Betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte haben zwecks Mitgliederwerbung keinen Zugang zu kirchlichen Betrieben, wenn dort bereits Mitglieder arbeiten. Ein Fachbeitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Essen
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 08.09.2010, 2 Sa 24/10
Leitsätze des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg:
“Ein betriebliches Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Zwecke der Mitgliederwerbung in einem kirchlichen Betrieb ist in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.02.1981 jedenfalls dann verneint worden, wenn die Gewerkschaft im kirchlichen Betrieb bereits durch Mitglieder vertreten ist. Dieser Beschluss entfaltet im kirchlichen Bereich auch nach der Aufgabe der Kernbereichslehre zu Art. 9 Abs. 3 GG des Bundesverfassungsgerichts vom 14.11.1995 weiterhin Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG.”
15.03.2011. Gemäß Art.9 Abs.3 Grundgesetz (GG) ist für jedermann und für alle Berufe das Recht gewährleistet, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Damit sind insbesondere Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften gemeint.
Zunächst ging das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach allgemeinem Verständnis der von ihm veröffentlichten Entscheidungen davon aus, dass nur der Kernbereich der Koalitionsfreiheit geschützt ist. Die gewerkschaftliche Betätigung war danach nur insoweit geschützt, wie diese zum Erhalt und zwecks Sicherung ihrer Existenz unerlässlich war. Das BVerfG beschloss daher 1981, dass Gewerkschaften kein Recht auf Zugang zu kirchlichen Einrichtungen haben, wenn sie dort bereits durch Mitglieder vertreten sind (BVerfG, Beschluss vom 17.02.1981, 2 BvR 384/78).
Gemäß § 31 Abs.1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) binden Entscheidungen des BVerfG unter anderem auch alle Gerichte hinsichtlich des Tenors und der tragenden Gründe. Die Rechtslage zum gewerkschaftlichen Zugangsrecht zu kirchlichen Einrichtungen schien daher für den in dem Beschluss entschiedenen Fall geklärt.
Doch 1995 entschied das BVerfG, dass Art.9 Abs.3 GG nicht nur den Kernbereich der Koaltionsfreiheit schützt, sondern sämtliche “koalitionsspezifische Verhaltensweisen” erfasst sind (BVerfG, Beschluss vom 14.11.1995, 1 BvR 601/92). Nach eigener Darstellung wurde damit nur eine “missverständliche” Rechtsprechung geklärt. Andere sehen in dieser Entscheidung eine Aufgabe der Kernbereichslehre oder jedenfalls eine Änderung der Rechtsprechung.
In jedem Fall war danach offen, ob einer der tragenden Gründe der Entscheidung aus dem Jahr 1981 nun weggebrochen war und damit die Frage nach dem Zugangsrecht von Gewerkschaften zu kirchlichen Einrichtungen mit Mitgliederbestand sinnvoll neu gestellt werden durfte.
Eine im kirchlichen Bereich tätige Gewerkschaft meinte Ja und forderte von einem Klinikum der Diakonie Zugang zum Betriebsgelände zwecks Mitgliederwerbung. Es sollten an einem schwarzen Brett Aushänge platziert werden. Das Klinikum verweigerte sich dem Begehren mit Hinweis auf bereits im Betrieb tätige Gewerkschaftsmitglieder und die Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1981. Es kam zum Prozess, in dem zunächst das Arbeitsgericht Heilbronn entschied – und zwar zu Lasten der Gewerkschaft, denn das Gericht sah sich weiter an den Beschluss des BVerfG gebunden und hielt ihren Wunsch auch in der Sache für unbegründet (Urteil vom 04.03.2010, 7 Ca 693/09).
Über die von der Gewerkschaft eingelegte Berufung entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (Urteil vom 08.09.2010, 2 Sa 24/10). Es urteilte ebenfalls gegen die Gewerkschaft. Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1995 ausdrücklich an seiner früheren Rechtsprechung festgehalten. Damit sei auch der Beschluss aus dem Jahr 1981 gemeint, so das LAG. Das BVerfG hatte 1995 keine Aussage darüber getroffen, ob Art. 9 Abs.3 GG es zwingend gebietet, auch ohne eine gesetzliche Grundlage ein Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsangehöriger zu kirchlichen Einrichtungen anzunehmen.
Das Gericht gab der Gewerkschaft jedoch einige Hoffnungsschimmer. Es lies die Revision gegen seine Entscheidung zu und wies darauf hin, dass das BAG die Frage nach der Bindungswirkung ausdrücklich offen gelassen habe (BAG, Urteil vom 28.02.2006, 1 AZR 460/04). Außerdem meinte das LAG, das begehrte Zugangsrecht sei wohl an sich gegeben.
Die Revision wurde von der Gewerkschaft eingelegt und ist nun beim BAG unter dem Aktenzeichen 1 AZR 552/10 anhängig.
Fazit: Die Mitgliederwerbung ist schon seit längerem als grundrechtlich geschützte Tätigkeit einer Gewerkschaft anerkannt. Ein offizielles Ende der Bindungswirkung des Beschlusses aus dem Jahr 1981 wäre daher sinnvoll. Dadurch würde der Blick frei werden für die eigentlich interessante Frage, ob betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte nun zum Zwecke der Mitgliederwerbung Zugang zu einem kirchlichen Betrieb haben dürfen, selbst wenn dort bereits Mitglieder tätig sind.
Hierfür spricht, dass das ebenfalls grundgesetzlich geschützte kirchliche Selbstbestimmungsrecht durch einen Aushang am schwarzen Brett praktisch nicht berührt wird, während Mitglieder die Durchsetzungskraft von Gewerkschaften fördern und daher mittelbar deren Ziele fördern. Um Mitglieder werben zu dürfen, ist daher von einiger Bedeutung. Das ist für den weltlichen Bereich jedenfalls in Grundzügen bereits anerkannt (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 10/244 Zutritt zum Betrieb für gewerkschaftliche Mitgliederwerbung) und sollte auch für den kirchlichen Bereich gelten.
Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin
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