Der Begriff ist gerade in Wahlkampfzeiten in aller Munde:
Wirtschaftsförderung! Ob auf kommunaler, bundesland-bezogener oder Bundesebene: überall finden sich (halb-) staatliche Gesellschaften oder Amtsbereiche in den Verwaltungen, deren Aufgabe die Förderung der Wirtschaft ist. Unterschiedliche Ansätze, unklare Abgrenzungen und Aufgabenstellungen führen häufig dazu, daß Wirtschaftsförderung von den Unternehmen und der Öffentlichkeit falsch verstanden und daher als “wenig effektiv” wahrgenommen wird. Diese direkte Form der Unterstützung meint nicht die gesamtwirtschaftlich wirkenden Maßnahmen, wie etwa zur Konjunktur- oder Wachstumsbelebung sowie steuerrechtlichen Bevorzugung oder die Bereitstellung von vergünstigten Sicherheiten.
Theoretisch bezeichnet man mit dem Begriff “Wirtschaftsförderung” die von öffentlichen oder staatlichen Stellen betriebenen Maßnahmen, die Unternehmen in einem abgegrenzten Bezirk, bestimmte Branchen oder Marktteilnehmer zu stärken. Eng verbunden ist damit auch die Verbesserung des Standortimages und eine koordinierte Zusammenarbeit der Akteure in der sog. Wirtschaftsförderung (Ämter, Kammern, Verbände, Innungen u.ä.). Grundverständnis dieses Engagements – richtiger: Eingriffs – der Politik ist die (angebliche) Notwendigkeit einer Korrektur der Marktmechanismen, man geht also von einem Marktversagen aus. Der “Erfolg” wird abgerechnet in Neuansiedlungen, Unternehmenserweiterungen, Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, Exportquote oder anderen Messzahlen. Indirekt erwarten die politischen Initiatoren, dass sich die Einsätze von Steuergeldern über höhere Steuern amortisieren.
Der klassische Maßnahmenkatalog kommunaler, bzw. für Bundesländer tätige Gesellschaften ist in zwei große Bereiche zu teilen: Ansiedlung neuer Unternehmen sowie die sog. Bestandspflege der bereits im Bezirk tätigen Unternehmen. Gerade die Bestandspflege bedarf mehr Aufmerksamkeit und neuer, innovativer Impulse.
Das Große Ziel der Wirtschaftsförderung ist und bleibt, Firmen und Unternehmen in einer bestimmten Gegend anzusiedeln, um diese wirtschaftlich zu entwickeln. Hierzu werden wirtschaftlich attraktive Angebote unterbreitet, sowie mit einem besonderen Lebensumfeld geworben. Große zusammenhängende und erschlossene Gewerbegebiete, bezugsfertige und günstige Produktionshallen oder steuerlich geförderte spezielle Qualifizierungsprogramme für die zukünftigen Mitarbeiter sind die Mindeststandards.
“Bei dieser Bandbreite der Angebote müssen die verschiedenen Akteure zielorientiert zusammenarbeiten, sonst hält das beste Angebot der ersten Plausibilitätsprüfung nicht stand”, so Lars Bosse, ehemaliger Industrie – Geschäftsführer der IHK zu Leipzig. “Die menschlich verständlichen Eifersüchteleien und das Streben, die Erfolge für die eigene Institution zu sichern, erschweren gerade bei Angeboten für Ansiedlungen ein schnelles kundenorientiertes Handeln” fasst Lars Bosse weiter seine Erfahrungen aus der Zeit von Ansiedlungen von Porsche, BMW, DHL und Amazon in Leipzig zusammen. Kritiker dieser Form der Unterstützung weisen immer wieder auf Mitnahmeeffekte hin, die erst zu Wettbewerbsverschiebungen führen.
Dem gegenüber fällt die Bestandspflege als Aufgabe der kommunalen und bundeslandbezogenen Wirtschaftsförderung in der Realität häufig, zumeist hinter die Ansiedlungspolitik, zurück. Als Grund ist anzunehmen, dass “die handelnden Politiker Ansiedlungen leichter als ihren persönlichen Erfolg verkaufen können und damit ihre Chancen auf eine Wiederwahl erhöhen”, erläutert Lars Bosse. “Außerdem setzt die Bestandspflege viel aufwendiger, weil kleinteiliger, an. Unternehmen müssen besucht und deren Bedarf nicht nur erfasst, sondern anschließend auch umgesetzt werden”, ergänzt Lars Bosse, der jahrelang Hauptgeschäftsführer der deutsch-polnischen IHK (AHK Polen)in Warschau war und internationale und zwischenstaatliche Wirtschaftsförderung betrieben hat. Die Entwicklungshemmungen der Unternehmen sind vielfältig und sehr unterschiedlich. Daher muss die regionale Wirtschaftsförderung die richtige Mischung von Angebots- und nachfrageorientierten Leistungen anbieten. Unternehmerreisen, Gemeinschaftsstände auf Fachmessen oder Imagekampagnen lassen sich in einer immer stärker individualisierenden Umwelt immer schwieriger organisieren. Auch bei der wenig öffentlichkeitswirksamen Beratung zu Förderprogrammen oder Richtlinien verlassen sich die Unternehmen lieber auf ihre Steuer- oder Rechtsberater, zu denen sie eine langjährige vertrauensvolle Beziehung haben. Bei der Unterstützung in der Zusammenarbeit mit den Behörden oder der Strategieentwicklung werden Fachleute benötigt, weniger die in den Gesellschaften zumeist aktiven Generalisten. Dieses bietet aber eine Möglichkeit, neue – bisher noch unwirtschaftliche und nicht selbsttragende – Wege zu
beschreiten.
“In der Bestandspflege fehlt häufig der Mut zum Umdenken; es sollte gerade das für den freien Markt unwirtschaftliche Klein-Klein bearbeitet werden. Zu viel Aufwand wird noch in die seltenen, großen und medienwirksamen Erfolge gesteckt”, beschreibt Lars Bosse seine Erfahrungen als Hauptgeschäftsführer der IHK zu Rostock. “Regionale und zugegeben zunächst kurze Wertschöpfungsketten könnten, beispielsweise durch persönliche Kenntnis von einander und Vermittlung zueinander, erfolgen”. Diese regionale Vernetzung kann schwierig sein und es bedarf Konzepte, die nicht auf einen schnellen Erfolg aus sind. Beispiele für echte, nicht virtuelle Vernetzungen gibt es genug: Visitenkartenpartys, Branchentreffpunkte, Stammtische oder Sommerfeste. Diese garantieren zwar noch keinen regionalen Zusammenhalt oder Zusammenarbeit, sind aber nach Expertenansicht der Mörtel zwischen den Bausteinen der Zusammenarbeit. Vielzitiertes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Einführung von Regionalgeld. Die Organisation und Finanzierung dieser Netzwerk-Veranstaltungen wäre eine Aufgabe der kommunalen Wirtschaftsförderer. Trotzdem werden diese lockeren und nach dem open space-Ansatz funktionierenden Treffen nicht ausreichen, um die immer wieder gewünschte stärkere Kooperation in der Bestandspflege zu verbessern. “Denkbar wären beispielsweise regionale Kooperationsbörsen, die bisher fast ausschließlich international als Methode eingesetzt worden sind”, fasst Lars Bosse zusammen. “In Leipzig habe ich mit meinem Team das Modell der Kooperationsbörse für eine zielgerichtete Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und Unternehmen erfolgreich genutzt”. Diese Anwendung von bekannten Methoden auf neue und regionale Formen wird der unterrepräsentierten Bestandspflege neue, innovative und – auch für Politiker wichtige – medienträchtige Impulse geben. Dieses kann bis zu kleinen Aktionen führen, die schnell und kostengünstig umgesetzt werden könnten.
“Ich habe erlebt, dass die Warnemünder Fischer ihren Fisch nicht an Touristen verkaufen konnten, da diese nicht wussten, wie er in der Ferienwohnung zuzubereiten sei”, erklärt Lars Bosse an einem Beispiel für eine mögliche konkrete lokale Kooperation. “Das wäre leicht zu lösen: Die Fischer erhalten von der Wirtschaftsförderung fotokopierte Rezepte mit einer Einkaufsliste. Bezahlt werden die Kopien vom lokalen Supermarkt, der darauf wirbt, alle Zutaten vorrätig zu haben – die gesamte Arbeitsleistung geht zu Lasten der Wirtschaftsförderung”.
Wirtschaftsförderung ist ein vielfältiges Betätigungsfeld, das immer wieder auch neue, innovative Wege gehen muss. Allzu enge Auslegung der öffentlichen Regelungen für die Gesellschaften und Einflussnahme der Teilhaber aus Politik, verfasster Wirtschaft und Verwaltung, zerstört das innovative Potential dieses Instrumentes.
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