Das Autoreninterview führte Frau Mag. Claudia Blasi, Wirtschaftskammer Kärnten
(1) Blasi: Herr Landsberg, als Führungskräfte-Coach empfehlen Sie das Kombinieren von Leadership mit Mindfulness. Das Thema Achtsamkeit bezeichnen Sie sogar als den Megatrend des Jahrtausends. Warum?
TDL: Unsere Globalisierung, Technisierung, Überkomplexität, permanente mediale Überreizung und chronische Überbeanspruchung hat ihren Preis, weil überwiegend nur noch der Modus Aktivität und Anspannung als eine Art Normzustand gelebt wird. Ein “always on” ist für viele Führungskräfte und Mitarbeiter leider normal geworden, um den hohen Workload überhaupt noch bewältigen zu können. Seit geraumer Zeit spiegelt sich das in Studien diverser Krankenkassen unter anderem in den jährlich steigenden Burnout-Zahlen, psychosomatischen und psychischen Erkrankungen wider.
Mit diesem eigentlich genauen Gegenteil von Achtsamkeit geht oft eine unbewusste emotionale Abstumpfung und Distanzierung vom eigenen Selbst einher, weil wir im “Autopiloten” leichter in dieser Gemengelage funktionieren und scheinbar erfolgreicher sein können. Im Grunde ist das jedoch ein Notprogramm, welches sich auf Dauer zerstörerisch auf unsere körperliche und mentale Verfassung und auf ganze Unternehmen auswirkt.
Das Erleben von Harmonie, sei es beim einzelnen Menschen als auch in einem betriebswirtschaftlich ausgerichteten System, braucht einen steten Wechsel von Anspannung und wieder Entspannung – also Aktivitäts- und dann auch wieder Erholungsphasen. So erleben wir am gegenüberliegenden Pol seit einiger Zeit, dass analog die Angebote in den Bereichen Gesundheitsmanagement, Resilienz und Mindfulness von Jahr zu Jahr ebenfalls zunehmen – bei denen es im Kern ja um das Thema Achtsamkeit geht.
Viele Menschen verspüren aufgrund ihrer Überreizung ein tiefes Bedürfnis danach, wieder in Balance zu kommen. Namhafte Konzerne, wie z.B. BMW, Siemens, Bosch, RWE, SAP, Google, bieten teils schon seit 10 – 15 Jahren ganz selbstverständlich und über alle Hierarchieebenen hinweg Achtsamkeitspausen, Mindfulness- und Meditationskurse oder kostenlose Konsultationen von Achtsamkeits-und Mental-Coaches an. Dieser Megatrend ist deshalb auch keine nur temporäre Erscheinung. Beeindruckende Erfolgstories, wie zum Beispiel die der Hotelkette Upstalsboom und ihrem Inhaber Bodo Janssen, die das Thema Achtsamkeit vorbildlich in ihrem Unternehmen und der Führungskultur etabliert haben, belegen mittlerweile, dass ein solches Mindset nicht nur Krankenstände und Fluktuationsraten deutlich senkt, sondern der neue Spirit sich auch aus einer betriebswirtschaftlichen Sicht in signifikanten Umsatz- und Ertragssteigerungen niederschlägt.
Und immer mehr Menschen – besonders auch die so dringend gesuchten Nachwuchstalente – bringen heute schon in jungen Jahren ein hohes Bewusstseinslevel und starkes Selbstbewusstsein mit, das sich z.B. zeigt in hohen Erwartungen in Richtung wertschätzender, achtsamer Führung und reifen Führungspersönlichkeiten mit Vorbildcharakter – sowohl aus humanistischer als auch aus spiritueller Sicht.
(2) Blasi: Sie bezeichnen Mitarbeiter und Führungskräfte als das Herz des Unternehmens. Was braucht es, damit dieses Herz mit voller Kraft schlägt?
TDL: Wenn wir die Metapher des schlagenden Herzens innerhalb eines lebendigen Organismus (= das Unternehmen) aufgreifen und weiterentwickeln, dann braucht es im ersten Schritt die Bereitschaft der im Unternehmen arbeitenden Menschen (= die Herzmuskelzellen), sich mit den anderen Herzmuskelzellen und dem kompletten Organsystem verbunden zu fühlen und in eine Art Gleichklang kommen zu wollen.
Aus der Physik ist allgemein bekannt, dass aus einer elektromagnetischen Perspektive alles mit allem verbunden ist. So kann man generell in Systemen und deshalb natürlich auch in einem Unternehmen gut erkennen, wenn einzelne Zellen (= Mitarbeiter oder Führungskräfte) sich nicht zum Wohle des Organismus verhalten. Dies wirkt sich immer toxisch auf das Gesamte aus und wird den Organismus früher oder später von innen heraus zerstören. Aus Studien weiß man, dass die meisten Unternehmen, die in eine Insolvenz gehen müssen, von innen heraus scheitern.
Wenn also in einem Unternehmen eine im Grunde menschenverachtende Haltung gelebt wird – sei es in Form einer andauernden krankmachenden Arbeitsbelastung, destruktiv-achtloser Kommunikationsmuster und mangelnder Wertschätzung – dann wird das Herz früher oder später brechen. Das bedeutet, die im Unternehmen arbeitenden Menschen werden ebenso mit destruktivem Widerstand in ihrem Arbeitsverhalten antworten, krank werden, kaum Kreativität mehr anbieten, im Innen und Außen schlecht über das Unternehmen und ihre Führungskräfte sprechen und Leistungsträger werden das Unternehmen verlassen.
Wenn wir jetzt diese Abwärtsspirale um 180 Grad herumdrehen, offenbaren sich uns sofort sinnvolle Lösungswege, wie z.B. achtsamer Umgang mit den Ressourcen (= Mitarbeiter), lösungsorientierte und wertschätzende Kommunikation und insgesamt gesundheitsbewusste Führung. Das alles bedeutet ja nicht, dass nicht auch intensiv gearbeitet wird, doch sind das “Warum” und das “Wie” von zentraler Bedeutung.
Im ersten Schritt geht es darum, sich auf dieses Mindset einzulassen und zu committen, um es dann auf jeder Hierarchieebene auch tatsächlich spürbar zu leben. Veränderung fällt selten leicht, deshalb sollten Unternehmen sich in diesen Phasen fachmännische Unterstützung durch erfahrene Coaches an Bord holen, die solche Prozesse professionell begleiten.
(3) Blasi: Die aktuelle Krise hat in vielen Betrieben zu Veränderungen geführt. Wie gelingt es, mit dem Wandel umzugehen, Veränderung zuzulassen, sie positiv zu nutzen?
TDL: Auch wenn Vorstände und Geschäftsführer möglicherweise den nachvollziehbaren Wunsch hegen, schnell zu einer “neuen Normalität” zurückzukehren und die Krise bald abzuhaken, sind gerade jetzt alle Führungsebenen gefragt, den Wandel seriös zu begleiten. Seriosität heißt für mich an der Stelle das Sicherstellen eines menschlichen, mitfühlenden Miteinanders. Machen Sie sich bewusst, dass eine emotionale Verarbeitung dieser andauernden Krise bei den Mitarbeitern und vermutlich auch den Führungskräften selbst noch gar nicht passieren konnte. Deshalb ist es gerade jetzt besonders wichtig, um die Mitarbeiter nicht emotional zu verlieren, immer wieder Raum für Gespräche anzubieten, in denen das Erlebte als Team und auch mit jedem einzeln verarbeitet werden kann. Wie generell in Changeprozessen, wäre es gerade jetzt ein fataler Fehler, schnell zur Tagesordnung zurückkehren und diese Verarbeitungsphasen einfach überspringen zu wollen. Erst nach einem Prozess der gemeinsamen Aufarbeitung, der uns auf Sicht noch etwas begleiten wird, werden die Menschen sich bereit und innerlich aufmachen, sich tatsächlich auf Veränderungen einzulassen und neue Chancen zu sehen. Dies ist für alle Betroffenen ein persönlicher Prozess, der über alle Hierarchiestufen hinweg empathischer Führung und auch weiterhin viel achtsamer Kommunikation bedarf.
(4) Blasi: Sie beschäftigen sich seit 25 Jahren mit dem Thema Achtsamkeit und nach Ihrer Überzeugung fließt Energie immer dorthin, worauf Menschen sich fokussieren. Wie können wir es denn in der aktuellen Lage schaffen, stets das Positive im Blick zu behalten?
TDL: Happiness is an inside job! Und tatsächlich ist die gute Nachricht, dass jeder Mensch das für sich erreichen kann. Es braucht lediglich gezieltes Training des sogenannten Achtsamkeitsmuskels, denn Achtsamkeit bedeutet nicht einfach lässige Tiefenentspannung und Komfortzone, sondern ist ein höchst aktives Geschehen. Ein Geheimnis dabei lautet: Bewusste Fokuslenkung. Von der inneren Haltung her ist es aus meiner Sicht allerdings hilfreich, sich keine unerfüllbaren Erwartungen aufzubürden. Im Grunde ist es uns zu Beginn kaum möglich, dauerhaft das Positive zu erkennen.
Genetisch sind unsere Wahrnehmungsfilter als eine Art evolutionäre Überlebenssoftware dergestalt konfiguriert, dass wir generell eher Gefahren, Bedrohliches und Negativität in unser Bewusstsein lassen. Doch war dieses Programm nicht dazu gedacht, rund um die Uhr auf Hochtouren zu laufen, so wie wir das heute meistens leben, indem durch dauerhafte Überspannung unserem Unterbewusstsein permanente Gefahr signalisiert wird. Denn natürlich stimmt das so nicht.
Zu Beginn geht es darum, den Status-quo überhaupt erst mal bewusst wahrzunehmen und dann genau das zu akzeptieren, was wir gerade vielleicht als negativ, bedrohlich, unangenehm oder schmerzhaft wahrnehmen. Das beinhaltet auch, uns selbst zu 100 Prozent als einzigartigen, liebenswerten Menschen zu akzeptieren, und zwar genau so, wie wir in diesem Moment gerade sind. Also auch dann, wenn wir uns als hilflos, unfähig oder destruktiv empfinden. All das ist zutiefst menschlich und darf sein.
Erst nach dieser bewussten Selbstakzeptanz, die heilend wirkt, werden wir es zulassen können, den Fokus unserer Aufmerksamkeit und Wahrnehmung auf all das Positive zu richten, das immer schon da war, und all die Chancen und Lösungen zu sehen, die genauso zahlreich vorhanden sind, die wir jedoch vorher ausgeblendet hatten. Eine weitere sinnvolle Maßnahme kann es sein, eine Metaposition einzunehmen und quasi “von oben” auf das Geschehen zu blicken. So lassen sich schwierige Situationen oft besser relativieren und ein Weg aus dem gefühlten Labyrinth finden. Diese Skills sind von jedermann erlernbar – und genau zu diesen Themen liefert das Buch eine Vielzahl wirksamer und leicht umsetzbarer Übungen, um die so machtvolle Fokuslenkung zu erleichtern.
(5) Blasi: Führung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Worauf kommt es aus Ihrer Sicht heute an – in großen wie in kleinen Teams?
TDL: Viele gestandene Führungskräfte, die in Linienorganisationen und engen Strukturen formaler Macht groß geworden sind, erleben gerade, dass die alten Modelle nicht mehr gut greifen und in zunehmen agilen Strukturen das traditionelle “Command & Control” überwiegend ausgedient hat.
Moderne Führung heißt heute “situative Führung” und ist ein bunter Mix unterschiedlicher Stile und Methoden. Hierdurch kann eine Führungskraft auf jeden einzelnen Mitarbeiter und die individuellen Gegebenheiten heterogener Teams unterschiedlicher Größe eingehen. An dieser Stelle kommt erneut das Thema Achtsamkeit als wesentliches Erfolgskriterium ins Spiel, denn es geht um die trainierbare Fähigkeit, feine Signale und subtile Stimmungen wahrnehmen und decodieren zu können. Die hieraus resultierende Vielfalt macht es einerseits für Leader unglaublich spannend und attraktiv – und gleichzeitig auch überaus anspruchsvoll. Selbstreflexion und ein gutes Selbstmanagement sind für Führungskräfte deshalb wichtiger denn je.
Führungskräfte sind heute immer weniger als Spezialisten gefragt, sondern viel mehr als empathische Moderatoren und Prozessbegleiter, die nicht als “Herrscher”, sondern als “Dienende” für ihre Mitarbeiter die Rahmenbedingungen schaffen, gemeinsam erfolgreich zu sein.
Um in einem Unternehmen den “richtigen” Führungsstil respektive die passende Führungskultur zu etablieren, braucht es im Vorfeld eine gute Analyse der aktuell gelebten Kultur und Stimmung im Unternehmen, der generellen Ausrichtung und Unternehmensstrategie und der Branchenspezifika. Vor allem braucht es die adäquate innere Haltung und Bereitschaft der Verantwortlichen, Veränderung, wo sie notwendig ist, tatsächlich zu wollen und Top-down mitzutragen.
Um diese Ziele in einem weitgehend konstruktiven Betriebsklima zu erreichen, benötigen Unternehmen und deren Mitarbeiter aus meiner Sicht neben professionellem Coaching und Verhaltenstraining auch eine passende Personalpolitik. Denn es gilt im Recruiting genau die Menschentypen zu finden, die nicht gegen innere Widerstände, sondern mit Freude und Begeisterung tatsächlich in dem Umfeld und in der angestrebten Kultur arbeiten möchten. Der Einsatz einer guten Persönlichkeitsdiagnostik ist meiner Meinung nach dabei überaus hilfreich.
(6) Blasi: Haben Sie praktische Tipps für Führungskräfte, die sich einfach umsetzen lassen?
TDL: Gerade von Führungskräften wird ja oft Übermenschliches erwartet. Deshalb achten Sie bei allem Qualitäts- und Perfektionsanspruch gut auf sich selbst! Lernen Sie, wieder mehr auf Ihre innere Stimme und Ihre wahren Bedürfnisse zu hören. Je besser es Ihnen selbst geht, umso effektiver werden Sie für das Wohlbefinden und den Erfolg anderer sorgen können.
Machen Sie jeden Tag bewusste Pausen, setzen Sie sich dazu fixe Blocker im Kalender und nehmen Sie sich diese Zeit nur für sich. Schalten Sie regelmäßig – besonders in Ihren Pausen und am Feierabend – alle Kommunikationsgeräte ab und seien Sie ganz bei sich.
Bewegen Sie sich oft in der Natur und nehmen Sie dabei Ihre Umgebung, Geräusche, Farben, Gerüche, die frische Luft, Temperatur und Ihren Atem ganz bewusst wahr. Beschäftigen Sie sich mit Sinnfragen – sei es in Bezug auf Ihr alltägliches Handeln als auch auf Ihr Sein an sich. Gönnen Sie sich hierzu regelmäßige Reflexion mit einem kompetenten und vertrauensvollen Gesprächspartner oder neutralen Coach.
Leben, lieben und lachen Sie viel. Machen Sie sich jeden Tag bewusst, für was alles in Ihrem Leben Sie von Herzen dankbar sein können. Und manchmal heißen die beiden Zauberwörter für ein glückliches Leben einfach NEIN und STOPP.
Coaching – Training – Achtsamkeit
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