Ein Interview von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck mit Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.
Seit dem 01.01.2015 gilt das Gesetz über den Mindestlohn. Bereits in den ersten drei Monaten seit dem Inkrafttreten hat das Gesetz für erhebliche politische Diskussionen gesorgt. Die Gerichte werden zunehmend mit Streitigkeiten um die Anwendung des Gesetzes befasst. Mit dieser Reihe werden die ersten in der Praxis aufgetretenen Anwendungsprobleme behandelt.
Fachanwalt Bredereck: Das MiLoG haben wir in einer ersten Reihe schon theoretisch behandelt. Was sind die zentralen Aussagen des MiLoG?
Fachanwalt Dineiger: Mit dem Gesetz über den Mindestlohn wurde erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein gesetzlicher Mindestlohn für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingeführt. Dieser Mindestlohn gilt, egal ob ihn die Parteien des Arbeitsvertrages vereinbaren oder nicht. Der Mindestlohn beträgt 8,50 € brutto je Zeitstunde. Vereinbarungen, die zum Ziel haben, den Mindestlohn zu umgehen, sind kraft Gesetzes unwirksam. Zudem besteht der Anspruch auf Zahlung des Mindestlohnes spätestens mit Ende des nächsten Monates nach dem Monat, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde.
Fachanwalt Bredereck: Wir haben jetzt eines der ersten erstinstanzlichen Urteile rund um den Mindestlohn. Kurz gesagt, ging das Urteil für die Arbeitgeberseite richtig in die Hose. Was war passiert?
Fachanwalt Dineiger: Eigentlich eine klassische Konstellation. Im Betrieb des Arbeitgebers wurden bislang Stundenlöhne gezahlt, die unterhalb des gesetzlichen Mindestlohnes lagen. Darüber hinaus bezahlte die Arbeitgeberseite allerdings Leistungszulagen sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Mit ausgesprochenen Änderungskündigungen versuchte die Arbeitgeberseite jetzt Änderungen durchzusetzen. Als Argument wurde dabei verwendet, dass auch nach der Gesetzesbegründung zum MiLoG zulässig sei, gewisse Lohn- bzw. Gehaltsbestandteile auf den Mindestlohn anzurechnen. Das sei im Hinblick auf das Urlaubs-und Weihnachtsgeld grundsätzlich zulässig; um dann eine solche Verrechnung aus Leistungszulagen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld herstellen zu können, sollte eine Änderungskündigung ausgesprochen wird. Tatsächlich, Du sagtest es schon, ging das schief.
Fachanwalt Bredereck: Wie funktioniert denn das mit der Verrechnung überhaupt?
Fachanwalt Dineiger: Tatsächlich findet sich in der Gesetzesbegründung zum MiLoG ein Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des BAG sowie des EuGH zur Anrechnung von Gehaltsbestandteilen auf Mindestlohnansprüche. Das sind im Wesentlichen folgende Entscheidungen: Das BAG und der EuGH gehen davon aus, dass eine funktionale Gleichwertigkeit mit normalem Arbeitsentgelt vorliegen muss. Der EuGH sagt weiter, dass eine solche Verrechnung das Verhältnis zwischen Leistung des Arbeitnehmers und Gegenleistung durch den Arbeitgeber nicht verändern oder verschieben darf. Unter diesem Gesichtspunkt hat der EuGH die Verrechnung von Überstundenvergütung auf den Mindestlohn abgelehnt, gleiches hat er festgestellt für vermögenswirksame Leistungen. Eine Verkehrsmittelzulage hingegen soll anrechenbar sein auf Mindestlohn.
Fachanwalt Bredereck: Das sind relativ eindeutigen Entscheidungen ab. Warum wollte das Arbeitsgericht in der erstinstanzlichen Entscheidung diesen Entscheidungen des BAG und EuGH denn nicht folgen?
Fachanwalt Dineiger: Zunächst einmal war in diesem Urteil natürlich die spezifische Situation einer Änderungskündigung zu berücksichtigen. Allgemein zur Erinnerung: eine Änderungskündigung nach § 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) musste insgesamt zumutbar und für den Arbeitnehmer auch verhältnismäßig sein. Es dürfen also nur dort Änderungen vorgenommen werden, wo sie unter dem Gesichtspunkt der sozialen Rechtfertigung auch zwingend notwendig sind. Hier sah das Arbeitsgericht bereits im Hinblick auf die Darlegungen der Arbeitgeberseite erhebliche Probleme.
Fachanwalt Bredereck: Das ist jetzt aber kein spezifisches MiLoG-Problem?
Fachanwalt Dineiger: Das spezifische MiLoG-Problem lag tatsächlich in der allgemeinen Frage der Verrechnungsmöglichkeit. Wie sich aus den obigen Entscheidungen des EuGH und des BAG eindeutig ergibt, ist eine Verrechnung mit Mindestlohnansprüchen ja nur bei den Zahlungskomponenten zulässig, die eindeutig als zusätzliche Zahlungen einzuordnen sind. Wenn aber Zahlungen vorliegen, die bereits jetzt, also vor Inkrafttreten des MiLoG, als klare Gehaltsbestandteile im Austauschverhältnis zu klassifizieren sind, dann liegen keine Zusatzzahlungen mehr vor. Wenn aber keine Zusatzzahlungen mehr vorliegen, muss auch eine Anrechnung bzw. Verrechnung ausscheiden. Würde man nämlich, so das Arbeitsgericht in seiner Argumentation, eine Anrechnung bzw. Verrechnung mit Gehaltsbestandteilen im Austauschverhältnis zulassen, so würde tatsächlich ein Eingriff in das Synallagma erfolgen. Man würde also tatsächlich das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung verschieben. Das kann allerdings auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG und EuGH zur Anrechnung bzw. Verrechnung nicht so erfolgen.
Fachanwalt Bredereck: Hat das Arbeitsgericht jetzt damit die Anrechnung bzw. Verrechnung vollständig gekippt?
Fachanwalt Dineiger: Nein. Allerdings hat das Arbeitsgericht klargestellt, dass nicht jede Anrechnung bzw. Verrechnung überhaupt möglich ist. Das wurde bisher in der Diskussion über die Auswirkungen der Entscheidungen des BAG und EuGH übersehen. Klar und eindeutig war nämlich in den Entscheidungen schon immer zu erkennen, dass es sich um zusätzliche Entgeltbestandteile handeln muss. Das Arbeitsgericht hat also sehr deutlich klargemacht, dass vor Vornahme einer Anrechnung oder Verrechnung die Arbeitgeberseite deutlich prüfen muss, ob Entgelt im Austauschverhältnis vorliegt oder Zusatzzahlung. Pauschal funktioniert eine Anrechnung bzw. Verrechnung nicht.
Fachanwalt Bredereck: Also ist die erste Klarheit hergestellt. Allerdings kann die Arbeitgeberseite ja in Berufung gehen. Wir bleiben auch hier dran.
15.03.2015
Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.
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