“Andere machten Geschichte, ich machte Musik” (Kurt Sanderling):
Musik machen – Geschichte sein: Was bedeutet der legendäre Dirigentenjahrgang 1912 als Erbe der musikalischen Tradition und Zeitzeuge der neueren Geschichte?
Ringvorlesung zum Tod von Kurt Sanderling
Als am 18. September 2011 Kurt Sanderling im neunundneunzigsten Lebensjahr starb, titelten viele Nachrufe zeitgeschichtlich und blickten auf den endgültigen Abschluss einer Epoche: “Der letzte große Dirigent” (Berliner Morgenpost) war “mit der Geschichte Deutschlands aufs Engste verbunden” (Süddeutsche Zeitung).
Sanderling war mit reichlich Abstand der letzte des legendären Dirigentenjahrgangs 1912, nach dem Tod von Günter Wand (2002), Georg Solti (1997), Ferdinand Leitner (1996), Sergiu Celibidache (1996), Erich Leinsdorf (1993) und Igor Markewitsch (1983).
Alle diese Dirigenten waren musik- und zeitgeschichtliche Figuren. Ihre Lebensläufe wurden durch die Zeitläufe geprägt, zuweilen zerrissen. Wie wirkte sich dies auf ihr Musizieren aus? Alle diese Dirigenten erlebten den Zweiten Weltkrieg inmitten ihrer Karrieren und sie alle prägten, wo und wie auch immer, in und außerhalb Europas, den Aufbau der Nachkriegskulturen. Lassen sich in solchen Lebensläufen Musik und Zeitgeschichte, Musik und Gesellschaft überhaupt säuberlich trennen?
Die von Dr. Thomas Schipperges, Professor für Historische Musikwissenschaft an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim, initiierte Ringvorlesung soll Antwort auf diese Fragen geben.
Ferdinand Leitner (1912-1996)
Zu den Journalistentopoi um diesen Dirigenten gehören Charakterisierungen wie “ein Star wollte er nicht sein” (Der Spiegel 24/1996) oder “kritische Ehrfurcht vor der Tradition” (Die Zeit 14/6/1996). Stets wahrgenommen wurde die Solidität und handwerkliche Qualität seiner Arbeit. Ein Porträt des Künstlers als Diener am Werk. Geboren in Berlin, ausgebildet als Pianist bei Artur Schnabel und als Komponist bei Hindemith und in der legendären Schreker-Klasse, konnte Leitner, obschon “Halbjude”, die Nazi-Zeit als musikalischer Oberleiter im Theater am Nollendorfer Platz überstehen.
Nach dem Krieg dirigierte er an den Opernhäusern Hamburg und München sowie langjährig Stuttgart und Zürich. Er engagierte sich beim Aufbau der Bachwoche Ansbach, studierte für Strawinsky in Venedig The Rake’s Progress ein, arbeitete mit Wieland Wagner in Stuttgart und Bayreuth. Leitners Repertoire reichte von Bach und Mozart über Wagner und Strauss bis zu Orff und Hartmann, Schoeck und Zimmermann.
Dörte Schmidt (Berlin)
studierte Schulmusik (Hauptfach: Viola), Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Hannover, Berlin und Freiburg. Sie wurde bei Hermann Danuser an der Albert- Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Promoviert (Lenz im Zeitgenössischen Musiktheater. Literaturoper als kompositorisches Projekt bei Bernd Alois Zimmermann, Friedrich Goldmann, Wolfgang Rihm und Michèle Reverdy, Stuttgart 1993), war Wiss. Assistentin an der Universität Bochum und forschte in Basel, Wien und Paris. 1997 habilitierte sie sich in Bochum (Armide hinter den Spiegeln.
Lully, Gluck und die Möglichkeiten der dramatischen Parodie, Stuttgart 2001). Als Professorin lehrte sie an der Musikhochschule Stuttgart und seit 2006 an der Universität der Künste Berlin. Dörte Schmidt ist Vize-Präsidentin der Gesellschaft für Musikforschung und des Landesmusikrats Berlin.
Sie leitet das DFG-Projekt Ereignis Darmstadt und – mit Mannheim verbunden – im DFG-Projekt Kontinuitäten und Brüche im Musikleben der Nachkriegszeit den Projektteil Die Rückkehr von Personen, Werken und Ideen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören auch Exil, Remigration und Nachkriegsmusikgeschichte.
Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim
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