Ein Drittel ist zu laut: Mutwillige Verlärmung durch Motorrad-Zubehörauspuffe
[themenserver.com] Berlin/Stuttgart. Lärm ist das Umweltgift Nummer 1 – sagt das Umweltbundesamt. Lärm ist für Stress und für viele Herzinfarkte und auch Todesfälle verantwortlich. Und obwohl Jahr für Jahr Millionen Euros in Lärmschutzmaßnahmen investiert werden, gibt es einige Bereiche, in denen mutwilliges Verursachen von Lärm durch unklare und handwerklich schlechte Gesetzgebung weiter gefördert wird. Auf einen solchen Skandal verweisen die Vereinigten Arbeitskreise gegen Motorradlärm (VAGM), die zusammen mit dem Arbeitskreis Motorradlärm des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) die Informationsseite www.motorradlaerm.de im Internet betreiben.
Der BUND, die Polizei und das Umweltbundesamt haben als Hauptursache des Motorradlärms die speziellen Zubehörauspuffe identifiziert. Diese im Handel erhältlichen Bauteile verfügen zwar über eine Allgemeine Betriebserlaubnis aus einem anderen EU-Land (EU-ABE) – sind aber in den weitaus meisten Fällen weitaus lauter als es die EU-Grenzwerte und die Zulassung für den deutschen Straßenverkehr erlauben. Holger Siegel, Sprecher des BUND Arbeitskreises Motorradlärm: “Diese Auspuffe bekommen irgendwo in der EU ein Prüfzeichen und sind dann mehr oder weniger unwiderruflich im Verkehr. Eine Auspuff-Mafia nutzt ungeniert die Lücken der Gesetzgebung – und die Tatsache, dass solche Prüfzeichen-Vergehen so gut wie nicht verfolgt werden.” Zum Tag des Lärms rufen der BUND und die VAGM dazu auf, “den Sumpf der lauten Tröten auszutrocknen”: “Es kann nicht sein, dass Lärmschutz das Gebot des Tages ist, aber gleichzeitig Anwohner beliebter Motorradstrecken in den Naherholungsgebieten und Naturparks Lärmterror erfahren, der nerv zehrender sein kann als Lkw- und Autobahnverkehr: weil lauter, modulierend – und am falschen Ort.”
Beispiel Südschwarzwald – eine Berglandschaft von einzigartiger Schönheit mit vielen kurvenreichen Straßen. Bei gutem Wetter verwandelt sich dieses Naturparadies vom Erholungsgebiet in ein Eldorado für Motorradfahrer, darunter zahlreiche Raser und Lärmer. Bis zu zehn Stunden täglich ist manches Tal verlärmt. Mehrere Bürgerinitiativen bemühen sich seit Jahren um eine Veränderung der Situation: Ihrer Einschätzung nach fahren rund ein Drittel der motorisierten Zweiräder mit zu lauten Auspuffen. Die Fahrer nutzen den Trick mit der EU-ABE, um ihren ganz speziellen “Sound” spazieren zu fahren – Polizei und Behörden sehen dem Schauspiel machtlos zu und spielen die Zahl der zu lauten Motorräder auf ein bis zwei Prozent herunter. Doris Spychalski, Sprecherin der Bürgerinitiative Präg gegen Motorradlärm und -raserei, hofft dennoch auf Unterstützung von Seiten der Politik. Immerhin die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg eine Bundesratsinitiative gestartet und damit das Problem erstmals bundesweit thematisiert. Spychalski: “Das Problem erkennen genügt aber nicht – wir brauchen dringend Hilfe vor Ort. Der Lärm zerstört die Lebensqualität von Anwohnern und Erholungssuchenden.”
“Ein viel zu großer Teil der Käufer und Fahrer von Motorrädern will es laut – das ist das Problem”, sagt Dr. Werner Reh, Verkehrsexperte des BUND Bundesverbandes in Berlin: “Wenn Deutschlands größter Harley-Davidson-Händler in Frankfurt zugibt, dass jeder zweite Motorrad-Käufer bei ihm auch noch einen lauten Auspuff dazukauft, dann zeigt das, dass sich eine erschreckende Moral in der Bikerszene breit gemacht hat und auch, dass es dringenden politischen Handlungsbedarf gibt,”
Die Lärm-Normen, nach denen die Motorräder zugelassen werden, werden durch die die Hersteller und Hersteller-Verbände stark beeinflusst – und von der starken Motorradlobby in den Reihen der Politiker nicht gebremst. Das Motorrad ist schon nach der aktuellen Norm das lauteste Verkehrsmittel auf den Straßen. Fakt ist aber, dass kaum ein modernes Motorrad ohne elektronisch gesteuerte Auspuffklappen jemals eine Zulassung bekommen würde. Diese Auspuffklappen sind auf den Prüfzyklus ausgerichtet und sorgen dort für die Einhaltung der Grenzwerte. Jeder kräftige Beschleunigungsvorgang im Alltag führt jedoch bereits zu höherem Lärm als offiziell erlaubt. Und er wird noch viel lauter, wenn der Endschalldämpfer herausgeschraubt oder ein Zubehörauspuff mit EU-ABE montiert wird. Schnell sind diese Kräder mehr als doppelt so laut wie zulässig. Der BUND fordert die Polizei auf, alle Motorräder deren Auspuffe manipuliert sind und dadurch die Betriebserlaubnis erloschen ist, sofort aus dem Verkehr zu ziehen.
Für den Sprecher des Arbeitskreises Motorradlärm, Holger Siegel, selbst Motorradfahrer, ist der Umgang von Politik und Behörden mit dem Thema Lärm reine Heuchelei und ein Skandal: “Statt Lärm zu kartieren, müsste vor allem vermeidbarer Lärm bekämpft werden – und zwar beim Verursacher, nicht in Form von Schallschutz-Fenstern bei den Betroffenen. Die deutsche Politik beschließt Ausnahmen für Sportwagen und lässt die Zubehörauspuff-Mafia bei Autos und Motorrädern gewähren.”
Die Folgen des Rasens und Lärmens sind verheerend – und reichen von vielen Unfalltoten durch Rasanzunfälle an den beliebten Raserstrecken bis hin zu einem Todesfall, der unter dem Begriff “Ölflaschen-Mord” Eingang in die Schlagzeilen gefunden hat: 2011 schlidderte ein Motorradfahrer im Allgäu auf einer Ölspur in den Tod. Die Polizei fahndet Medienberichten zufolge nach einem “Motorradhasser”, der die Spur mutwillig gelegt haben soll. Die VAGM und der BUND distanzieren sich auf ihrer Internetseite entschieden von diesem Mordanschlag. Aber sie geben zu bedenken: Nie wird in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, warum es denn “Motorradhasser” überhaupt geben sollte. Für die VAGM und den BUND-Arbeitskreis wird mit dieser Tat deutlich: Das Problem, das die Behörden gerne verharmlosen, hat mittlerweile bedenkliche Dimensionen angenommen.
BUND Arbeitskreis gegen Motorradlärm
VAGM Vereinigte Arbeitskreise gegen Motorradlärm
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