Verfasserin: Rechtsanwältin Maike Koll, Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf
1. Der Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbing kann verwirken. Dafür genügen jedoch ein bloßes “Zuwarten” oder die Untätigkeit des Anspruchstellers nicht.
2. Die von der Rechtsprechung entwickelte Einrede der Verwirkung darf die gesetzlichen Verjährungsfristen nicht unterlaufen.
Leitsätze der Verfasserin
(BAG, Urteil vom 11.12.2014, Az. 8 AZR 838/13,
Pressemitteilung Nr. 65/14 vom 11.12.2014)
Die Parteien stritten um Schmerzensgeldansprüche wegen Mobbings. Der Kläger war der Auffassung, sein Vorgesetzter habe ihn gemobbt und dadurch erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten bei ihm ausgelöst. Im Jahr 2007 war der Kläger 52 Tage arbeitsunfähig, im Jahr 2008 an 216 Tagen und im Jahr 2009 durchgehend krankgeschrieben. Das Arbeitsgericht Nürnberg hatte mit Urteil vom 20.07.2011, Az. 7 Ca 8046/10, die Klage des Klägers abgewiesen. Das vom Kläger beanstandete Verhalten des Vorgesetzten lasse sich nicht als ein systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Bedrohen eines Arbeitnehmers bewerten. Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch daher nicht zu. Im Übrigen – so das Arbeitsgericht Nürnberg – wäre ein solcher Anspruch verwirkt.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg legte der Kläger Berufung ein. Aber auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg blieb dabei: Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch nicht zu. Mit den vom Kläger vorgebrachten Mobbingvorwürfen setzte sich das Gericht in seinem Urteil vom 25.07.2013 (Az. 5 Sa 525/11) jedoch nicht weiter auseinander, weil etwaige Schmerzensgeld- oder Entschädigungsansprüche des Klägers als verwirkt anzusehen seien.
Der Kläger habe mit der Geltendmachung seines Schmerzensgeldanspruchs fast zwei Jahre gewartet. Damit habe er die Interessen des Beklagten missachtet, mit Schmerzensgeldansprüchen nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.
Es läge ein Verstoß gegen Treu und Glauben vor. Denn der Beklagte habe mit der Möglichkeit, sich prozessual gegen Mobbingansprüche zur Wehr setzen zu müssen, und damit mit der Geltendmachung dieser Ansprüche nicht mehr rechnen müssen. Zur Begründung führt das LAG Nürnberg wie folgt aus: “Dafür, dass sich der Beklagte hierauf eingestellt hat, spreche die allgemeine Lebenserfahrung.”
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger erfolgreich Revision beim BAG ein.
Das BAG sieht den Anspruch des Klägers nicht als verwirkt an. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Recht verwirkt, wenn es längere Zeit nicht ausgeübt worden ist (sog. Zeitmoment) und der andere darauf vertraut hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen und ihm die Erfüllung nach Treu und Glauben auch nicht mehr zuzumuten ist (sog. Umstandsmoment). Entgegen der Auffassung des LAG Nürnberg ist ein bloßes Zuwarten des Klägers allerdings nicht als treuwidrig anzusehen. Ein Unterlassen – so das BAG – begründet nur dann ein Umstandsmoment, wenn aufgrund zusätzlicher besonderer Umstände eine Pflicht zur zeitnahen Geltendmachung besteht. In der vorzunehmenden Gesamtabwägung darf nicht auf eventuelle Beweisschwierigkeiten auf Seiten des Anspruchsgegners abgestellt werden. Schließlich darf das durch Richterrecht geschaffene Institut der Verwirkung in seiner Anwendung nicht dazu führen, dass die gesetzliche Verjährung unterlaufen wird.
Da das BAG das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen hat, wird Landesarbeitsgericht nunmehr zu prüfen haben, ob tatsächlich ein Mobbingsachverhalt festzustellen ist.
Fazit:
Die Entscheidung des BAG stärkt die Rechte von Mobbingopfern insoweit, als von den bereits bestehenden Problemen bei der Geltendmachung von entsprechenden Ansprüchen zumindest eines entschärft wurde – nämlich das der Verwirkung. Einen Mobbingsachverhalt darzulegen und zu beweisen stellt erfahrungsgemäß bereits eine hohe Hürde dar, zumal sich Mobbingfälle häufig über eine lange Zeit erstrecken und Mobbingopfer selten so vorausschauend reagieren, dass sie spätere Schadensersatzansprüche durch Mobbingprotokolle o.ä. absichern.
In diesem Zusammenhang hat das BAG jetzt dem Versuch des Arbeitgebers eine Absage erteilt, sich seiner Verantwortung auch noch durch die Berufung auf eine Verwirkung von Ansprüchen zu entziehen. Diese würde anderenfalls dazu führen, dass Ansprüche sogar noch vor Ablauf der normalen Verjährungsfrist (grundsätzlich 3 Jahre zum jeweiligen Jahresende) verfallen könnten. Mobbingopfer wären also gezwungen gewesen, ihre möglichen Ansprüche noch schneller geltend zu machen, was schon nach dem typischen Verlauf der meisten Fälle erhebliche Probleme verursacht. So sind Mobbingsachverhalte häufig auch Auslöser von längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten, die eine zeitnahe Wahrnehmung der Rechte erheblich erschweren. An der Problematik, dass sich Mobbingsachverhalte vor Gericht schwer im Detail darstellen und häufig noch schwerer beweisen lassen, kann allerdings auch die besprochene Entscheidung des BAG nichts ändern.
Grundsätzlich gilt auch weiterhin, dass Mobbing (Definition wie § 3 Abs. 3 AGG zur Belästigung) in der Regel erst dann geltend gemacht werden kann, wenn über einen längeren Zeitraum das unerwünschte Verhalten vom Opfer dokumentiert wurde (Mobbingprotokoll). Ein Formular findet sich z.B. unter http://www.ruedigerhelm.de/wp-content/uploads/2008/05/mobbing-protokoll.pdf
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