„Ich hatte den Verstand verloren.“

„Ich hatte den Verstand verloren.“

Eine an paranoider Schizophrenie Erkrankte berichtet von ihren Erlebnissen und den Umgang mit der Erkrankung

Schizophrenie ist eine Erkrankung an der circa 1% der Bevölkerung leidet. Betroffene leiden nicht nur an der Erkrankung selbst, sondern auch unter Ausgrenzung und Stigmatisierung. Das Bild in den Medien über die paranoide Schizophrenie ist geprägt von Berichten über gewaltvolle Übergriffe durch die Erkrankten. Doch die allermeisten Erkrankungen enden nicht in Gewalt. Wir fragen nach bei Dr. Lara Jänsch – promovierte Geschichtswissenschaftlerin und Autorin des Buches Macht.Wahn.Sinn – über ihre Erfahrungen mit Krankheit und gesellschaftlicher Akzeptanz.

Sehr geehrte Frau Jänsch, Sie leiden seit Ihrem 31. Lebensjahr an paranoider Schizophrenie. Wie zeigt sich diese Erkrankung bei Ihnen?

Stellen Sie sich vor, Sie wären der festen Überzeugung, schwanger von Gott zu sein. Und das an Heilig Abend! Jeder normale Mensch würde einen solchen Irrglauben sofort enttarnen und zu einer vernünftigen Auffassung gelangen. Nicht so bei Schizophrenen. Diese können solchen wahnhaften Ideen monate- ja sogar jahrelang anhaften. Schizophrenie hatte bei mir hauptsächlich etwas damit zu tun, dass ich meine eigenen Gedanken nicht mehr selbst hinterfragen konnte. Ich war gefangen in einem Gedankenkarussell aus einer spirituellen Verbohrtheit und einer nur den eigenen Überzeugungen glaubenden Sturheit. Ich hatte die Wahrheit gepachtet und kommunizierte mit göttlichen Wesenheiten. Ich hatte den Verstand verloren.

Und warum kann ich dann mit Ihnen heute so normal reden? Glauben Sie daran nicht mehr?

Nein. Schizophrenie besitzt Krankheitsphasen, in denen man in einer anderen Wirklichkeit lebt. Sogenannte Psychosen. Meist können an Schizophrenie Erkrankte zwischen den Krankheitsphasen ein relativ normales Leben führen und haben keinerlei Symptome. Und so kann ich heute so reflektiert über die Erkrankung mit Ihnen sprechen. Es gibt aber immer auch wieder Phasen, in denen die Psychose wiederkehrt. Aber danach müssen die psychotischen Vorstellungen überdacht werden, und man muss wieder zu einer gesunden Einstellung zur Realität finden. Es ist erschreckend festzustellen, dass einem die eigene Fähigkeit zur Selbstreflektion und zur objektiven Betrachtung der Realität und der eigenen Gedanken abhandengekommen ist. Ich hatte beispielsweise fest daran geglaubt, dass in meinem näheren Umfeld Morde begangen wurden. Es war schmerzhaft, mir eingestehen zu müssen, dass diese Gedanken reiner Humbug waren.

Was kann Ihrer Meinung nach in der Gesellschaft für an Schizophrenie Erkrankte noch getan werden?

Viel. Anscheinend muss man heute die Krankheit verstecken, um überhaupt eine Chance auf einen Platz in der Gesellschaft zu haben. Die Krankheit ist für viele so mysteriös, dass diese lieber weggeschoben und verdrängt wird. In einer Gesellschaft, in der man noch nicht mal offen über eine Psychotherapie reden kann, ist eine Schizophrenie-Erkrankung ein absolutes Tabu. Ich rede oft offen darüber und ernte selbst bei guten Freunden abgeneigte Gesichter. Stellen Sie sich vor, Sie redeten in einem ersten Kennlerngespräch, in einem Speeddating oder einem Bewerbungsgespräch über psychische Probleme. Es ist dann vorprogrammiert, dass sich die Gesprächspartner anschließend leise verabschieden und nicht mehr wiedergesehen werden. Dabei könnten mehr Aufklärung und Interesse für diese faszinierende Erkrankung die zwischenmenschlichen Probleme lösen.

Man hört oft von der Stigmatisierung von psychisch Erkrankten. Was verstehen Sie darunter?

Psychisch Erkrankte werden alle unter eine Decke gesteckt. Es wird mir beispielsweise die Frage zugeflüstert, ob ich Psychopharmaka nehme, weil man laut darüber nicht spricht. Ja, nehme ich. Es ist einfach eine Tablette. Viele dauerhaft körperlich Erkrankte sind auf Medikamente angewiesen. Andere nehmen täglich auch Aspirin und schreien es in die Welt hinaus. Warum darf ich das nicht, sondern muss das unter vorgehaltener Hand sagen? Es geht einfach einher mit dem Beigeschmack des Merkwürdigen. Psychisch Erkrankte sind merkwürdig, schwach, kriegen ihr Leben nicht hin und hatten eine schwierige Kindheit. Sie sind wenig selbstbewusst und schwimmen bezüglich ihrer persönlichen Belange oder sind sogar gewaltbereit. Nein! Das ist nicht so! Physisch Erkrankte sind stark! Sie kämpfen sich immer wieder aus den unmöglichsten Situationen in das reale Leben zurück. Was ich in meinen Psychosen erlebt habe, war zum Teil grauenhaft. Ich habe mich nicht unterbuttern lassen, sondern bin daran gewachsen. Dazu braucht es einer gehörigen Portion Stärke. Doch viele Erkrankte glauben irgendwann selbst an das Bild, das die Gesellschaft von ihnen hat und stigmatisieren sich selbst. Ich zumindest spiele dieses Spiel nicht mit und bin stolz darauf, wie ich mich immer wieder aus den Krisen herausgekämpft habe. Wie viele andere psychisch Erkrankte, die nicht in den Topf des jämmerlichen Opfers geworfen werden wollen.

Sie haben ein Buch über Ihre Krankheitsgeschichte geschrieben. Warum sollte man dieses lesen?

Damit man diese Krankheit besser verstehen lernt. Ich habe meine Gedanken im Wahn in kleine Notizbücher gekritzelt. Diese wahnhaften Ideen aus den Notizbüchern und meine bei Gesundung dann darauffolgende Reflektion darüber sind Inhalt des Buches. Ich möchte ein Beispiel geben, welche Ausprägungen eine solche Erkrankung haben kann und das Faszinierende dieser Erkrankung dem Leser näherbringen.

Frau Jänsch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Autorin:
Lara Jänsch, geboren 1980 und behütet aufgewachsen in einem Vorort von Bonn, studierte Geschichtswissenschaften und promovierte auch in diesem Fach. Als sie an Schizophrenie erkrankte, durchkreuzte dies ihre Pläne, in der Forschung Karriere zu machen. Die Krankheit veränderte alles – und zwang sie zu einem Neuanfang und Leben mit der Schizophrenie.

Bibliografische Angaben:
Macht.Wahn.Sinn. Der rätselhaften Krankheit Schizophrenie auf der Spur, Berlin 2021, 184 Seiten, 12 x 19 cm, Klappenbroschur, ISBN: 9783958942011, 15 Euro.

Überall im stationären Buchhandel oder unter www.omnino-verlag.de.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


CAPTCHA-Bild
Bild neu laden