Vom Product Line Manager zum Presidente

Ein SIBE-Alumnus der Hexagon Metrology und sein etwas ungewöhnlicher Karriereschritt.

Vom Product Line Manager zum Presidente

Es ist ein ebenso beeindruckender wie ungewöhnlicher Karriereschritt: von Deutschland nach Brasilien, vom Product Line Manager bei Hexagon Metrology zum “Presidente” eines Kinderdorfs. Was Sebastian Haury antreibt, ist ein lange gehegter Wunsch. Und das Unternehmen unterstützt ihn dabei.

Vor der Abreise wirkt Sebastian Haury seltsam entspannt. Ein letztes Mal ist er an seinen Arbeitsplatz bei Hexagon Metrology zurückgekehrt, obwohl er mitten in den Umzugsvorbereitungen steckt. Noch trägt Haury Anzughose und weißes Hemd, er wird sie bald eintauschen gegen leichtere Stoffe, die dem tropischen Klima Brasiliens gewachsen sind. Einzig den schwarzen Ring an der rechten Hand wird er nicht ablegen, er trägt ihn seit Jahren. “Der Ring hat eine Geschichte”, erzählt Haury, “er geht auf Bischof Erwin Kräutler zurück, einen Befreiungstheologen, der sich seit fast fünfzig Jahren für die Rechte der Armen und den Erhalt des brasilianischen Regenwaldes einsetzt. Als er zum Bischof ernannt wurde, verzichtete er bewusst auf seinen pompösen Bischofsring und tauschte ihn gegen diesen einfachen geschnitzten Ring ein. In Brasilien tragen ihn alle, die sich für mehr Gleichberechtigung und Demokratie einsetzen.” Der Ring ist also ein Erinnerungsstück, ein Talisman, aber auch ein Wegweiser Richtung Brasilien. Dahin führt der Weg von Sebastian Haury und seiner Familie. Am 1. März geht die Reise los.

Es sei keine Reise ins Ungewisse, sagt Haury, schließlich stammt die Familie seiner Frau aus Brasilien. Zudem war er schon vor 15 Jahren dort, um eine Art Ersatzdienst zu absolvieren. Es war eine prägende Zeit für ihn. Damals lernte er auch die zwei Seiten dieses faszinierenden Landes kennen. Zwar gilt Brasilien als die sechstgrößte Wirtschaftsnation der Welt, dem steht jedoch ein eklatantes materielles Elend gegenüber. Gerade die Zukunft vieler Kinder hängt am seidenen Faden. “Das zu ändern, war für mich damals wie heute eine zentrale Motivation”, erklärt Sebastian Haury. “Meine Liebe für das Land und die Menschen hat sich sukzessive gefestigt. Das gilt auch für den Entschluss, nach Brasilien zu gehen, um dort zu arbeiten. Es war kein fluchtartiger Reflex, sondern ein gut vorbereiteter Schritt.”

Die Unterstützung seiner Familie hat die Entscheidung sicher erleichtert. Nicht ganz so einfach war es, die beruflichen Konsequenzen abzuwägen. Im Rahmen eines berufsintegrierten Master-Studiums kam Sebastian Haury 2008 zu Hexagon Metrology. Für seine Master-Arbeit hat er einen Wachstumsplan für die Leitz-Marke entwickelt, der sich schon bald nicht nur für ihn, sondern für das Unternehmen als richtungsweisend herausstellte. Als Product Line Manager Leitz hat er das Produktportfolio entscheidend mitgestaltet und ausgebaut. “Meine Arbeit hat mich absolut erfüllt”, betont Haury, “insbesondere der große Gestaltungsspielraum im Dialog mit den Märkten, der Entwicklung und den zuständigen Sales-Support-Mitarbeitern in Wetzlar und vor Ort.”

Umso schwerer fiel Sebastian Haury der Gang zu seinem Chef, als sein Entschluss feststand: “Ich hatte wirklich schlaflose Nächte, als ich Holger Fritze über mein Vorhaben informierte. Denn ich wollte ihm unbedingt klarmachen, dass es keine Entscheidung gegen Wetzlar, gegen meinen Job und meinen Arbeitgeber war sondern für mein künftiges soziales Engagement in Brasilien.” Für Geschäftsführer Holger Fritze kam die (An)kündigung überraschend, wie er ohne Umschweife zugibt. “Im ersten Moment fällt es natürlich schwer zu akzeptieren, dass sich einer der besten Mitarbeiter einfach so verabschiedet. Schließlich hat Sebastian Haury durch seine Kompetenz und sein persönliches Engagement den Aufstieg der Produktlinie Leitz begleitet – technologisch und wirtschaftlich. Auf der anderen Seite habe ich schnell begriffen, dass er die Zielsetzungen und Werte, die er hier im Unternehmen gelebt hat, mit derselben Überzeugung nun in Brasilien verwirklichen möchte. Dabei unterstützen wir ihn gerne.”

Letztlich bildete die große gegenseitige Wertschätzung eine grundlegende Voraussetzung, um in dieser Situation eine vernünftige Lösung zu finden. “Am Ende hat mir Herr Fritze eine Vereinbarung angeboten, die ich als sehr großzügig empfunden habe”, so Haury: “Ich bin offiziell freigestellt mit der Option, nach drei Jahren wieder nach Wetzlar zu Hexagon Metrology zurückzukehren. Dieses Vertrauen von Seiten meines bisherigen Arbeitgebers weiß ich sehr zu schätzen.”

Inzwischen ist Sebastian Haury in der “neuen Welt” angekommen. Drei Monate nach seiner Abreise meldet er sich aus Guarabira, fast 8.000 Kilometer südwestlich von Wetzlar. Guarabira liegt im Nordosten von Brasilien, im Bundesstaat Paraiba, einer der ärmsten Regionen des Landes. Das Kinderdorf, das er seit 20. März als “Presidente” des brasilianischen Kinderdorfvereins leitet, schafft ein Umfeld, in dem Kinder und Jugendliche aus zerrütteten Familien und in extremen Armutssituationen auf ein eigenes, selbstbestimmtes Leben vorbereitet werden. Insgesamt leben und lernen hier 230 Kinder, davon vierzig in Ganztagsbetreuung. 170 Kinder besuchen die Grundschule, sechzig den Kindergarten. Zwanzig Kinder aus sogenannten Risikosituationen werden rund um die Uhr betreut. Diese Kinder kommen über den Jugendrichter oder das Jugendschutzamt ins Kinderdorf, weil sie oftmals bereits straffällig geworden oder misshandelt worden sind. Dort leben sie in Hausgemeinschaften von bis zu zehn Jungs oder Mädchen in einem Haus und werden durch Sozialmütter und -väter betreut.

Als “Presidente” und Leiter des Kinderdorfs führt Sebastian Haury ein Team von hochmotivierten Mitarbeitern und sorgt dafür, dass die langfristige Ausrichtung stimmt. Für die Arbeit mit dem Leitungsteam des Kinderdorfs hat er sich drei wesentliche Ziele vorgenommen: Er will die Berufschancen für Abgänger des Kinderdorfs verbessern. Die Grundschule in Guarabira gilt als die beste öffentliche Schule im Landkreis, aber auch hier will er mit seinem Team noch mehr erreichen. Zudem setzt er sich dafür ein, dass der Staat die finanzielle Unterstützung des Kinderdorfs nachhaltig und langfristig erhöht. Neben der Arbeit für und mit den Kindern hat sich Haury persönlich zum Ziel gesetzt, dass nach drei Jahren ein einheimisches Team die Leitung des Kinderdorfes komplett selbst übernehmen wird.

Das klingt nach viel Arbeit. Sebastian Haury lacht: “Ich habe meinen Job bei Hexagon Metrology ja nicht aufgegeben, weil ich weniger arbeiten wollte. Klar gibt es hier viel zu tun. Aber wir haben ein tolles Team vor Ort, einen kooperativen Jugendrichter, und immer wieder tauchen nationale und internationale Finanzierungmöglichkeiten auf, mit deren Hilfe wir konkrete Vorhaben umsetzen können.”

Es steht außer Zweifel, dass Sebastian Haury seine ganze Motivation und seine Fähigkeiten einbringen wird, um seine Ziele zu erreichen. Einen Wachstumsplan, wie er ihn für das Hightech-Unternehmen Hexagon Metrology entwickelte, hat er nicht in der Tasche, denn der ließe sich unter keinen Umständen auf ein Kinderdorf übertragen. Viel entscheidender aber ist Sebastian Haurys Grundhaltung, auf die es bei Hexagon Metrology und im Kinderdorf Guarabira gleichermaßen ankommt: “Hier wie dort hatte und habe ich sehr große Gestaltungsspielräume, um Ideen und Ideale mit Durchsetzungskraft umsetzen. Das ist es, was mich antreibt.”

Der vollständige Artikel findet sich auf der Präsenz des Wetzlar-Network .

Free image courtesy of pixelio.de || Juergen Jotzo .

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