Unwirksame Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Vorlage eines Dr.Ansay-Coronatestzertifikats

Unwirksame Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Vorlage eines Dr.Ansay-Coronatestzertifikats

Arbeitsgericht Bochum, Urteil vom 05.08.2022 – 5 Ca 325/22

Unwirksame Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Vorlage eines Dr.Ansay-Coronatestzertifikats

Coronatest (Bildquelle: Eran Menashri/Unsplash.com)

Arbeitsgericht Bochum, Urteil vom 05.08.2022 – 5 Ca 325/22 –

Das Arbeitsgericht Bochum hat entschieden, dass die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen der Vorlage eines Corona-Testzertifikats von “Dr. Ansay” durch den Arbeitnehmer unwirksam gewesen ist.

DER FALL:

Ein Call-Center-Mitarbeiter eines bundesweit bekannten Video-Commerce-Anbieters erschien kurz nach Einführung der 3-G-Pflicht am Arbeitsplatz (Ende November 2022) außerhalb seiner Dienstzeit im Unternehmen, um für einen privaten Anlass noch etwas von seinem Arbeitsplatz abzuholen. Ihm wurde von den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes jedoch der Zutritt verweigert, weil er die Bescheinigung über einen negativen Corona-Tests der “Arztpraxis Dr. med. Eva Maria Ansay” vorlegte. “Dr. Ansay” ist ein Online-Dienstleister, über den es u.a. möglich ist, Online-Krankschreibungen zu erhalten bzw. nach Durchführung eines Corona-Selbsttests das Ergebnis dieses Tests zertifiziert zu bekommen.

In der Folge erschien der Kläger noch an 3 weiteren Arbeitstagen regulär zum Dienst, jeweils unter Vorlage sogenannter “Corona-Bürgertests”, welche das Unternehmen als Nachweis akzeptierte.

Im Anschluss daran wurde der Kläger jedoch am 08.12.2021 von seiner Arbeit freigestellt – ohne Fortzahlung der Vergütung. Als Begründung gab der Arbeitgeber an, dass man von einem Täuschungsversuch über die Gültigkeit eines Corona-Testergebnisses seitens des Klägers ausgehe und in der Vorlage des “Dr. Ansay-Zertifikats” einen massiven Vertrauensbruch annehme. Man werde sich nun über die arbeits- und strafrechtlichen Konsequenzen beraten.

Am 02.03.2022 – also rund 3 Monate nach der erfolgten Freistellung – kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.04.2022 wegen des dringenden Verdachts der Täuschungsabsicht durch die Vorlage des Testzertifikats. Zuvor hatte man dem Kläger überdies bereits am 17.12.2021 den Abschluss eines Aufhebungsvertrags angeboten, welchen dieser jedoch nicht akzeptieren wollte, da er gewillt war, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

Der Kläger betonte stets, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, seinen Arbeitgeber über die Echtheit des Testzertifikats zu täuschen. Er war bis dato davon ausgegangen, dass es sich bei “Dr. Ansay” um einen anerkannten Dienstleister handelte. 3G am Arbeitsplatz war schließlich auch erst 8 Tage vor dem Vorfall eingeführt worden, er selbst war seitdem noch gar nicht zum Dienst eingeteilt gewesen und es hatte bis dato auch keinerlei Hinweise des Arbeitgebers gegeben, welches Testzertifikat akzeptiert würde und welches nicht. Außerdem habe er ja schließlich im Anschluss an den Vorfall sofort ausschließlich die anerkannten Bürgertests genutzt und damit zu verstehen gegeben, dass er sich durchaus regelkonform verhalten wolle.

Der Arbeitgeber nahm sich davon jedoch nichts an. Er stützte seinen Täuschungsverdacht dagegen insbesondere auch darauf, dass der Kläger im Zusammenhang mit Corona schon vor und auch nach dem Vorfall mit Fragen zu dem Thema Corona “aufgefallen” sei und insofern davon ausgegangen werden musste, dass der Kläger informiert sei und selbst hätte wissen müssen, dass das Zertifikat nicht akzeptiert würde.

Der Kläger erhob schließlich Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 02.03.2022 und die später noch ausgesprochene hilfsweise Kündigung durch den Arbeitgeber vom 17.05.2022.

Das Arbeitsgericht Bochum gab dem Kläger Recht und entschied, dass beide Kündigungen nicht rechtswirksam ergangen seien.

DIE WESENTLICHEN ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Zur Begründung führte das Arbeitsgericht Bochum aus:

“…Der Kläger hat mit der Testbescheinigung von Dr. med. Eva-Maria Ansay unstreitig einen Testnachweis vorgelegt, der nicht den Vorgaben entspricht…

Vorliegend ist der Kläger nicht geimpft und war daher verpflichtet, der Beklagten vor Arbeitsantritt einen Testnachweis hinsichtlich des Nichtvorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus vorzulegen, der nicht älter als 24 Stunden ist und den Vorgaben des § 22a Abs. 3 IfSG entspricht. Der vom Kläger vorgelegte Testnachweis von Dr. med. Eva-Maria Ansay, den er auf der Homepage https://dransay.com/covid-test-zertifikat heruntergeladen hat, entspricht den Vorgaben nicht. Zwar ist eine Arztpraxis – unterstellt Dr. Eva-Maria Ansay unterhält eine zugelassene Arztpraxis – berechtigt, sogenannte Bürgertests durchzuführen und entsprechend zu bescheinigen, allerdings ist der vom Kläger durchgeführte Test unstreitig nicht vom Leistungserbringer selbst vorgenommen bzw. vor Ort überwacht worden. Vielmehr hat der Kläger den Test ohne Aufsicht zu Hause selbst durchgeführt und nur einen Fragebogen ausgefüllt sowie das Testergebnis mitgeteilt. Damit war der von ihm vorgelegte Testnachweis nicht geeignet, die aus § 22b Abs. 1 IfSG bestehende Verpflichtung zu erfüllen. Der Kläger hat also durch die Vorlage dieser Testbescheinigung eine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt.

Allerdings ist fraglich, ob er diese Pflichtverletzung auch schuldhaft vorgenommen hat bzw. ob die Beklagte den dringenden Verdacht dahingehend haben durfte. Der Kläger selbst hat vorgetragen, dass er damals davon ausgegangen sei, dass ein solcher Testnachweis zur Erfüllung der sogenannten 3-G-Vorgaben ausreichend gewesen sei. Dieses habe er der Homepage des Anbieters entnommen, der in den FAQs ausdrücklich darauf hingewiesen habe. Die Beklagte hingegen beruft sich zumindest auf den dringenden Verdacht, dass dem Kläger bewusst gewesen sei, dass das Testverfahren nicht zulässig sei. Diesen dringenden Verdacht leitet sie daraus ab, dass der Kläger sich bereits zuvor umfangreich mit dem Coronavirus befasst habe, wie sich aus seiner E-Mail vom 26.11.2021 ergebe. Auch setze das Suchen einer solchen Bescheinigung im Internet ein aktives Tun voraus. Zudem hätte der Kläger bei der Suche im Internet auch die kritische Berichterstattung auffallen müsse. Außerdem hätte der Kläger auch aufgrund der Gestaltung der Website von einer Zweifelhaftigkeit des Angebots ausgehen müssen. Weiter beruft sich die Beklagte darauf, dass es dem Kläger nicht gelungen sei, ihren Verdacht im Anhörungsgespräch am 17.12.2021 auszuräumen. Was jedoch genau Inhalt dieses Gesprächs gewesen ist, ist unklar geblieben. Im Ergebnis ist für die Kammer zweifelhaft geblieben, ob ein rechtlicher Laie in der damaligen Situation kurz nach Einführung der sog. 3-G-Regelung davon ausgehen musste, dass das Testverfahren, wie von Dr. Eva-Maria Ansay angeboten, nicht den Regelungen des § 22a Abs. 3 IfSG entspricht. Dieses auch vor dem Hintergrund, dass die sich oft ändernden Regelungen durchaus dazu geführt haben, dass die Rechtslage für die Bürger zunehmend unübersichtlich wurde. So hat auch die Beklagte vorgetragen, dass sie sich zusammen mit der Rechtsabteilung und ihrem Compliance Manager zunächst einen ersten Überblick über die Rechtslage verschafft habe, bevor sie den Kläger mit der E-Mail vom 08.12.2021 bis auf weiteres freigestellt habe. Auch aus den Nachfragen des Klägers in der E-Mail vom 26.11.2021 kann nicht hergeleitet werden, dass der Kläger genauestens über die Rechtslage informiert war. Vielmehr hat er an die Beklagte überwiegend Nachfragen im Zusammenhang mit der 3-G-Regelung am Arbeitsplatz und deren Umsetzung gestellt, beispielsweise zur Arbeitszeit, Arbeitswegen und versicherungstechnischen Fragen, die durchaus legitim waren.

Hingegen hat der Kläger keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung bzw. strafbare Handlung durch die Vorlage eines gefälschten Gesundheitszeugnisses begangen. Die Vorlage eines falschen Gesundheitszeugnisses im Sinne des § 278 StGB setzt voraus, dass der Kläger am 02.12.2021 keinen negativen Coronatest vorlegen konnte, weil er positiv war, was ihm fälschlicherweise gegenteilig bescheinigt worden wäre. Dieses ist jedoch nicht der Fall. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger am 02.12.2021 positiv in Bezug auf das Coronavirus war. Vielmehr ist unstreitig geblieben, dass der Kläger den Test zu Hause tatsächlich mit negativem Ergebnis durchgeführt hat.

Es konnte jedoch dahinstehen, ob die Beklagte ausreichende Tatsachen dargelegt hat, die ihren Verdacht rechtfertigen, dass der Kläger in vorwerfbarer Weise über die Ordnungsgemäßheit des Test getäuscht hat, denn zumindest ist der Ausspruch einer Beendigungskündigung nicht verhältnismäßig.
Für die Kammer war zunächst der Ausspruch einer Abmahnung erforderlich und als milderes Mittel ausreichend:

Aus dem Verhalten des Klägers in der Vergangenheit konnte nach Ansicht der Kammer keine Prognose dahingehend gefolgert werden, der Kläger werde sich auch in Zukunft nicht an die Testvorgaben halten. Vielmehr hat der Kläger an den Folgetagen jeweils zulässige Testnachweise vorgelegt. Es sind keine Umstände ersichtlich, dass der Kläger zukünftig erneut gegen die Testvorgaben verstoßen wird oder nicht bereit wäre, sich an die Vorgaben zu halten. Auch aus der E-Mail des Klägers vom 18.12.2021 lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger fasst den Sachverhalt aus seiner Sicht zusammen und teilt am Ende mit, dass er sich nicht mit den rechtlichen Grundlagen auskennt und immer noch nicht wisse, gegen welche Gesetzte oder Regeln er genau verstoßen habe. Gleiches gilt für die E-Mail vom 23.12.2021. Auch hier hat der Kläger darauf hingewiesen, dass er nicht wisse, gegen welche arbeitsrechtlichen, strafrechtlichen Gesetze oder 3-G-Regeln er verstoßen habe oder wann er die Gesundheit meiner Kollegen gefährdet habe. Der Kläger bringt in diesen E-Mails nicht zum Ausdruck, dass er sich nicht an die Regeln halten werde. Vielmehr fragt er nach den gesetzlichen Grundlagen, die für einen juristischen Laien aufgrund der Vielzahl der sich oft ändernden Regelungen auch bei einer Internetrecherche nicht leicht zu finden waren. Hier hätte die Beklagte dem Kläger die konkreten Regelungen bzw. Gesetze nennen können. Im Ergebnis waren für die Kammer keine Umstände ersichtlich, aus denen sich ergibt, dass der Kläger sich nach Ausspruch einer einschlägigen Abmahnung zukünftig nicht an die Regelungen halten wird.

Es handelt sich hier auch nicht um eine derart schwere Pflichtverletzung, dass ihre Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist, so dass eine Abmahnung entbehrlich wäre.

Zum einen hat der Kläger am 02.12.2021 tatsächlich einen Corona-Schnelltest gemacht, der ein negatives Ergebnis hatte. Zum anderen musste auch die Beklagte zunächst die Rechtslage prüfen und hat sich erst nach einer ca. dreimonatigen Überlegungszeit dazu entschlossen, eine Kündigung auszusprechen. Damit hat die Beklagte durch ihr eigenes Verhalten selbst widerlegt, dass eine derart schwere Pflichtverletzung vorlag, die auf keinen Fall geduldet werden kann.

Zu einer anderen rechtlichen Bewertung führt auch nicht die Beachtung der von der Beklagten zitierten Entscheidungen zur Fälschung von Impfausweisen oder Genesenennachweisen und zur Vorlage einer falschen Impfunfähigkeitsbescheini-gung (Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 18.02.2022 – 11 Sa 5388/21 – Juris; Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 26.04.2022 – 58 Sa 12302/21 – BeckRS 2022, 11392; Arbeitsgericht Lübeck, Urteil vom 13.04.2022 – 5 Ca 189/22 – Juris). Die Kammer erachtet die Sachverhalte als nicht vergleichbar. Wer einen gefälschten Impfausweis bzw. Genesenennachweis vorlegt, weiß in jedem Fall, dass er nicht geimpft bzw. genesen ist und damit eindeutig täuscht. Allein das Beschaffen eines gefälschten Impfausweises bzw. Genesenennachweises bringt eine gewisse kriminelle Energie mit sich. Ähnliches gilt für die Vorlage falscher Impfunfähigkeitsbescheinigungen. Auch hier täuscht der Arbeitnehmer über nicht vorliegende Umstände. Anders verhält es im vorliegenden Fall. Der Kläger hat tatsächlich einen Coronatest gemacht, der ein negatives Ergebnis hatte. Er hat sich “nur” eine Bescheinigung beschafft, die nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht…”

FAZIT:

Das Arbeitsgericht Bochum hatte einen Fall zu entscheiden, ohne sich dabei auf einen Fundus an bereits erfolgter Rechtsprechung stützen zu können – da es sie zum damaligen Zeitpunkt aufgrund der Aktualität des Themas schlicht kaum gab.

Es sieht in der Vorlage des Dr. Ansay-Testzertifikats im Rahmen der 3-G-Regelung am Arbeitsplatz ohne Zweifel eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten. Bei der Frage der Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung berücksichtigte das Gericht jedoch zu Gunsten des Klägers die zum damaligen Zeitpunkt für den Bürger schwer zu überblickende Rechtslage. Zudem sei dieser Pflichtverstoß nicht derart schwerwiegend, dass er ohne Weiteres eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte. Vielmehr hätte eine Abmahnung zunächst ausreichen müssen. Für den Kläger sprach hier insbesondere, dass die für eine Kündigung erforderliche negative Zukunftsprogose nicht zu begründen war – denn er hatte sich schon vor der “Sanktionierung” seines Verhaltens durch den Arbeitgeber wieder regelkonform gezeigt und auch sonst gerade keinen Anlass gegeben zu glauben, er werde sich in Zukunft nicht an die Testvorgaben halten. Auch habe der Arbeitgeber durch das lange Zuwarten bis zur Kündigung seine eigene Argumentationsgrundlage, dass die Kündigung letztlich die einzige Reaktionsmöglichkeit auf den Pflichtverstoß gewesen sei, entkräftet.

Das Arbeitsgericht betont ausdrücklich auch, dass der Fall gerade nicht vergleichbar sei mit Fällen, bei denen gefälschte Impfausweise, Genesenennachweise oder Impfunfähigkeitsbescheinigngen vorgelegt wurden, da in all diesen Fällen für den Handelnden klar sein musste, dass es sich um Fälschungen handelte und daher von einer gewissen kriminellen Energie auszugehen sei.

Abschließend sei betont, dass dieser Rechtsstreit noch nicht rechtskräftig entschieden ist, da der Arbeitgeber Berufung am Landesarbeitsgericht Hamm einlegen kann.

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