Ein Interview von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck mit Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.
Die Gewerkschaft der Lokführer streikt. Aktuell sind wir in der “Streikpause”. Die Arbeitsministerin Nahles hat den Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit vorgelegt. Der Beitrag beschäftigt sich mit dem möglichen Inhalt eines solchen Gesetzes und mit der Frage der Zulässigkeit eines Gesetzes zur Tarifeinheit.
Fachanwalt Bredereck: Der aktuelle Bahn-Streik sorgt für heiße Diskussionen. Jetzt hat Frau Nahles einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit welchem Tarifeinheit hergestellt werden soll. Der Grundsatz soll lauten “ein Betrieb-ein Tarif”. Entscheidend soll das Mehrheitsprinzip werden: die Gewerkschaft, die die Mehrheit der Mitarbeiter vertritt, gibt den Ton an. Was will Frau Nahles mit einem solchen Gesetz bezwecken?
Fachanwalt Dineiger: Die Diskussion über den aktuellen Streik der GdL wird unter zwei Aspekten geführt. Neben anderen Forderungen will die GdL ihre Zuständigkeit zur Verhandlung und zum Abschluss von Tarifverträgen auch auf Mitarbeiter erstrecken, für die zumindest bisher eine andere Gewerkschaft zuständig ist und auch Tarifverträge verhandelt und abschließt. Setzt sich die GdL mit dieser Forderung durch, dann würde bei der Bahn tatsächlich die Tarifpluralität entstehen können. Tarifpluralität heißt, dass gleichartige Arbeitsverhältnisse vorhanden sind, für die unterschiedliche Tarifverträge zur Anwendung kommen, weil unterschiedliche Gewerkschaftszugehörigkeiten der Arbeitnehmer vorliegen. Der Arbeitgeber ist gleichermaßen an alle Tarifverträge gebunden. Die Tarifpluralität darf allerdings nicht verwechselt werden mit der Frage der “Tarifmehrheit”. Diese gibt es ja bei der Bahn schon. Die Lokführer haben den Tarifvertrag, der mit der GdL abgeschlossen worden ist, die sonstigen Personalgruppen gehen, der mit der EVG abgeschlossen wurde.
Fachanwalt Bredereck: Und diese Tarifpluralität soll jetzt mit dem Gesetz eingeschränkt oder verhindert werden. Geht das so einfach?
Fachanwalt Dineiger: Ein solches Gesetz hat eine Reihe von Problemen. Jede Gewerkschaft kann für sich selbst wie auch ihre Mitglieder natürlich für sich selbst den grundrechtlichen Schutz der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz in Anspruch nehmen. Dieser Schutz garantiert nicht nur, dass Vereinigungen, also Gewerkschaften, gegründet werden dürfen. Der Schutz bezieht sich vor allem natürlich darauf, dass diese Vereinigungen dann auch tätig werden dürfen. Eine Tätigkeit einer solchen Gewerkschaft ist natürlich das Führen von Tarifverhandlungen, die Vereinbarung von Tarifabschlüssen und, wenn der Arbeitgeber nicht mit zieht, das Führen von Streiks.
Fachanwalt Bredereck: Aber mit dem Grundsatz “ein Betrieb-ein Tarif” würde aber doch dieses Grundrecht nicht ausgehebelt werden. Es dürften ja nach wie vor Tarifverträge abgeschlossen werden und auch Streiks geführt werden?
Fachanwalt Dineiger: Das schon. Allerdings dürfte das jeweils auch nur eine Gewerkschaft. Existiert nämlich dann für einen Betrieb einmal ein Tarifvertrag, würde ein solches Gesetz ja bedeuten, dass für diesen Betrieb eine andere, in der Regel konkurrierende, Gewerkschaft weder Tarifverhandlungen führen darf, noch Tarifverträge abschließen, noch streiken darf. Das würde für die “schwächere” Gewerkschaft bedeuten, dass sie sich nicht mehr ihren Zielen gemäß betätigen kann. Damit ist natürlich für diese Gewerkschaft ihr Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG direkt betroffen.
Fachanwalt Bredereck: Das würde aber bedeuten, dass das Gesetz vermutlich nicht so einfach wirksam ist?
Fachanwalt Dineiger: Zumindest nicht ohne weiteres. Natürlich können einige Grundrechte unter bestimmten Umständen auch Einschränkungen erfahren. Das wäre auch im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG zulässig. Das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung im Jahr 2010, in welcher die Tarifpluralität als Zustand für zulässig erklärt worden ist, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine gesetzliche Regelung zur Frage der Klärung des Problems Tarifeinheit-Tarifpluralität fehlt. Das Bundesarbeitsgericht ist also ersichtlich davon ausgegangen, dass es hierzu grundsätzlich ein Gesetz geben kann. Die entscheidende Frage wird aber natürlich sein, was konkret in diesem Gesetz dann geregelt werden soll.
Fachanwalt Bredereck: Also wird die Tarifpluralität einfach für unzulässig erklärt und das war’s dann?
Fachanwalt Dineiger: Die entscheidende Frage wird in diesem Zusammenhang natürlich sein, ob ein etwaiges Verbot der Tarifpluralität der richtige Ansatz ist. Tatsächlich stellt sich das Problem ja vor allem im Zusammenhang mit der Streikproblematik. Die sehr heiße Diskussion im Moment entzündet sich daran, dass tatsächlich immer mehr Einzel-bzw. Spartengewerkschaften sich darauf berufen, zur Durchsetzung ihrer Tarifziele streiken zu dürfen. Aus meiner Sicht problematisch ist, ob das Problem des Bahn-Streiks nicht mehr vielmehr dadurch gelöst werden muss, dass es ein Arbeitskampfgesetz oder Streikgesetz gibt.
Fachanwalt Bredereck: Würde also das Arbeitsministerium das jetzige Problem des Bahnstreiks durch ein Streikgesetz besser in den Griff bekommen?
Fachanwalt Dineiger: Wir haben ja bereits abgeklärt, dass der problematische Punkt am derzeitigen GdL-Streik nicht die Frage der Tarifpluralität ist, sondern die Frage nach der Zulässigkeit des Streiks ist. Ich halte es unter dem Gesichtspunkt, dass ein Gesetz ja auch geeignet sein muss, einen bestimmten Zweck zu erreichen und darüber hinaus den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen muss, zumindest für diskussionswürdig, ob nicht ein Gesetz zur Regelung von Arbeitskampfmaßnahmen dieses Problem besser löst.
Fachanwalt Bredereck: Wie müsste dann ein solches Gesetz aussehen?
Fachanwalt Dineiger: Bei dem Gesetz muss vermieden werden, dass die Grundrechte aller beteiligten Gewerkschaften zu sehr eingeschränkt werden. Ein zulässiger Ansatzpunkt könnte also sein, dass es bei Arbeitskämpfen im Bereich tarifpluraler Betriebe ein vorgeschaltetes Mediationsverfahren oder eine Kooperation der beteiligten Gewerkschaften gibt, um übermäßige Arbeitskämpfe zu vermeiden. Darüber hinaus kann ein solches Gesetz Anforderungen durch eine Positivliste oder auch Negativliste an zulässige Streikziele und/oder zulässige Streikmittel enthalten. Durch eine solche Regelung ließe sich zumindest vermeiden, dass die Freiheit von Arbeitnehmern, sich bei der Gewerkschaft zu unterschieden, die einem die beste erscheint, ausgehebelt wird. Die Tarifpluralität muss also gar nicht zwingend abgeschafft werden.
Fachanwalt Bredereck: Also Gesetz so unzulässig, anders aber zulässig?
Fachanwalt Dineiger: Das kann man erst beurteilen, wenn der Wortlaut des Entwurfes vorliegt. Der Gesetzgeber hat eine relativ breites Ermessen, wie er eine bestimmte Lage gesetzlich geregelt. Das sollte man bei guten Ratschlägen auch immer berücksichtigen, solange es einen Gesetzestext noch gar nicht gibt.
28.10.2014
Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.
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