, Urteil vom 16. Januar 2014 – 1 Ca 3163/13 -, juris
14.3.2014
Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen.
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