Ein Interview von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck mit Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.
Bundestag und Bundesrat haben den sogenannten flächendeckenden Mindestlohn beschlossen. In dieser Serie von Interviews erklären die Fachanwälte für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Volker Dineiger, was der Gesetzgeber hier in die Welt gesetzt hat, für wen das Gesetz gilt und welche Auswirkungen dieses Gesetz hat. Teil 3 dieses Interviews beschäftigt sich mit den Auswirkungen auf bestehende Tarifverträge.
Fachanwalt Bredereck: Der Gesetzgeber hat den allgemein Mindestlohn von 8,50 € beschlossen. Was passiert denn jetzt mit Tarifverträgen, vor allem mit denen, die noch eine niedrigere Vergütung vorsehen?
Fachanwalt Dineiger: Das Gesetz über den allgemeinen Mindestlohn ist ja Teil des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie. Der Gesetzgeber konnte und wollte also sicher nicht mit einem Schlag sämtliche Tarifverträge aushebeln. Das Gesamtgesetz sieht ja auch Änderungen im Tarifvertragsgesetz und im Arbeitnehmerentsendegesetz vor. Der Gesetzgeber hat es vor allem möglich gemacht, den allgemein verbindlichen Mindestlohn, den das Arbeitnehmerentsendegesetz bislang vorsah, erleichtert auf andere Branchen auszudehnen. Geändert worden sind im Tarifvertragsgesetz besonders noch einmal die Voraussetzungen, unter denen ein Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt werden kann, also seinerseits einheitlich für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer bestimmten Branche gilt.
Fachanwalt Bredereck: Also 8,50 € brutto nur, wenn es keinen Tarifvertrag gibt?
Fachanwalt Dineiger: Ja und nein. Für Tarifverträge hat der Gesetzgeber eine Schonfrist vorgesehen. Es gibt in etlichen Branchen heute Tarifverträge, die vor allem in den unteren Eingruppierungsstufen Stundenlöhne vorsehen, die unterhalb des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes liegen. Für diese Tarifverträge gibt es Schonfristen bis zum 31.12.2016. So lange bleibt es bei dieser Vergütung, erst ab dem 01.01.2017 gilt dann auch in diesen Branchen und für diese Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer die Pflicht, nach dem Mindestlohn zu vergüten.
Fachanwalt Bredereck: Es wird ja diskutiert, ob durch neue Tarifverträge der Mindestlohn unterlaufen werden kann. Besteht diese Gefahr?
Fachanwalt Dineiger: Es gibt tatsächlich Presseberichte über entsprechende Pläne. Voraussetzung dafür wäre aber zunächst, dass es sich um einen Tarifvertrag handelt, der dann für allgemeinverbindlich erklärt werden soll und auch wird. Einer solchen Planung dürfte aber die Regelung in § 1 Abs. 3 MiLoG entgegenstehen. Dieser sagt zwar aus, dass tarifvertragliche Regelungen zur Vergütung auch nach dem 01.01.2017 dem MiLoG vorgehen. Es wird aber eine Untergrenze eingezogen. Der Vorrang soll nämlich nur soweit gelten, soweit die Branchenmindestlöhne nach diesen Tarifverträgen die Höhe des Mindestlohnes nicht unterschreiten. Letztlich kann es zwar Versuche geben, solche Tarifverträge abzuschließen. Ob diese dann allerdings eine Überprüfung durch die Gerichte standhalten, bezweifle ich.
Fachanwalt Bredereck: in der Diskussion war auch zu hören, dass das Mindestlohngesetz Arbeitszeitkonten in der Zukunft unmöglich macht. Die Kritik war, dass das Arbeitsrecht zu unflexibel wird und auch in die Tarifautonomie eingegriffen wird. Stimmt das so?
Fachanwalt Dineiger: Die Frage ist nicht ganz einfach. Es ist jedenfalls nicht so, dass das Mindestlohngesetz Arbeitszeitkonten verbietet. Allerdings enthält das Mindestlohngesetz offensichtlich eine Einschränkung in der Handhabung von Arbeitszeitkonten.
Fachanwalt Bredereck: Das bedeutet?
Fachanwalt Dineiger: Das Mindestlohngesetz zieht eine Höchstgrenze für das Volumen in Arbeitszeitkonten ein. So wie das Gesetz formuliert ist, sollen Arbeitszeitkonten, die ja häufig auch in Tarifverträgen vorgesehen sind, nach wie vor möglich sein. Allerdings sieht das Gesetz vor, dass monatlich nur jeweils 50 Prozent der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit als Zeitguthaben auf das Arbeitszeitkonto geparkt werden dürfen. Das ist eine echte gesetzliche Obergrenze. So etwas gab es zwar in Tarifverträgen bisher schon, im Gesetz allerdings nicht. Allerdings darf man diese Regelung auch nicht so verstehen, dass nunmehr immer und überall Arbeitszeitkonten bestehen. Das Gesetz setzt ausdrücklich voraus, dass ein Arbeitszeitkonto schriftlich vereinbart sein muss. Selbstverständlich muss es im Übrigen dann auch wirksam vereinbart sein. Hier gibt es sehr umfassende Rechtsprechung. An den Kriterien hierfür wollte und will das Mindestlohngesetz offensichtlich nichts ändern.
Fachanwalt Bredereck: Wie ist dann das Verhältnis Mindestlohn zu Wertguthabenvereinbarungen?
Fachanwalt Dineiger: Wertguthabenvereinbarungen nach dem SGB IV sind ein echter Sonderfall. Vereinfacht ausgedrückt, erwirbt der Arbeitnehmer bei diesen Vereinbarungen ein Arbeitszeitpolster, das nur für seine persönlichen Zwecke verwendet werden darf. Die Fälle von Wertguthabenvereinbarungen sind also Auszeiten für Pflege von Angehörigen, Betreuungszeiten in der Elternzeit und Teilzeitverlangen. Zu beachten ist aber, dass selbstverständlich die Grundvergütung bei Wertguthabenvereinbarungen auch dem Mindestlohn unterliegt. Es sind nur die Beschränkung für die Arbeitszeitkonten nicht anzuwenden. Gleichfalls gilt die Zahlungsanordnung aus dem Mindestlohngesetz nicht.
16.07.2014
Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.
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