Covid-19-Regelungen und Verfassungsrecht

Covid-19-Regelungen und Verfassungsrecht

Zum Determinierungsgebot bei Verordnungen

Covid-19-Regelungen und Verfassungsrecht

(Bildquelle: @pexels.com)

1. Einleitung

Immer wieder hebt der Verfassungsgerichtshof Teile jener Verordnungen, die von den zuständigen Ministerien aufgrund der in Covid-Maßnahmengesetzen enthaltenen Verordnungsermächtigungen erlassen werden, aus ein und demselben Grund auf: Der Verordnungsgeber verstößt gegen das verfassungsrechtliche Determinierungsgebot nach Art 18 B-VG. Doch was besagt dieser Grundsatz und welchen Einfluß hat er auf die Covid-19-Verordnungsgebung?

2. Das Determinierungsgebot in Zusammenhang mit Gesetzen

Das Determinierungsgebot ist ein Auftrag an den Gesetzgeber, die Gesetze so genau zu bestimmen, dass das Verwaltungshandeln aus dem Gesetz abgeleitet werden kann. Der Rechtsunterworfene muss anhand des Gesetzes verstehen können, welche Handlungen die Verwaltung setzen kann und welche Handlungen rechtens sind. Da nur das Parlament als demokratisch legitimiertes Organ diese Gesetze beschließen kann, werden somit willkürliche Handlungen der Verwaltung (die eben nicht demokratisch legitimiert ist) verhindert.

Darüber hinaus muss dieses Verwaltungshandeln durch die Gerichte überprüfbar sein: dies erfordert das rechtsstaatliche Prinzip.

Wenn der Gesetzgeber diesem Auftrag nicht nachkommt und der Verwaltung einen zu großen Handlungsspielraum überträgt, liegt eine formalgesetzliche Delegation vor, die nicht mit Art 18 B-VG vereinbar und dadurch verfassungswidrig ist (VfSlg 11.027/1986).

3. Das Determinierungsgebot in Zusammenhang mit Verordnungen

Wenn das Gesetz auch eine Verordnungsermächtigung enthält, müssen aufgrund von Art 18 B-VG alle wesentlichen Inhalte der Verordnung schon im Gesetz enthalten sein. Die Verwaltung darf dann nur noch Durchführungsverordnungen gem Art 18 Abs 2 B-VG erlassen.
Auslegung des Determinierungsgebots durch die Rechtsprechung

Jedoch hat der VfGH schon früh entschieden, dass die Anforderung an der Bestimmtheit von Gesetzen nicht in allen Bereichen überspannt werden darf (differenziertes Legalitätsprinzip). Es ist schlichtweg nicht möglich, in allen Rechtsmaterien eine genaue Determinierung vom Gesetzgeber zu verlangen. Eine genaue Determinierung ist in der Regel in jenen Gebieten notwendig, in denen das Rechtsschutzbedürfnis erhöht ist. Als Beispiele sind hier das Strafrecht, Steuerrecht und das Sozialversicherungsrecht zu nennen. Eine weniger genaue Determinierung ist dagegen im Wirtschaftsrecht ausreichend (Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 Rz 604).

Um ein geringeres Maß an gesetzlicher Vorausbestimmung auszugleichen, wurde vom VfGH die Legitimation durch Verfahren entwickelt.

Die Leitentscheidung (VfSlg 8280/1978) für die Legitimation durch Verfahren erging im Raumordnungsrecht. Der VfGH stellte fest, dass es hier genügt, im Gesetz selbst nur die Ziele festzulegen, wenn dafür das Verfahren, wie der Verordnungsgeber vorzugehen hat, auch im Gesetz festgelegt wird. Dies ist notwendig, um die verwaltungsgerichtliche Überprüfbarkeit der Verordnung sicherzustellen. Es wird also streng geprüft, ob das Verfahren zur Verordnungserlassung eingehalten wurde (dazu zählen ua Anhörungsrechte, Einholung von Sachverständigengutachten etc).

Auch in anderen Rechtsgebieten, in denen der Verordnungsgeber einen weitreichenden Spielraum hat, verlangt der VfGH zwar keine Legitimation durch Verfahren, jedoch eine Grundlagenforschung, die nachgewiesen werden kann. So ist zB bei Verordnungserlassung einer Verkehrsbeschränkung (im konkreten Fall: Tempo 30) eine Interessensabwägung vorzunehmen, die eine Klärung der Gefahren und eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen in dieser Zone voraussetzt (VfSlg 17.770/2006).
Die Anwendung des Determinierungsgebots in der Covid-19-Verordnungsgebung

Auch in der COVID-19-Rechtsprechung unterliegen die Verordnungsermächtigungen im COVID-19-Maßnahmengesetz nach der Rechtsprechung des VfGH nur einer verdünnten Legalität. Der Gesetzgeber überträgt mit dem COVID-19-Maßnahmengesetz dem jeweilig zuständigen Bundesminister (zB dem Bundesminister für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz oder dem Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung) den Entscheidungsspielraum, inwieweit es erforderlich ist, Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 zu setzen. In der aktuellen Situation sind ein rascher Zugriff und die Berücksichtigung diverser Gegebenheiten notwendig, um wirksame Regelungen erlassen zu können.

Diese Maßnahmen können durchaus grundrechtsintensiv sein, also sehr weit in die Grundrechte eingreifen. So ist zB das Betretungsverbot für Betriebsstätten ein intensiver Eingriff in die Freiheit der Erwerbsausübung. Diese Maßnahmen müssen jedoch, wie jeder Grundrechtseingriff, verhältnismäßig sein.

Damit der VfGH die Verordnung auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüfen kann, obwohl im Gesetz nur wenig Inhalte der Verordnung bereits vorgegeben sind, ist es notwendig, dass der Entscheidungsfindungsprozess des Verordnungsgebers nachvollziehbar ist (V 411/2020). Der Bundesminister hat dafür den derzeitigen Informationsstand, auf dem die Maßnahmen basieren und auf dem die vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgte, im Verordnungsakt festzuhalten. Da sich in vielen Fällen der aktuellen COVID-19-Rechtsprechung keine Unterlagen in den jeweiligen Verordnungsakten fanden, wurden bereits mehrere Bestimmungen von Covid-19-Verordnungen vom VfGH als gesetzwidrig festgestellt bzw aufgrund von Gesetzwidrigkeit aufgehoben (V 436/2020; G 271/2020). Mit anderen Worten gründet die Gesetzwidrigkeit zahlreicher Covid-19-Verordnungen also darauf, dass der Gesetzgeber nicht etwa auf Basis unvollständiger oder unrichtiger Informationsgrundlagen Entscheidungen traf, sondern schlichtweg keinerlei Informationsgrundlagen nachvollziehbar schuf beziehungsweise jene jedenfalls nicht dokumentierte.

Im weiteren Verlauf der Pandemie hatte der VfGH zunehmend Gelegenheit, die von ihm abgeleitete Dokumentationspflicht der Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt genauer zu umschreiben: So sprach er in einer Entscheidung beispielsweise aus, dass die bloße Sammlung und Übermittlung jeglicher zur Verfügung stehender wissenschaftlicher Studien sowie Daten zur Verbreitung von COVID-19 den Anforderungen einer aktenmäßigen Dokumentation nicht entspreche (V 573/2020). Vielmehr müsse der Verordnungsgesetzgeber jene Entscheidungsgründe nachvollziehbar darlegen, die für seine Willensbildung im Erlassungszeitpunkt tatsächlich ausschlaggebend waren. Weiters sei Material, bei welchem nicht nachvollziehbar sei, inwiefern es eine Grundlage für seine Willensbildung gebildet hatte, nicht dazu geeignet, die Dokumentationspflicht zu erfüllen. In einer weiteren Entscheidung sprach der VfGH ferner aus, dass er bei seiner Beurteilung über das Vorliegen einer hinreichenden Dokumentation auf eine Gesamtbetrachtung aller Erläuterungen abstelle (V 86/2021). Dem VfGH zufolge habe der Verordnungsgeber in den Verordnungsakten hinlänglich auszuführen, auf Basis welcher Bewertung der epidemiologischen Situation er welche Maßnahmen zu setzen sich entschlossen hat. Weiters habe er die epidemiologische Lage in Österreich mit hinreichender Deutlichkeit zu dem in concreto maßgeblichen Zeitraum und die prognosehafte Entwicklung dieser Lage festzuhalten.
Reaktionen des Gesetzgebers und Verordnungsgebers auf die VfGH-Judikatur

Dder Verordnungsgesetzgeber verbesserte seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie das Verordnungsgebungsverfahren und kommt mittlerweile, nachdem er durch die Aufhebung diverser Regelungen durch den VfGH mehrmals darauf aufmerksam gemacht worden war, seiner Dokumentationspflicht gründlicher nach, als es noch zu Beginn der Pandemie der Fall war. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Verordnungsgesetzgeber nunmehr sogar auf der Website des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz seine Begründungen zur Erlassung der jeweiligen Maßnahmen veröffentlicht.

Auch der Gesetzgeber hat reagiert und die Verordnungsermächtigungen im aktuellen COVID-19-Maßnahmengesetz (BGBl I 12/2020 idF BGBl I 183/2021) genauer determiniert. In dessen § 4 ist nun normiert, dass Regelungen des Betretens von Betriebsorten entsprechend der epidemiologischen Situation erlassen werden dürfen. Die Bewertung dieser Situation hat ua anhand der in § 1 Abs 7 COVID-19-Maßnahmengesetz aufgelisteten Kriterien zu erfolgen: Neben Clusteranalysen, Auslastung von Spitalskapazitäten und regionaler Besonderheiten müssen nunmehr – gemäß der mit BGBl I 90/2021 eingefügten neuen Ziffer 4a und 4b – auch der Durchimpfungsgrad der Bevölkerung sowie das Auftreten neuer Virusvarianten berücksichtigt werden. Weiters schreibt § 11 COVID-19-Maßnahmengesetz ein Anhörungsrecht der Corona-Kommission vor Verordnungserlassung vor. Gemäß § 12 COVID-19-Maßnahmengesetz dürfen bestimmte Verordnungen, die besonders intensiv in Grundrechte eingreifen, nur im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats erlassen werden. Dies lässt insgesamt erkennen, dass sich der Gesetzgeber seit Ausbruch der Pandemie zunehmend anstrengt, die Verordnungsinhalte deutlicher zu bestimmen.

4. Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der VfGH es in einigen Fällen als rechtlich zulässig sieht, dass dem jeweiligen Verordnungsgeber ein großer Entscheidungsspielraum übertragen wird. Um jedoch das rechtstaatliche Prinzip zu gewährleisten, ist es notwendig, diese verdünnte Legalität auszugleichen. Ansonsten ist es dem VfGH nämlich nicht möglich, Verordnungen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Im Raumordnungsrecht wird dies durch eine Legitimation durch formale Verfahren gewährleistet, in anderen Materien – etwa bei den COVID-19-Verordnungen – besteht eine verstärkte Dokumentationspflicht.

Dieser Pflicht kam der Verordnungsgeber im Zug mit der Covid-19-Krise in mehreren Fällen in evidenter Weise nicht nach, worauf der Gesetz- und der Verordnungsgeber in zahlreichen Entscheidungen, die wohl mit einem ironischen Unterton als Lehrstunde der Gesetz- und Verordnungsgeber angesehen werden können, nunmehr mehrfach hingewiesen wurde. Im Lauf der Covid-19-Pandemie passte der Verordnungsgeber jedoch sein Verordnungsgebungsverfahren dahingehend an, dass die Entscheidungsgrundlagen für Verordnungen nicht nur weitergehend erhoben, sondern sogar veröffentlicht werden.

5. Zu den Autoren

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