Maria Grzegorzewska und Ihre Bedeutung für die polnische Sonderpädagogik

3. Maria Grzegorzewska als Wissenschaftlerin.

3.1 Einführung

Am Anfang diese Kapitels möchte ich zwei Aspekte hervorheben:

Erstens, Maria Grzegorzewska hat wegen des sozialen und organisatorischen Engagements nur wenig Zeit für wissenschaftliche Tätigkeit gefunden. Sie schreibt: “Moja praca naukowa to drobniutkie, poszarpane, strzpy w toku pracy spoecznej caego mojego ycia (Lipkowski.1983.42). “Meine wissenschaftliche Arbeit besteht eigentlich aus kleinen, zerrissenen Fetzen, die während meines gesellschaftlich-sozialen Tuns entsatnden sind” (Lipkowksi.1983.42). Zudem sind zwei ihrer Bücher, zusammen mit dem Traum der Befreiung der Stadt Warschau aus den Händen der deustchen Besatzer (Warschauer Aufstand) verloren gegangen.

Zweitens, ihre wissenschaftlichen Gedanken sind zum Grundstein der polnischen Sonderpädagogik geworden (vgl. Skowska.1989.91).

3.2 Die Theorie der Surrogatvorstellungen bei Blinden und Gehörlosen.

3.2.1 Die Arten der Surrogatvorstellung.

In ihrem Aufsatz stellt uns M.Grzegorzewska zwei Möglichkeiten der Sinneskompensierung vor, die aufgrund eines Ausfalls einer der oben genannten Sinne erfolgen können, nämlich die direkte Sinneskompensierung und die theorie der Surrogatvorstellungen. Die erste Möglichkeit ist etwas komplizierter, denn sie basiert auf der Vertretung eines der ausgefallenen Sinne durch andere, die dem Prozess der vollständigen Zerstörung nicht unterlagen. Hierzu meint Grzegorzewska, dass der komplete Ersatz eines ausgefallenen Sinnes durch einen einen bzw. mehrere andere, unmöglich ist. “Wir müssen annehmen, dass weder ein noch mehrere Sinn den kompletten Ersatz der Funktion des zerstörten Sinnes übernehmen können. Dies ist unmöglich, weil die strukturellen und funktionellen Unterschiede zwischen ihnen zu groß sind. Wollen wir daher die Theorie der Surrogatvorstellungen annehmen, müssen wir von einer teilweisen bzw. begrenzten Vertretung sprechen” (Grzegorzewska.1964.49).

3.2.2 Das Wesen der Surrogatvorstellungen.

Grzegorzewska vertrat die Meinung, dass die früher angenommene Theorie der Sinnesvertretung nicht auf der niedrigen Reitschwell der einzelnen Sinne beruht, sondern dass die Zusammenhänge durch die Vervollkommnung der Arbeit der Hirnrinde hergestellt werden. Als Beispiel nennt sie einige Fähigkeiten, die den Blinden und Gehörlosen eigen sind. “Da die Theorie der Sinnesvertretung nur ein Beispiel des allgemeinen Gesetzes der Übung darstellt, kann man auch bei Blinden ähnliche Gesetzmässigkeiten feststellen. Der Blinde verfügt nicht über eine größere Empfindlichkeit des Tastsinns, sondern ist im Besitz wunderbar entwickelter stereognostischer Orientierung, (Anm. d. Verf. Fähigkeit der Erkennung der Größe und Form eines Gegenstandes mit Hilfe des Tastsinns) er hört nicht weiter als der Sehende, sondern seine Beachtung z.B. der Geräusche, erlaubt ihm viele Empfindungen, auf deren Wahrnehmung der Sehende keinen Wert legt. Der Reiz,, der die orientierungsreaktion – (Anm. d. Verf. Es könnte sich auch um Orientierungsreflex handeln) – auslöst, führt zur Beachtung der Empfindung und dazu, dass das Wahrnehmungsvermögen entwickelt wird. Die Verbesserung der Funktionsweise der Sinne kommt am deutlichsten in der psychologischen Seite, die auf den Prozessens der höheren Analyse und Synthese beruht, zum Ausdruck. Genauso ist es bei dem Gehörlosen. Bevor er die Fähigkeit des Lippenlesens entwickelt, kann er aufgrund des unteerschiedlichen Ausdrucks der Augen, der Gesichtsmuskulatur, der Gestik wie auch deren Charakter, den emotionalen Zustand seines Gesprächspartners erkennen. Der Ghörlose kann deshalb von den Lippen lesen, weil er die Bewegungen der Artikulationsorgane bei der Gebung bestimmter Klänge beobachtet. Über den Zustand und die Funktion einer Maschine kann er aufgrund der optischen Wahrnehmung, d.h. aufgrund ihrer spezifischen Vibrationen usw., urteilen. Die Entwicklung der Begabung der optischen und akustischen Analyse ist von den Lebensbedingungen, den momentanen Bedürfnissen und den Inhalten einer Tätigleit abhängig” (Grzegorzewska 1964.51). Die Ausübung dieser Fähigkeiten der Hirnrinde führt Grzegorzewska auf die Entwicklung der dynamischen Struktursysteme (dynamicznych ukadów strukturalnych) zurück. Die Etnstehung und Entwicklung dieser Systeme verläuft ähnlich wie bei den Sehenden und Hörenden, und sie hängt sowohl mit der einfachen Unterscheidung im Bereich des ersten Signalsystems als auch mit der Fähigkeit der höheren Analyse und Synthese innerhalb des zweiten Signalsystems zusammen (vgl. Grzegorzewska.1964.52). Als Resultat dieser Überlegungen kann man folgendes Zitat betrachten:

” W braku wzroku lub suchu powstae struktury bd u niewidomych lub guchych inne ni u widzcych i syszcych, inne czony czuciowe wejd w ich skad w celu zastpienia nieobecnych czynników optycznych czy akustycznych.Std wano innych zmysów dla niewidomych i guchych, wiksze dla nich znaczenie takich czynnoci korowych, jak np. uwagi i kojarze” (Grzegorzewska.1964.52).

“Wegen des Fehelns des Sehens oder Hörens entshende Strukturen werden bei Blinden und Gehörlosen anders als bei Sehenden und Hörenden gebildet. Das heisst, amdere Empfindungsglieder werden beim Ersatz des fehlenden Seh- bzw. Hörsinnes einbezogen. Dies zeigt diw Wichtigkeit anderer Sinne für Blinde und Gehörlose. Von noch grösserer Bedeutung sind aber die Tätigkeiten der Hirnrinde wie z.B. die Achtung und die Assoziationen” (Grzegorzewska, 52).

Grzegorzewska ist auch auch der Meinung , dass die Kompensierung der Sehfähigkeit durch die Verbindung der Struktur eines Telerezeptors (Sehen, Hören) in deisem Fall des Hörens mit dem Tastsinn, dem kinästhetischen und dem haptischen Sinnkanal erfolgen kann. Es ist jedoch anzustreben, dass auch andere Strukturen einbezogen werden (Grzegorzewska, 54). Das Ziel für die Blindenpädagogik und die Gehörlosenpädagogik sieht Maria Grzegorzewska in der Verbesserung der Arbeitsweise der intakten Sinne.

Diese Verbesserung soll nicht in quantitativen Maßstäben, sondern in qualitativen Kategorien gedacht werden, denn nur durch die Unterscheidung der kleinsten Änderungen der Reize kann eine außergewöhnliche Subtilität ausgebildet werden. Die Entwicklung der Vermaschung der verschiedenen Strukturen ist für die Psyche des Betroffenen von großer Bedeutung, im anderen Fall kann sich seine Psyche zu einem “schiefen Spiegel” entwickeln (vgl. Grzegorzewska 54/55).

3.3. Die Surrogatvorstellungen bei Blinden.

3.3.1 Das Wesen der Surrogatvorstellungen

3.3.1.1 Die Entstehung der Surrogatvorstellungen.

Um die Entstehungsbediengungen der Surrogatvorstellungen zu verstehen, will ich die Gedanken von Maria Grzegorzewska zu diesem Problem zitieren:

“Jedynie ograniczona liczba wyrazów, uywanych prze niewidomych, odpowiada istotnym wyobraeniom. Natomiast jzyk widzcych nie wytworzy odpowiednich wyrae” dla okrelenia caego szeregu stosunku midzy dotykiem a suchem. Te ostatnie posiadaj wanie niezmeirne znacznie dla niewidomych. Wobec tego, i sposoby wyraania si widzcych zwracaj wci uwag niewidomych na luki w ich swiecie wyobraeniowym, powstaje w nich dno do przyswajania sobie rzeczy im obcych na podstawie fantazji. A poniwa zupenie dokadne przyswajanie,w pewnym zakresie, jest niemoliwe, wyobraenia surrogatowe s naturalnym wyrazem ubóstwa wyobrae” u niewidomych. Mowa widzcych staje si w pewnym stopniu regulatorem w rozwoju wiadomci obiektywnych u niewidomych (Grzegorzewska, 89).

“Nur eine begrenzte Anzahl der Wörter, die von Blinden gebraucht werden, entspricht den ttasächlichen Empfindungen. Es ist also zu beachten, dass der Sprache der Sehenden entsprechende Empfindungen, die das Verhältnis zwischen dem Tastsinn und dem Hören ausdrücken, nicht ausgebildet sind. Diese sind aber von außerordentlichen Bedeutung für die Blinden” (Grzegorzewska, 89). Wenn wir uns an die Theorie des ersten und zweiten Signalsystems von Pawlow erinnern, würde dies zur Folge haben, dass diw Worte, als Repräsentanten des zweiten Signalsystems, die entscheidende Rolle bei der Entstehung und Entwicklung der Surrogatvorstellungen haben. Um dem Leser die Eigenart dieser Theorie deutlicher zu machen, gibt Grzegorzewska eine ganze Fäülle von Beispielen an.

An dieser Stelle will ich zwei von Ihnen nennen: Im ersten Beispiel stellt sie einen Blinden vor, der helle Farben mit dem Klang einer Trompete verglichen hat. Im zweiten meint ein Blinder, dass die schwarze Farbe ihm nicht gefällt, weil sie einen unschönen Namen hat.

Diese Phänomen erklärt sie mit hilfe einer Theorie von Klein, die besagt, dass die Blinden den Farben, die bei den Sehenden eine besondere Rolle spielen, Bilder eigener Phantasie unterlegen (Grzegorzewska 89/90).

3.3.1.2 Die Surrogatvorstellungen ersten Grades

Zur Beschreibung dieser Kategorie der Surrogatvorstellungen ersten Grades (SV. 1) bedient sich M. Grzegorzewska der Theorie von T. Heller, die im Buch Studien zur Blindenpsychologie vorgestellt ist. “Die Surrogatvorstellungen ersten Grades (sie sind meistens mit der räumlichen Wahrnehmung verbunden), in Abkürzung SV 1, können entweder mit dem Tastsinn oder mit Hilfe anderer Sinne (vor allem des Hörens) entstehen.Die Vorstellungen, die aufrgrund des Tastsinns entstanden sind, begrenzen sich auf die elementarsten Empfindungen, auf Gegenstandseigenschaften, die für die Blinden unzugänglich sind, und auf die charakteristischen Lagen und Bewegungen der Körper. Diese Vorstellungen sind in der Regel nicht reichhaltig, denn sie geben nur die elementarsten Zusammenhänge wieder.Im Bereich der Personenwahrnehmung können die Hörempfindungen weitreichende Urteile zur Folge haben. Es wird oft von hoher und tiefe Stimme gesprochen; diese Begriffe sind für Blinde vom großen Sinngehalt, weil sie einen oft entscheidenden Einfluß auf den Eindruck von einer Person nehmen können. Genauso große Bedeutung wird dem Wiederhall der Schritte beigemessen, weil sich die Blinden mittels dieser Vorstellung noch genauer als mit Hilfe der Stimme eine Person vorstellen können (Grzegorzewska, 92). Diese Thesen werden durch einige Beispiele gestützt: Sie bedient sich der Aussage von Baczko, die er in seinem Buch “Über mich selbst und meine Schicksalgenossen, die Blinden” im Jahr 1807 gemacht hat. Es heißt, dass die Blinden nur selten einem Irrtum bzw einer Täuschung erliegen, wenn es um die Beurteilung eines Menschen geht.
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