Bundesverfassungsgericht zum Thema Kirche und Arbeitsrecht – Entwicklung zurück zum Mittelalter?

Ein Interview von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck mit Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.

Zurück ins Mittelalter? – Das Bundesverfassungsgericht, die Kirchen und das
Arbeitsrecht

Fachanwalt Bredereck: Das Bundesverfassungsgericht hat hingelangt. Wir haben diese Woche eine neue Entscheidung bekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben. Wieder einmal ist eine der Kirchen beteiligt, die eine Kündigung ausgesprochen hat und wieder einmal scheint es doch so zu sein, dass wir Rückschritte im Arbeitsrecht machen. Stimmt mein Spruch vom Zurück ins Mittelalter?

Fachanwalt Dineiger: So pauschal kann man das nicht sehen. Richtig ist nur, dass das Bundesverfassungsgericht ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben hat. Andererseits ist es aber auch so, dass der Rechtsstreit an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen worden ist. D.h. also im Klartext, das Bundesarbeitsgericht muss in die zweite Runde und seine Entscheidung noch einmal treffen.

Fachanwalt Bredereck: Aber der Eindruck ist der, dass für die Kirchen ein Sonderarbeitsrecht gilt. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts schien das ja zunächst anders zu sein, das Bundesverfassungsgericht stellt aber doch jetzt den alten Zustand wieder her, oder?

Fachanwalt Dineiger: Ich denke, man muss sich zunächst anschauen, was eigentlich in diesem Fall passiert ist. Im Fall trat ein verheirateter Chefarzt eine Stelle in einem Krankenhaus in katholischer Trägerschaft an. Die Ehe ist zerbrochen, es folgte die Scheidung. Das war nicht der Grund für die Kündigung. Der Chefarzt lernte eine neue Frau kennen und zog mit dieser zusammen. Auch da gab es noch keine Kündigung. Dann heiratete der Chefarzt die neue Frau. Jetzt begannen die Schwierigkeiten; es gab offensichtlich mehrere Gespräche. Diese waren ohne Ergebnis, es gab eine Kündigung seitens des Krankenhauses. Der Chefarzt erhob Kündigungsschutzklage und war damit zunächst bis hinauf zum Bundesarbeitsgericht erfolgreich.

Fachanwalt Bredereck: Das Bundesarbeitsgericht sah die Kündigung also als unwirksam an, das Bundesverfassungsgericht sieht sie offensichtlich als wirksam an. Das ist doch Hintergrund der Entscheidung. Damit haben wir ja wieder das kirchliche Sonderarbeitsrecht.

Fachanwalt Dineiger: So eindeutig hat das Bundesverfassungsgericht das gar nicht formuliert. Das Bundesarbeitsgericht hat sich im Urteil 2011 auf den Standpunkt gestellt, dass das Verhalten des Chefarztes zwar einen Verstoß gegen die Grundordnung der katholischen Kirche darstellt, weil es im katholischen Glauben ein Verbot der Wiederverheiratung gebe. Allerdings sah das Bundesarbeitsgericht dann als entscheidend an, dass nach der Grundordnung der katholischen Kirche, die Bestandteil des Arbeitsverhältnisses war, es möglich ist, leitende Positionen mit nichtkonfessionellen Personen zu besetzen, außerdem habe die Kirche in diesem Bereich auch schon mehrfach geschiedene und erneut verheiratete Chefärzte besetzt und zudem sei der Verstoß durch das Zusammenleben zwischen dem Chefarzt und seiner zweiten Frau ja schon lange bekannt gewesen, so dass die Kündigung hier unter Abwägung aller Gesichtspunkte nicht wirksam sei. Diese Abwägung ist für das Bundesverfassungsgericht nicht ausreichend. Das Bundesverfassungsgericht gibt dem Bundesarbeitsgericht jetzt auf, die Abwägung zwischen den Grundrechtspositionen der Kirche einerseits und des Chefarztes andererseits vollständig und richtig vorzunehmen. Damit ist noch nicht gesagt, dass das Bundesverfassungsgericht die Kündigung für wirksam hält. Das Bundesverfassungsgericht weist sogar noch auf Aspekte hin, die wieder dazu führen könnten, dass die Kündigung unwirksam wird.

Fachanwalt Bredereck: Das ist aber doch immer das Problem bei Kirche und Arbeitsrecht. Das Bundesarbeitsgericht schien damit jetzt endlich aufgeräumt zu haben, und jetzt gilt das doch wieder nicht. Das Arbeitsrecht muss aber doch einheitlich gelten.

Fachanwalt Dineiger: Ein “Arbeitsverhältnis mit besonderen Bindungen” kennen wir doch im Arbeitsrecht allgemein von Tendenzbetrieben. Das ist ja nicht unbedingt ein Privileg der Kirchen.

Fachanwalt Bredereck: Aber das ist mit dem Grundsatz der Antidiskriminierung nicht wirklich vereinbar.

Fachanwalt Dineiger: In den Grenzen der Verfassung und der geltenden Gesetze darf ich in meinen Arbeitsverträgen ja verschiedene Gegenstände als maßgeblich definieren. Das dürfen selbstverständlich auch die Kirchen mit den Arbeitsverträgen ihrer Mitarbeiter tun. Das macht es noch nicht zu Sonderarbeitsrecht. Das ist hier geschehen: die Grundordnung der katholischen Kirche wurde für anwendbar erklärt und gegen die hat der Chefarzt verstoßen.

Fachanwalt Bredereck: Diese Entscheidung überzeugt mich wirklich nicht. Wir haben das ja schon mehrfach diskutiert. Für die Verkündungsberufe, die also wirklich aktiv in der Kirche etwas tun, kann ich das gerade noch verstehen. Hier finde ich die Begründung aber nicht mehr nachvollziehbar.

Fachanwalt Dineiger: Das ist tatsächlich vielfach erhobener Einwand. Wir müssen da letztlich abwarten, was das Bundesarbeitsgericht in der zweiten Runde daraus macht. Der Paukenschlag war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jetzt aber auch nicht.

26.11.2014

Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.

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