Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck Berlin und Essen zum Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 06. März 2012 – 19 Sa 1342/11 -, juris).
Ausgangslage:
Bevor ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer betriebsbedingt kündigen kann, muss er ihn zunächst im Betrieb vorhandene freie Arbeitsplätze anbieten. Dies gilt jedenfalls insoweit, als der Arbeitnehmer die vorhandene Arbeit aufgrund seiner Qualifikation leisten kann. Auch wenn der Arbeitnehmer zunächst eine gewisse Einarbeitungszeit benötigt, besteht die Pflicht zum Anbieten des Arbeitsplatzes. Unterlässt der Arbeitgeber ein solches Angebot, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre, ist die Kündigung allein deshalb unwirksam und kann vom Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage erfolgreich angegriffen werden. Immer wieder Streit entbrennt um die Frage, wann ein Arbeitsplatz als frei im Sinne dieser Entsprechung anzusehen ist.
Besteht die Möglichkeit, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz ggfs. auch zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen, ist eine ordentliche Beendigungskündigung ausgeschlossen. Die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit setzt einen freien Arbeitsplatz voraus, für den der Arbeitnehmer die erforderlichen Qualifikationen hat. Als frei gelten Arbeitsplätze, die vorübergehend mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Als frei gelten ebenfalls Dauerarbeitsplätze, die nach einer Entscheidung des Arbeitgebers mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollen.
Fall:
Das Hessische Landesarbeitsgericht hatte sich mit dem Fall zu befassen, dass ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer betriebsbedingt gekündigt hatte, obwohl es im Betrieb unstreitig eine Vielzahl von Arbeitsplätzen gab, die mit Leiharbeitnehmern dauerhaft besetzt waren. Der Arbeitnehmer erhob gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage und berief sich darauf, dass der Arbeitgeber in zunächst einen dieser Leiharbeitsplätze hätte anbieten müssen. Der Arbeitgeber erklärte, dass die Arbeitsplätze dauerhaft mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollten und daher gar nicht wie normale Arbeitsplätze in seinem Unternehmen anzusehen seien.
Urteil:
Das Hessische Landesarbeitsgericht hat sich dann mit der Frage auseinandergesetzt, wann ein Arbeitsplatz als frei anzusehen ist. Dabei wurde als eindeutig klar herausgestellt, dass jedenfalls Arbeitsplätze die nur vorübergehend mit Leiharbeitnehmern besetzt sind, als frei gelten. D.h. solche Arbeitsplätze müssen dem Arbeitnehmer angeboten werden. Die darauf beschäftigten Leiharbeitnehmer haben dann das Nachsehen.
Im vorliegenden Fall war aber die Frage entscheiden, ob auch Dauerarbeitsplätze, die nach einer Entscheidung des Arbeitgebers dauerhaft mit Leiharbeitnehmern besetzt sein sollen, als frei anzusehen sind. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat diese Frage bejaht.
Begründung: Durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern wird weder die Anzahl der Arbeitsplätze noch die Arbeitsmenge verändert (BAG 25. Februar 2009 – 7 ABR 61/07 – Rn. 19, DB 2009, 1473). Bei einem Einsatz von Leiharbeitnehmern werden die anfallenden Arbeiten von dem Arbeitgeber innerhalb seiner betrieblichen Organisation mit Arbeitskräften erledigt, die diese Arbeitsaufgaben nach seinen Weisungen für ihn ausführen (BAG 16. Juli 2008 – 7 ABR 13/07 – Rn. 23, BAGE 127, 126 = AP BetrVG 1972 § 78a Nr. 50 = EzA BetrVG 2001 § 78a Nr. 4). Der Entschluss, die formale Arbeitgeberstellung aufzugeben, ist keine die Kündigung bedingende Unternehmerentscheidung, wenn der Unternehmer gegenüber den Beschäftigten im Wesentlichen weiterhin selbst die für die Durchführung der Arbeit erforderlichen Weisungen erteilt (BAG 26. September 1996 – 2 AZR 200/93 -, BAGE 84, 209 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 80, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86, zu II 2 der Gründe). Gleiches muss für die Beurteilung gelten, ob ein Arbeitsplatz frei ist, wenn ein Arbeitgeber die Entscheidung getroffen hat, den Dauerarbeitsplatz nur mit Leiharbeitnehmern zu besetzen (vgl. LAG Hamm 23. März 2009 – 8 Sa 313/08 – Rn. 35, zitiert nach Juris).
Quelle:
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 06. März 2012 – 19 Sa 1342/11 -, juris
Bewertung:
Das Urteil kann aus meiner Sicht im Ergebnis nicht anders ausfallen. Der Arbeitgeber könnte sonst den Kündigungsschutz dadurch umgehen, dass er zunächst Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt, eine unternehmerische Entscheidung trifft, dass dies dann dauerhaft zu erfolgen solle und anschließend die dadurch nicht mehr gebrauchten Arbeitnehmern betriebsbedingt kündigt. Man könnte dagegenhalten, dass dies beim Outsourcing bestimmter Aufgaben letztlich auch nicht anders ist. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, sowohl im Ergebnis auch das Hessische Landesarbeitsgericht, dass im hiesigen Fall der Arbeitgeber die Aufgaben im Betrieb behält und letztlich auch die Leiharbeitnehmer genauso dirigiert, wie die eigenen.
Fachanwaltstipp Arbeitgeber:
Das letzte Wort ist in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat ausdrücklich die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass das Bundesarbeitsgericht im Ergebnis anders entscheiden wird. Arbeitgebern ist also zu raten, diese Rechtsprechung bereits jetzt zu berücksichtigen. Andernfalls muss damit gerechnet werden, dass die Kündigung unwirksam ist. Wer zum Beispiel im Unternehmen permanent Überstunden fahren lässt oder externe Honorarkräfte mit der gleichen Aufgaben beschäftigt, wie die Arbeitnehmer, muss ebenfalls damit rechnen, im Kündigungsschutzverfahren schlechte Karten zu haben, weil der Arbeitnehmer sich darauf beruft, dass zunächst diese Aufgaben noch von ihm hätten erledigt werden können.
Fachanwaltstipp Arbeitnehmer:
Das Urteil schafft zusätzliche Argumentationsmöglichkeiten im Kündigungsschutzverfahren, wenn im Betrieb dauerhaft Leiharbeitnehmer eingesetzt werden. Wichtig ist immer: die Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht werden.
29.5.2014
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