(ddp direct) Nürnberg, 24. Oktober 2013: Wenn Prozesse digitalisiert werden, führt dies in der Regel zu einem Effizienzgewinn. Aus diesem Grund scannen viele Unternehmen ihre Papierbelege ein, um sie elektronisch weiterverarbeiten zu können. Nicht so leicht zu lösen ist allerdings die Frage, wann die Originale auf Papier vernichtet werden dürfen. Die einschlägigen Gesetze und Richtlinien lassen dies zwar unter bestimmten Umständen zu – fördern damit aber rechtliche Unsicherheit. Für Unternehmen geht es dabei um beträchtliche Kosten: Auf 3,2 Milliarden Euro pro Jahr schätzt das Statistische Bundesamt allein die Aufwendungen für das Aufbewahren von Rechnungen – die damit aktuell teuerste “Bürokratievorschrift”. Um zu dokumentieren, wie verschiedene digitale Scan- und Speicherverfahren in einem gerichtlichen Verfahren bewertet würden, führt die Universität Kassel gemeinsam mit der DATEV eG eine Simulationsstudie zum Ersetzenden Scannen durch.
Über “Referenz-Urteile” will die Studie Anhaltspunkte geben, wie ein mustergültiger und rechtlich einwandfreier Digitalisierungsprozess aussieht. Entscheidend dabei ist, dass dieser sowohl der Richtlinie RESISCAN des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) als auch dem Berufsrecht der Steuerberater genügt und dass seine Resultate in einem Streitfall auch vor Gericht Bestand haben. “Wir wollen die bestehenden Gesetze mit Leben füllen und praktisch greifbar machen”, fasst Prof. Alexander Roßnagel vom Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Kassel die Zielsetzung der Simulationsstudie zusammen. “Vor allem sollen die Ergebnisse aber dazu beitragen, über konsequente Digitalisierung den administrativen Aufwand für Unternehmen zu verringern”, ergänzt Michael Seyd, Mitglied der Geschäftsleitung bei der DATEV und verantwortlich für die strategische Unternehmensentwicklung. Voraussichtlich werden sich im Verlauf der Studie abweichende Vorgaben für die unterschiedlichen Klassen von Dokumenten wie Rechnungsbelegen, Verträgen, Schriftstücken mit und ohne Unterschrift herauskristallisieren.
14 Gerichtsverfahren in zwei Tagen
Die Simulationsstudie wird zwei Tage dauern und 14 Gerichtsverfahren umfassen. Unter verschiedenen Gesichtspunkten werden dabei realitätsnahe Streitfälle verhandelt, bei denen sich eine Seite ausschließlich auf die elektronische Form eines ursprünglichen Papierbelegs beruft. Diese “Digitalisate” (so der in Fachkreisen übliche Ausdruck) sind unter Einsatz unterschiedlicher Technik und organisatorischer Vorgaben entstanden. Wichtig dabei ist, wie die Prozesskette vom Eingang eines Belegs über das Scannen, die Nachbearbeitung, die Integritätssicherung bis hin zur Ablage gestaltet sein muss, damit ein Richter dem elektronischen Abbild einen dem Original entsprechenden juristischen Beweiswert zubilligen kann.
Partner bei der Umsetzung der Simulationsstudie, die erstmals sowohl für die Finanz- als auch die Zivilgerichtsbarkeit durchgeführt wird, ist das Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Kassel mit Prof. Alexander Roßnagel. Dieser ist dort auch Direktor des Forschungszentrums für Informationstechnik-Gestaltung und leitet die Projektgruppe “verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet)”. Die insgesamt zehn Verfahrensbeteiligten sind Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und Sachverständige aus dem IT-Prüfungs- und Zertifizierungsbereich. Sie bearbeiten den jeweiligen Sachverhalt in einem simulierten Gerichtsverfahren. Dabei können die Richter und Prozessbeteiligten in der Prozessdynamik den wesentlichen Beweiswürdigungen nicht ausweichen und müssen zu einem Urteil kommen.
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