Auslieferungsabkommen – Europäischer Haftbefehl – Verbot der mehrfachen Strafverfolgung steht Auslieferung entgegen
Düsseldorf, 20. Januar 2014, Fachanwalt für Strafrecht, Strafverteidiger
“Ne bis in idem”, das Verbot der mehrfachen Strafverfolgung, garantiert grundsätzlich jedem Menschen die Einmaligkeit der Strafverfolgung wegen derselben Tat. Dieser Grundsatz verbietet nach dem kontinentaleuropäischen Verständnis, dass ein Mensch wegen desselben historischen Sachverhalts mehrfach strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Dabei kommt es – und das ist oft für die Verteidigung im Auslieferungsverfahren von entscheidender Bedeutung – auf den historischen Sachverhalt an, nicht auf die möglicherweise unterschiedliche rechtliche Qualifikation der einen Tat in verschiedenen Staaten.
Das Verbot der mehrfachen Strafverfolgung hat gerade auch eine internationale Dimension, insofern als sich aus dem Grundsatz “ne bis in idem” ein Auslieferungshindernis ergeben kann. Im vertragslosen Auslieferungsverkehr gilt § 9 Nr. IRG, wonach eine Auslieferung an einen anderen Start ausscheidet, wenn in Deutschland bereits eine rechtskraftfähige Entscheidung über die Tat derselben Person – ggfs. auch eine freisprechende Entscheidung – getroffen worden ist.
Das Auslieferungshindernis besteht aber auch bei anderen gerichtlichen Entscheidungen bezüglich derselben Tat, etwa bei der Ablehnung der Eröffnung der Hauptverhandlung (§ 204 StPO) oder der Einstellung des Verfahrens nach der Erfüllung von Auflagen oder Weisungen (§ 153a StPO). In diesen Fällen ist die Auslieferung unzulässig, weil dadurch Strafklageverbrauch eingetreten ist.
Im Einzugsbereich des europäischen Haftbefehls ergänzt § 83 Nr. 1 IRG die Regelung des § 9 Nr. 1 IRG, insofern als nicht nur eine Aburteilung der Tat in Deutschland ein Auslieferungshindernis darstellt, sondern auch eine Aburteilung in einem anderen Mitgliedstaat der EU. Ist es im Inland zu einer Aburteilung noch nicht gekommen, sondern ist erst ein Ermittlungsverfahren anhängig, steht das der Zulässigkeit der Auslieferung nicht per se entgegen. Die Bewilligungsbehörde kann deswegen jedoch die Auslieferung ablehnen (§ 83b Nr. 1 IRG, Art. 8 EuAlÜbk).
Das OLG Hamm ((2) 4 Ausl. A 49/09 (134/09) hat beispielsweise mit Beschluss vom 14. Mai 2009 die Auslieferung eines Verfolgten in das Vereinigte Königreich Großbritannien für unzulässig erklärt, weil das Amtsgericht Witten den Verfolgten mit rechtskräftigem Strafbefehl wegen derselben Tat bereits wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt hatte. Aus der Sicht der Strafverteidigung bemerkenswert ist, dass die Staatsanwaltschaft Bochum das Ermittlungsverfahren erst nach Eingang des britischen Rechtshilfeersuchens eingeleitet hatte, das dann zur Verurteilung durch das Amtsgericht Witten führte. Das Auslieferungshindernis entstand also erst nach Eingang des Auslieferungsersuchens. Man kann sich als Insider gut vorstellen, dass das der Erfolg aktiver Strafverteidigung war.
Für die Verteidigungsstrategie im Auslieferungsverfahren von großer Bedeutung ist auch eine frühere Entscheidung des OLG München. Darin hat das OLG München (Beschl. v. 04. 12. 2006 – Ausl 262/06 (92/06)) in einem Fall umfangreicher grenzüberschreitender Anlegerschädigungen den Begriff “wegen derselben Tat” sehr weit erstreckt. Grundlage war ein Urteil des Landgerichts Augsburg auf der einen Seite und ein Europäischer Haftbefehl der finnischen Behörden auf der anderen Seite. Die beiden Gerichtsentscheidungen unterschieden sich dadurch, dass das Urteil des Landgerichts Augsburg die Schädigung deutscher Staatsangehöriger und der finnische Europäische Haftbefehl die Schädigung finnischer Anleger durch dieselben Täterstrukturen zum Gegenstand hatte. Das Handeln des Verfolgten bewertete das OLG München als einheitlichen Lebenssachverhalt, was zur Annahme “derselben Tat” und damit auch zu einem Auslieferungshindernis führte.
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