Im Falle eines Betriebsübergangs sind arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, die dynamisch auf Tarifverträge verweisen und diese für anwendbar erklären, gegenüber dem Betriebserwerber nicht durchsetzbar, wenn dieser nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über die nach Betriebsübergang abgeschlossenen Tarifverträge teilzunehmen.
Unterrichtung beim Betriebsübergang – Der Fall
Das “Leisure Departments” des Londoner Bezirksrats war infolge eines Betriebsübergangs auf ein Privatunternehmen übertragen worden. Die Arbeitsverträge der betroffenen Arbeitnehmer sahen eine Bezugnahme auf die jeweils geltenden Tarifverträge vor (sog. dynamische Bezugnahmeklausel). Nach dem Betriebsübergang wurde ein neuer Tarifvertrag ausgehandelt. Der Betriebserwerber war der Ansicht, dass der geänderte Tarifvertrag mit den darin enthaltenen Entgelterhöhungen keine Anwendung finde, worauf die Arbeitnehmer Klage erhoben. Der Streit zog sich durch alle Instanzen, bis schließlich der “Supreme Court of the United Kingdom” beschloss, dem EuGH die Sache vorzulegen.
Unterrichtung beim Betriebsübergang – Die Entscheidung
Zu der Frage, wie Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG (Betriebsübergangsrichtlinie) auszulegen ist, äußerte sich der EuGH wie folgt: Im Falle eines Betriebsübergangs sind Bezugnahmeklauseln, die dynamisch auf einen nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs verhandelten und abgeschlossenen Tarifvertrag verweisen, gegenüber dem Betriebserwerber nicht durchsetzbar.
Der EuGH ist der Auffassung, dass die Betriebsübergangsrichtlinie nicht nur dem Schutz der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer, sondern auch dem Ausgleich der gegenläufigen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern dient. Gerade dieser Ausgleich ist – so der EuGH – durch eine arbeitsvertraglich vereinbarte Klausel, die dynamisch auf Tarifverträge verweist, beeinträchtigt. Insbesondere unter Berücksichtigung der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 EU Grundrechtscharta) muss Art. 3 der Richtlinie so ausgelegt werden, dass es dem Betriebserwerber möglich sein muss, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die Entwicklung “seiner” Arbeitsbedingungen auch mit Blick auf die künftige wirtschaftliche Tätigkeit aushandeln zu können. Kann sich der Betriebserwerber nun aber an Tarifverhandlungen nicht beteiligen (z.B. weil er dem Arbeitgeberverband nicht beitreten kann), schränkt dies die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers erheblich ein. Vor diesem Hintergrund ist der EuGH der Meinung, dass Art. 3 der Richtlinie nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Mitgliedsstaaten quasi ermächtigt sind, zu Gunsten der Arbeitnehmer die unternehmerische Freiheit des Betriebserwerbers zu beeinträchtigen.
(EuGH, Urt. v. 18.07.2013, Rechtssache C-426/11 Alemo-Herron ./. Parkwood).
Unterrichtung beim Betriebsübergang – Fazit
Die Entscheidung widerspricht zum einen der jahrelangen Rechtsprechung des BAG (vgl. BAG, Urt. v. 23.09.2009, Az. 4 AZR 331/08), wonach eine arbeitsvertraglich vereinbarte dynamische Verweisung auf einen Tarifvertrag zu den Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu zählen ist, in die der Betriebserwerber im Falle des Betriebsübergangs nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB eintritt. Zum anderen vermag der EuGH mit seiner Argumentation nicht zu überzeugen. Die von ihm angenommene Einschränkung der unternehmerischen Entscheidung liegt de facto nicht vor. Schließlich kann sich der potentielle Betriebserwerber einen Überblick über die Ausgestaltung der Arbeitsverträge der beim Betriebsveräußerer beschäftigten Arbeitnehmer verschaffen. Im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidung kann der Betriebserwerber sodann entscheiden, ob er den Betrieb trotz etwaig vorhandener dynamischer Bezugnahmeklauseln und dem damit z.B. verbundenen Risiko von Entgelterhöhungen erwerben oder lieber vom Kauf Abstand nehmen möchte.
Bis feststeht, ob bzw. wie weit das BAG der Auffassung des EuGH folgt, ergeben sich aus dem Urteil des EuGH für den Arbeitgeber folgende Konsequenzen: Im Unterrichtungsschreiben nach § 613 a Abs. 5 BGB muss explizit darauf hingewiesen werden, dass eine arbeitsvertraglich vereinbarte Klausel, die dynamisch auf Tarifverträge verweist, bei dem Übergang auf den Betriebserwerber ihre Geltung verliert. Ist ein solcher Hinweis nicht vorhanden, liegt keine ordnungsgemäße Unterrichtung i.S.d. § 613 a Abs. 6 BGB vor. Solange keine solche ordnungsgemäße Unterrichtung vorliegt, wird auch die einmonatige Widerspruchsfrist des Arbeitnehmers zum Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber nicht ausgelöst.
Autor und zuständig für Rückfragen: RA Stefan Bell, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht in der Kanzlei Bell&Windirsch , Düsseldorf.
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