Verfasserin: Rechtsanwältin Ingrid Heinlein, Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf
1. Art. 9 Abs. 3 GG schützt eine Gewerkschaft auch darin, der Arbeitgeberseite in einer konkreten Tarifverhandlungssituation Angaben über ihren Organisationsgrad und die Verteilung ihrer Mitglieder in bestimmten Betrieben vorzuenthalten.
2. Verlangt ein Arbeitgeber während laufender Tarifvertragsverhandlungen von seinen Arbeitnehmern die Offenlegung ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit, handelt es sich um eine gegen die gewerkschaftliche Koalitionsbetätigungsfreiheit gerichtete Maßnahme.
Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 18.11.2014 – 1 AZR 257/13 –
Der Arbeitgeber darf Stellenbewerber vor der Einstellung nicht nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft fragen. Er darf die Einstellung auch nicht vom Austritt aus der Gewerkschaft abhängig machen. Dies ist in der Rechtsprechung des BAG geklärt (Urteil vom 2.6.1987 – 1 AZR 651/85, Beschluss vom 28.3.2000 – 1 ABR 16/99) und einhellige Meinung in der Literatur.
Nun hatte das BAG darüber zu entscheiden, ob ein Arbeitgeber die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit fragen darf. Klägerin war die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die Mitglied der dbb tarifunion ist, Beklagte ein kommunales Unternehmen, das u.a. im Personennahverkehr tätig ist und dem Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern (KAV) angehört. Der KAV schloss im Jahr 2006 mit der dbb tarifunion und der Gewerkschaft ver.di jeweils einen gleichlautenden “Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Bayern”. Die Beklagte wandte diese Tarifverträge in ihrem Unternehmen an.
Nach Kündigung der Tarifverträge durch die dbb tarifunion und ver.di einigten sich der KAV und ver.di über den Abschluss eines neuen Tarifvertrages, während die dbb tarifunion die Verhandlungen für gescheitert erklärte und die Durchführung einer Urabstimmung beschloss. Daraufhin schrieb die Beklagte an die “Tarifbeschäftigten des Unternehmensbereichs Verkehr”, unterrichtete sie über das Ergebnis der Tarifverhandlungen, erklärte, GDL Mitglieder könnten keine Ansprüche aus der Einigung mit der Gewerkschaft ver.di geltend machen und bat um Beantwortung der in einem Anlageschreiben enthaltenen Frage, ob der/die Beschäftigte Mitglied der GDL sei. Zur Erläuterung erklärte die Beklagte, die Beantwortung der Frage sei zur Umsetzung des mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrages notwendig und sie werde bei denjenigen, die die Frage nicht beantworteten, davon ausgehen, dass sie keinen Anspruch auf Umsetzung des Tarifergebnisses hätten.
Die amtlichen Leitsätze des Urteils vermitteln den Eindruck, der Arbeitgeber dürfe unter keinen Umständen während laufender Tarifverhandlungen nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft fragen. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich aber, dass das Gericht auch geprüft hat, ob die von der Beklagten angeführten Gründe für die Befragungsaktion den Eingriff in die Koalitionsfreiheit rechtfertigen.
Das war hier nicht der Fall, denn aus dem mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag ergibt sich nur eine normative Verpflichtung gegenüber den Mitgliedern von ver.di (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 S. 1 TVG). Gründe für die Befragung gab es auch nicht wegen des Inhalts der in den Formularverträgen der Beklagten verwendeten Bezugnahmeklauseln, weil in ihnen nicht nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft differenziert wird. Ebenso wenig war die Frage notwendig, damit die Beklagte auf einen etwaigen Streikdruck der GDL mit einer Aussperrung von deren Mitgliedern reagieren konnte, denn, so das BAG unter Hinweis auf seine Rechtsprechung, bei einer Auseinandersetzung um einen Verbandstarifvertrag kann nur der Arbeitgeberverband die Aussperrung erklären, und außerdem verletzt eine Aussperrung, die nur die Mitglieder der streikenden Gewerkschaft erfasst, die Koalitionsbetätigungsfreiheit der kampfführenden Gewerkschaft.
Fazit
Das Urteil beschränkt sich auf die Zulässigkeit einer Frage nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft in einer Tarifverhandlungssituation. Offen bleibt daher, ob der Arbeitgeber nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft fragen darf, wenn ein Tarifvertrag abgeschlossen wurde, d.h. im konkreten Fall, ob der Arbeitgeber das Recht gehabt hätte, nach der Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ver.di zu fragen. Wenn es dafür keine anerkennenswerte Gründe gibt, etwa weil der abgeschlossene Tarifvertrag auf Grund der in den Formulararbeitsverträgen des Arbeitgebers verwendeten Bezugnahmeklauseln ohnehin für alle Beschäftigten gilt, ist dies sicher nicht der Fall.
Von Interesse ist die Gewerkschaftsmitgliedschaft besonders für Arbeitgeber, die an Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sind (Tarifpluralität). Das BAG erklärt in seiner Entscheidung ausdrücklich, es müsse nicht entscheiden, ob und unter welchen Umständen der Arbeitgeber in einem tarifpluralen Betrieb nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragen darf. Viele Fragen bleiben daher offen. Sie werden auch durch den Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit nicht gelöst, nach dem in Zukunft der Mehrheitstarifvertrag gilt, wenn Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften in einem Betrieb kollidieren. Zwar soll das Arbeitsgerichtsgesetz so geändert werden, dass der Beweis, welche Gewerkschaft die Mehrheit der Mitglieder stellt, durch Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden kann. Wenn sich aus diesen aber nicht klar ergibt, wer die Mehrheit hat, reichen sie zum Beweis nicht aus. Zudem kann weiterhin durch Bezugnahmeklauseln auf andere Tarifverträge verwiesen werden.
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