Wenn heute über Unternehmensstrategien diskutiert wird, klingt das oft schriller als in einem Trainings-Camp für Spitzensportler. Wo es im Kern um Fairness, Leistung und Talent gehen sollte, herrscht ein Gedränge von “Experten”, in dem die eigentlichen Leistungsträger beinahe untergehen. Diverse Trainer, Manager und Visionäre wissen angeblich am besten, was zu tun ist – und vor allem, was sich ändern muss. “Agilität” heißt das neue Zauberwort: Alles soll beweglich werden, und jeder Wunder-Doktor stellt in Aussicht, dass nur seine Tricks oder Tinkturen dem Unternehmen Beine machen.
Ob Design Thinking, SCRUM oder Barcamps, die Rezepte der einschlägigen Ratgeber sind unerschöpflich. Und wenn die Firma selbst kein Gramm zu viel mehr auf den Rippen hat, dann sind die Führungskräfte an der Reihe. Psycho-Taktiker ermitteln ihren Persönlichkeitstyp und schreiben ihnen vor, wie sie zu sein haben: mutig, querdenkend, disruptiv und eben: agil Vor lauter Arbeit an sich selbst kommt man kaum noch dazu, in Ruhe was zu tun.
Sicher: Bewegung ist wichtig. Unsere Welt ist unruhiger geworden. Unternehmen müssen sich verändern. Es geht um weitreichende Entscheidungen, und das meist bei schlechter Sicht. Auch dafür kursiert bereits ein Modewort: Wir leben in einer VUCA-Welt (volatility, uncertainty, complexity and ambiguity), wo nur die Agilsten weiterkommen.
Aber beweglich wird man nicht durch Pillen oder Pulver. Gegen VUCA gibt es kein VIAGRA und für Agilität kein Patentrezept. Denn im Zentrum von Veränderungen stehen Menschen die alle unterschiedlich ticken, und jedes Unternehmen hat seine eigene Kultur. Wer darauf pauschal mit dem Schlagwort “Agilität” antwortet, löst bei Mitarbeitern nicht selten Widerstand aus oder gleich großes Gelächter.
Hauptsache agil? Oft genug steckt dahinter nichts als Aufregung über das neueste Buzzword aus den USA. So geht der Impuls zur Veränderung völlig am Ziel vorbei. Denn die Frage, was damit konkret erreicht werden soll bleibt oftmals außen vor. Stattdessen schaut man neidisch nach Silicon Valley und will, dass das eigene Unternehmen genau so geschmeidig und agil aufgestellt ist. Aber wer sagt denn, dass Veränderung in jedem Fall Erfolg bedeutet? Zumal Agilität dem Wunsch eines Großteils der Belegschaft nach Stabilität und Sicherheit entgegensteht – übrigens sagen das auch zahlreiche Studien über die viel gepriesene Generation Z.
Natürlich müssen wir am Ball bleiben und bereit sein für Veränderung. Aber Agilität ist nicht die Antwort auf alle Fragen. Fit bleibt man nicht im Wettlauf der Rezepte. Viel entscheidender ist der Blick für die individuelle Situation und das richtige Fingerspitzengefühl. Damit bleiben wir am besten in Bewegung.
Bernd Lorenz Walter arbeitet seit über 20 Jahren als unabhängiger Berater für Strategieentwicklung unter besonderer Berücksichtigung der Kommunikation mit exzellenten Referenzen namhafter Unternehmen und Organisationen. Zu seinen Spezialgebieten zählen die Unternehmensstrategie- und kulturentwicklung, CSR/Nachhaltigkeitsmanagement sowie das Management und die Kommunikation von Veränderungen. In diesem Zusammenhang bereitet er auch als Medien,- Kommunikations- und Krisentrainer Führungskräfte auf ihren Auftritt vor und unterstützt sie, ihr Anliegen überzeugend auf den Punkt zu bringen. Als zertifizierter Lehrbeauftragter ist Bernd Lorenz Walter darüber hinaus an Hochschulen tätig. Er ist ein international gefragter Referent und Autor diverser Essays und bereits prämierter Buchbeiträge.
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