Zehn Tonnen auf der Fläche eines Fingernagels

Hunderte Tonnen schwere Züge rollen mit 200 km/h und mehr über die Schienen – Der Rad-Schiene-Kontakt wird am Forschungszentrum Virtual Vehicle in Graz anhand von Simulationsmodellen untersucht.

BildWenn hunderte Tonnen schwere Züge mit 200 km/h und mehr über die Schienen rollen, dann spielt sich zwischen Rädern und Gleisen einiges ab. Immerhin ist der Rad-Schiene-Kontakt für das Tragen, Führen, Antreiben und Bremsen des Zuges verantwortlich. Am Forschungszentrum VIRTUAL VEHICLE in Graz wird genau dieses Zusammenwirken anhand von Simulationsmodellen untersucht.

Über 574,79 km/h wurden bei einer Rekordfahrt des Hochgeschwindigkeitszugs TGV in Frankreich gemessen. Auf vielen Abschnitten donnern Züge mit weit über 200 km/h über die Schienen. Dazu kommt noch die Masse, welche bewegt wird – allein eine Lokomotive wiegt zwischen 80 und 140 Tonnen, ein einzelner Personenverkehrswaggon wiegt mehr als 60 Tonnen. Wird ein Zug in Bewegung versetzt, werden verschiedene Kräfte wirksam. Zunächst entsteht der sogenannte “Rollkontakt”, bei dem die Reibung eine große Rolle spielt. Sie ermöglicht eine kraftschlüssige Verbindung zwischen Rad und Schiene. Ganz einfach ausgedrückt, sorgt die Reibung dafür, dass die glatten Metallräder auf den glatten Metallschienen nicht leer durchdrehen und sich das Fahrzeug fortbewegt. Durch die Reibungskräfte können Züge übrigens Steigungen bzw. Gefälle bis zu 10% ohne zusätzliche Hilfsmittel bewältigen.

Auf die Fläche eines Fingernagels kommt eine Last von etwa zehn Tonnen. Die beteiligten Komponenten sind im Bahnbetrieb also enormen Belastungen ausgesetzt. Diese Tatsache hinterlässt natürlich Spuren am Material, auch wenn diese mit freiem Auge nicht sichtbar sind. Bei jedem Kontakt wird der Stahl elastisch verformt, er nimmt also seine ursprüngliche Form nach der Verformung wieder an. Hinzu kommt auch ein Anteil an plastischer Verformung, welche bestehen bleibt. Durch den Rollkontakt können Risse an der Rad- und Schienenoberfläche im Material entstehen und zudem kommt es bei jedem Abrollen zu einem Verschleiß. Dadurch werden die Risse im Stahl bis zu einem gewissen Grad wieder verkürzt. Da ein Rollkontakt also das Material unwiderruflich verändert, ist jeder Kontakt zwischen Rad und Schiene aus physikalischer Sicht ein einzigartiges Ereignis.

Im Forschungsbereich “Rail Systems” des Kompetenzzentrums VIRTUAL VEHICLE in Graz werden anhand von Simulationsmodellen genau diese Phänomene untersucht. Aus der Forschungspraxis sind diese Modelle kaum noch wegzudenken. Sie ermöglichen Berechnungen unterschiedlicher Szenarien und liefern präzise Entwicklungsprognosen.

Simulationsmodelle in der Forschungspraxis

Bekannt ist das VIRTUAL VEHICLE eigentlich weniger für seine Forschungen im Eisenbahnbereich sondern mehr für seine Expertise im in der Automobil-Entwicklung. Hier werden Gesamtsimulationen von neuen Fahrzeug-Modellen oder einzelnen Modulen durchgeführt, bevor überhaupt ein Prototyp gebaut wird. Außerdem wird an der Entwicklung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen gearbeitet.
Die zugrundeliegenden Faktoren und Methoden der Automobilindustrie und des Eisenbahnwesens sind gar nicht so unterschiedlich, wie man vielleicht vermuten mag. Im Automobilbau sehen sich die Hersteller vor allem mit dem Druck kürzerer Entwicklungszeiten konfrontiert.

“Im Eisenbahnwesen steht man hohen Herstellungs- und Instandhaltungskosten gegenüber. Gemeinsam ist beiden Bereichen unter anderem die Forderung nach größerer Energieeffizienz.” so Dr. Michael Schmeja, Leiter des Forschungs-Bereiches “Rail Systems” am VIRTUAL VEHICLE.

Allen Modellen liegt der Ansatz zugrunde, dass Fahrzeug und Fahrweg immer gemeinsam betrachtet werden müssen. Viele Zusammenhänge und Wechselwirkungen sind allerdings noch nicht ausreichend erforscht. Die Betriebsbedingungen der Bahn hängen sehr stark von der Gleislage ab. Gemeint ist damit, dass Gleise nie optimal verlegt sind und sich durch hohe Belastungen aus Bahnverkehr und durch Umwelteinflüsse laufend verändern. Das Fahrzeug beginnt beim Rollen zu schwingen. Daraus ergeben sich Beschleunigungen im Fahrzeug und gleichzeitig rückwirkende Reaktionskräfte auf den Fahrweg, die sich auf Fahrkomfort, Sicherheit, Geräuschentwicklung und Beschleunigungskräfte auswirken. Diese Interaktion zwischen Fahrzeug und Schiene wird in der neuen “Track Geometry Assessment” (TGA) Methode erstmals berücksichtigt, die vom VIRTUAL VEHICLE in Kooperation mit der Siemens AG und der voestalpine Schienen GmbH entwickelt wurde. Dieser Forschungsschwerpunkt soll zukünftig auch den Bau “gleisfreundlicher” Fahrzeuge möglich machen, die Instandhaltungsstrategien des Fahrwegs drastisch verbessern, aber auch die Prozesse für die internationale Zulassung von Fahrzeugen massiv vereinfachen.

“Durch unsere Kernkompetenz im Bereich der Fahrzeug-Fahrweg-Interaktion gelingt es uns, Fahrzeughersteller wie Siemens, Infrastrukturbetreiber wie Wiener Linien, ÖBB, SBB und Deutsche Bahn sowie Zulieferer wie voestalpine Schienen in gemeinsamen Projekten zusammen zu bringen, um dadurch letztendlich das Gesamtsystem Bahn zu verbessern.” verdeutlicht Dr. Martin Rosenberger, der stellvertretende Leiter des Forschungs-Bereiches “Rail Systems” am VIRTUAL VEHICLE.

Zuverlässige Schadensprognose

Aufgrund der steigenden Fahrfrequenz, leistungsstarker Lokomotiven und höherer Geschwindigkeiten werden Schadensprognosen im Eisenbahnwesen immer wichtiger. Sie ermöglichen eine verbesserte Planbarkeit zukünftiger Investitionen und kostspieliger Instandhaltungsmaßnahmen. Am VIRTUAL VEHICLE haben Forschungsteams ein neuartiges Simulationsmodell entwickelt, welches den Kontakt zwischen Rad und Schiene wirklichkeitsgetreu darstellt. Es bezieht die bereits erwähnten physikalischen Gesetzmäßigkeiten ebenso ein wie andere entscheidende Parameter wie beispielsweise Fahrgeschwindigkeit, Last oder Oberflächenrauheit von Rädern und Schienen. Außerdem werden zufällig entstehende Zwischenschichten wie Wasser, Schmutz und Abrieb ebenso berücksichtigt wie Sand, der beim Beschleunigen und Bremsen zwischen Rad und Schiene gezielt eingeblasen wird. Das zukunftsweisende Projekt wird gemeinsam mit der TU Graz, ÖBB Infrastruktur, Siemens, LB Foster und voestalpine Schienen vorangetrieben. Zusätzlich zu dieser Simulation des Rad-Schiene-Kontakts wurde ein Schädigungsmodell entwickelt, das Profiländerungen an Rädern und Schienen berechnet, indem es die Daten zu Verschleiß und Schädigungszustand einbezieht. Ein solches Modell wurde bereits an der Wiener U-Bahn erfolgreich getestet. In einem Prüfzeitraum von zwei Jahren – das sind immerhin vier Millionen Überrollungen – beschrieb das dort angewandte Modell die tatsächlich entstandenen Schäden mit größter Genauigkeit.

Leise in die neuen Zeiten

Besonders in Ballungsgebieten soll die Lärm-Emission von Zügen reduziert werden. Ziel der Forschung am Grazer Kompetenzzentrum ist es, die Geräuschentwicklung an ihrer Quelle zu reduzieren. Dafür könnten so genannte “Absorber” eingesetzt werden. Die Geräuschentwicklung entsteht in erster Linie durch Oberflächenrauheit von Schienen und Rädern, die zu Schwingungen und Vibrationen führen. Bereits ab einer Fahrgeschwindigkeit von etwa 40 km/h tritt das Antriebsgeräusch in der menschlichen Wahrnehmung hinter die Rollgeräusche zurück. Ab einem Tempo von 200 km/h überwiegen dann die aerodynamischen Geräusche über allen anderen.

Im Zentrum des Interesses steht also die Reduktion der Rollgeräusche der Eisenbahn, die durch Schwingungen der Räder und der Schienen entstehen. Durch die punktuelle Befestigung an den Schwellen sind die Schienen dazwischen immer noch sehr schwingungsaktiv. Dadurch entstehen Schallwellen in einem Frequenzbereich zwischen ein und zwei Kilohertz, also in einem Bereich, der für das menschliche Gehör sehr gut wahrnehmbar ist. Durch Abschleifen der Schienen oder durch einen entsprechenden Unterbau können die Schwingungen verringert werden. Ein Schotterbett mit poröser Struktur wirkt beispielsweise im Gegensatz zu einer festen Fahrbahn wie ein Schalldämpfer. Auch die Räder beginnen zu schwingen und verformen sich während der Fahrt in verschiedene Richtungen. Dabei entstehen Schallwellen in einem Frequenzbereich von eineinhalb bis drei Kilohertz. Ziel der Lärmreduktion ist die Entwicklung und der Bau von Rädern, die so wenig wie möglich zu schwingen beginnen. Dazu können die Räder mit Radschallabsorbern ausgestattet werden. Es handelt sich dabei um Scheiben mit Schlitzen, welche mit schwingungsdämpfenden Materialien gefüllt sind. Fahrwerke und speziell der Bereich um die Achsen müssen ebenfalls darauf abgestimmt sein, denn gibt es dort größere Hohlräume, wirken sich diese wie Soundverstärker aus.

Die Forschungsteams von VIRTUAL VEHICLE erstellen Simulationsmodelle, die vibro-akustische Eigenschaften darstellen, sich also mit Schwingungen auseinandersetzen, die einerseits als Vibration fühlbar und andererseits als Geräusch hörbar sind. Simuliert wird das gesamte Rad sowie die Einzelkomponenten (Rad, Absorber, usw.). Darüber hinaus werden auch die Schiene und das Zusammenwirken von Rad und Schiene abgebildet. So können Modelle konstruiert werden, die Schwingungen in bestimmten Frequenzbereichen dämpfen. Anschließend müssen die Ergebnisse der Simulationen am Prüfstand und durch Fahrten mit Messlokomotiven bestätigt werden. Ein Prototyp, der zurzeit in Kooperation mit Siemens entwickelt wird, soll Vorbeifahrgeräusche um bis zu fünf Dezibel reduzieren. Wir können also leiseren Zeiten im Schienenverkehr entgegensehen.

System Bahn

Bereits seit der Gründung des österreichischen Kompetenzzentrums VIRTUAL VEHICLE stellt der Bereich “Rail Systems” ein wichtiges Forschungsgebiet dar. Besonders aus der ganzheitlichen Betrachtung des Systems Bahn ergibt sich eines der erfolgreichsten integrativen Forschungsfelder. Triebfeder ist die Forderung nach Energieeffizienz und die Reduktion von Herstellungs- und Instandhaltungskosten bei steigender Beanspruchung von Fahrzeug und Fahrweg. Am VIRTUAL VEHICLE werden einerseits erwartete Belastungen berechnet und Schadensprognosen erstellt, andererseits sollen Rad und Schiene in Zukunft besser aufeinander abgestimmt werden. Verschleiß und Materialermüdung werden dadurch minimiert, Instandhaltungskosten gesenkt, die Sicherheit verbessert und die Lärmentwicklung reduziert. Diese Aufgaben umfassen die theoretische Auseinandersetzung mit den physikalischen Effekten des Rad-Schiene-Kraftschlusses, Modellierungs-, Simulations- und Messverfahren. Daneben besteht die Arbeit des VIRTUAL VEHICLE aber auch aus handfesten Tätigkeiten, wie Versuchen und Vergleichsbeobachtungen im realen Eisenbahnbetrieb.

Ermöglicht wird die Forschung im Eisenbahnbereich übrigens durch enge Kooperation mit den ÖBB, der Deutschen Bahn, den Schweizerischen Bundesbahnen, Siemens, voestalpine, Doppelmayr und zahlreichen Forschungseinrichtungen im In- und Ausland. Besonders hervorzuheben sind als wichtigster wissenschaftlicher Partner die TU Graz und das Material-Kompetenzzentrum Materials Center Leoben (MCL).

VIRTUAL VEHICLE

VIRTUAL VEHICLE ist ein international führendes Forschungszentrum in Graz/Österreich, das leistbare, sichere und umweltfreundliche Fahrzeugkonzepte für Straße und Schiene entwickelt. Wesentliche Elemente der Forschung und Entwicklung sind die Verknüpfung von numerischer Simulation und experimenteller Absicherung sowie eine umfassende Systemsimulation bis hin zum Gesamtfahrzeug.

Über 200 Expertinnen und Experten realisieren in einem internationalen Netzwerk aus Industrie- und Forschungspartnern innovative Lösungen und entwickeln neue Methoden und Technologien für das Fahrzeug von morgen. Aktuell arbeiten über 85 Industriepartner (u.a. Audi, AVL, BMW, Daimler, MAN, MAGNA, Porsche, Renault, Siemens oder Volkswagen), sowie neben der TU Graz mehr als 30 weltweite universitäre Forschungsinstitute (u.a. KTH Stockholm, KU Leuven, Universidad Politécnica de Valencia, St. Petersburg State Politechnical University, TU München, KIT Karlsruhe, University of Sheffield oder CRIM Montreal) eng mit VIRTUAL VEHICLE zusammen. Im Geschäftsjahr 2012 wurde ein Umsatz von 20 Millionen Euro erzielt.

Das COMET K2-Programm bietet die Basis für geförderte Forschungsaktivitäten bis mindestens Ende 2017. VIRTUAL VEHICLE leitet und begleitet eine Vielzahl zukunftsweisender EU-Projekte und bietet zugleich ein breites Portfolio an Auftragsforschung und Dienstleistungen an.

Kontakt:
DI (FH) Christian Santner
VIRTUAL VEHICLE
christian.santner@v2c2.at
Tel: +43 664 88518030

VIRTUAL VEHICLE

Über:

VIRTUAL VEHICLE
Herr CHRISTIAN SANTNER
Inffeldgasse 21/A
8010 GRAZ
Österreich

fon ..: +43 (0)316-873-9001
fax ..: +43 (0)316-873-9002
web ..: http://www.v2c2.at
email : christian.santner@v2c2.at

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Über 200 Expertinnen und Experten realisieren in einem internationalen Netzwerk aus Industrie- und Forschungspartnern innovative Lösungen und entwickeln neue Methoden und Technologien für das Fahrzeug von morgen. Aktuell arbeiten über 85 Industriepartner (u.a. Audi, AVL, BMW, Daimler, MAN, MAGNA, Porsche, Renault, Siemens oder Volkswagen), sowie neben der TU Graz mehr als 30 weltweite universitäre Forschungsinstitute (u.a. KTH Stockholm, KU Leuven, Universidad Politécnica de Valencia, St. Petersburg State Politechnical University, TU München, KIT Karlsruhe, University of Sheffield oder CRIM Montreal) eng mi VIRTUAL VEHICLE zusammen. Im Geschäftsjahr 2012 wurde ein Umsatz von 20 Millionen Euro erzielt.

Das COMET K2-Programm bietet die Basis für geförderte Forschungsaktivitäten bis mindestens Ende 2017. VIRTUAL VEHICLE leitet und begleitet eine Vielzahl zukunftsweisender EU Projekte und bietet zugleich ein breites Portfolio an Auftragsforschung und Dienstleistungen an.

Pressekontakt:

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