Weniger Antibiotikaverordnungen im Nordosten: Ärzte verordnen Kindern und Jugendlichen deutlich weniger

Weniger Antibiotikaverordnungen im Nordosten: Ärzte verordnen Kindern und Jugendlichen deutlich weniger

Der jahrzehntelange breite und unsachgemäße Einsatz von Antibiotika hat zu einer Zunahme von Resistenzen von bakteriellen Krankheitserregern geführt.

BildUm 31 Prozent gingen von 2010 bis 2016 die Antibiotikaverordnungsraten bei Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahre in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zurück. Das zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, so der Geschäftsführer des Gesundheitswissenschaftlichen Instituts Nordost (GeWINO) der AOK Nordost Prof. Dr.-Ing. Thomas P. Zahn. Das Institut untersuchte die Entwicklung für den ersten Kinderreport der AOK Nordost, der in Kürze erscheint. Dieser stark rückläufige Trend zeigte sich in allen Altersgruppen und für beide Geschlechter, wobei Mädchen insgesamt einen etwas höheren Antibiotika-Verbrauch aufwiesen als Jungen. Die östlichen Landkreise Vorpommern-Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern, Märkisch-Oderland in Brandenburg und der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit dem höchsten Antibiotikagebrauch im Jahr 2010 wiesen auch die stärksten Reduktionen der Verordnungshäufigkeit auf, liegen jedoch auch 2016 noch an der Spitze.

Die Gefahren einer Antibiotikaresistenz stehen seit vielen Jahren m Fokus der Öffentlichkeit und Wissenschaft[1]. Der jahrzehntelange breite und unsachgemäße Einsatz von Antibiotika hat zu einer Zunahme von Resistenzen von bakteriellen Krankheitserregern geführt. Immer häufiger sind Patienten und Ärzte mit Bakterienstämmen konfrontiert, die durch Veränderung, genetische Rekombination und Selektion gegen viele gängige Antibiotika resistent sind. Die Höhe der ambulanten Antibiotikaeinnahme ist ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Antibiotikaresistenzen. Regionen und Länder mit hohem Verbrauch haben eine höhere Rate an resistenten Bakterien. Durch die Zunahme von multiresistenten Erregern steigen Behandlungsdauer, Erkrankungsschwere und das Sterberisiko bei schweren Infektionen.[2] [3] [4] [5] Zudem werden vermeidbare Kosten generiert.

Die Versorgungsforscher des GeWINO unter Leitung von Prof. Zahn werteten die anonymisierten Abrechnungsdaten der AOK Nordost im Rahmen einer retrospektiven Querschnittsstudie von rund 218.000 Kindern und Jugendlichen (0-16 Jahre) zwischen 2010 und 2016 aus. Auf dieser Basis stellen sie detaillierte kleinräumig Kennzahlen zur Verordnung systemischer Antibiotika bei Kindern und Jugendlichen im Nordosten für Landkreise, kreisfreie Städte und Berliner Bezirke zur Verfügung, die als Grundlage für die Übertragung von Best-Practice-Ansätzen dienen können.

Bei Kindern und Jugendlichen kommt es häufig zu akuten Infektionen (beispielsweise akute Atemwegsinfektionen wie Mandel- und Rachenentzündungen sowie Erkältungskrankheiten) und Ärzte setzen in dieser Altersgruppe besonders häufig Antibiotika ein[6]. Die Analyse zeigt, dass es einen überproportional rückläufigen Trend bei der Verordnung bestimmter sogenannter “Reserveantibiotika” gibt, die nur bei schweren und schwersten Infektionen und wenn andere Antibiotika nicht wirken verschrieben werden. Das kann auf eine Zunahme der Verordnungsqualität im Kindes- und Jugendalter zurückzuführen sein, erläutert Prof. Dr. med. Susanne Lau, Sektionsleiterin Pädiatrische Allergologie und Immunologie an der Klinik für Pädiatrie der Charité Campus Virchow, die Ergebnisse der GeWINO-Studie.

Experten fordern gezielten Antibiotika-Einsatz / AOK Nordost berät Ärzte
“Im internationalen Vergleich werden in Deutschland jedoch noch immer zu häufig Antibiotika verordnet”, kritisiert Lau. Sie empfiehlt eine kritische und gezieltere Verordnung von Antibiotika entsprechend der Leitlinie, im Idealfall dann nach Antibiogramm, also nachdem der Erreger hinsichtlich seiner Empfindlichkeit auf Antibiotika getestet wurde. In den Krankenhäusern insbesondere auch Intensivstationen setzt sich zunehmend ein “antibiotic stewardship” durch, also eine enge Zusammenarbeit von Mikrobiologen und Medizinern. Aber auch im ambulanten Bereich sollte nicht jeder Infekt der Atemwege mit Antibiotika behandelt werden, da es sich häufig um Virusinfekte handelt, die nicht auf Antibiotika ansprechen, macht Professorin Lau deutlich.

“Die Apotheker der AOK Nordost stehen aktiv im direkten Arztkontakt”, sagt Dr. Sabine Ludwig, beratende Apothekerin der Gesundheitskasse. Zum Thema Antibiotika gab es beispielsweise jüngst eine Telefonkampagne des AOK-Teams Pharmakotherapieberatung zum Thema Antibiotika. Dabei wurden gezielt Ärzte mit hohen Verordnungszahlen von Reserveantibiotika zu einer leitliniengerechten Antibiotikatherapie beraten. Auch bei den individuellen Pharmakotherapieberatungen, die die AOK Nordost anbietet, sind Antibiotika regelmäßig ein Thema. Die Ärzte werden dabei gezielt auf einen zurückhaltenden Einsatz von Antibiotika bei Atemwegsinfektionen und auf einen vorsichtigen Umgang mit Reserveantibiotika – gemäß den Leitlinien der Fachgesellschaften – hingewiesen. Weitere Informationen unter www.gewino.de

[1] Holstiege J et al., Systemic antibiotic prescribing to paediatric outpatients in 5 European countries: a population-based cohort study, BMC Pediatrics, 2014, 14: 174
[2] Maragakis LL, Perencevich EN, Cosgrove SE, Clinical and economic burden of antimicrobial resistance. Expert Rev Anti Infect Ther, 2008, 6: 751-63.
[3] Aloush V, Navon-Venezia S, Seigman-Igra Y, Cabili S, Carmeli Y, Multidrug-resistant Pseudomonas aeruginosa: risk factors and clinical impact, Antimicrob Agents Chemother 2006, 50: 43-8.
[4] Qavi A, Segal-Maurer S, Mariano N, et al., Increased mortality associated with a clonal outbreak of ceftazidime-resistant Klebsiella pneumoniae: a case-control study, Infect Control Hosp Epidemiol, 2005, 26: 63-8.
[5] 5. Song X, Srinivasan A, Plaut D, Perl TM. Effect of nosocomial vancomycin-resistant enterococcal bacteremia on mortality, length of stay, and costs, Infect Control Hosp Epidemiol, 2003, 24: 251-6.
[6] RKI – Robert Koch Institut. Lebensphasenspezifische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse des Nationalen Kinder- und Jugendgesundheitssurveys. Gesundheitsberichterstattung Bundes 2008.

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