Am 4. Januar 2013 hat sich das AG München zur Frage der Treuwidrigkeit bei Filesharing-Abmahnungen positioniert (Az. 155 C 22168/12) – zugunsten der dort klagenden Rechteinhaberin und damit zulasten einer Abgemahnten.
Das Gericht setzt sich dabei der Kritik aus, da es kein Rechtsmissbrauch bzw. treuwidriges Abmahnverhalten erkennen konnte, obwohl der Unterlassungsanspruch über einen Zeitraum von etwa 3 Jahren nicht verfolgt wird. Stattdessen wird die Verjährungsfrist nahezu ausgeschöpft, um kurz vorher ausschließlich die finanziellen Forderungen gerichtlich geltend zu machen. Es stellte sich daher die Frage, ob es der Rechteinhaberin tatsächlich um die Durchsetzung ihrer Rechte (insbesondere des urheberrechtlichen Unterlassungsanspruchs) gegangen ist, oder ob ausschließlich finanzielle Vorteile beansprucht werden sollen und die Urheberrechte dabei nur als Mittel zum Zweck fungieren.
Das AG München hielt eine solche – ausschließlich auf die finanziellen Vorteile gerichtete – Rechtewahrnehmung für rechtmäßig.
Was bedeutet das Urteil für den Betroffenen?
In der Praxis zeichnet sich ab, dass immer mehr Rechteinhaber ihre Ansprüche kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend machen. Ein Teil der urheberrechtlichen Ansprüche verjährt nach drei Jahren zum Ende eines Kalenderjahres. Das bedeutet, dass viele Privatpersonen zu einem Zeitpunkt gerichtlich in Anspruch genommen werden können, zu dem sie wahrscheinlich nicht mehr mit einer tatsächlichen Geltendmachung und Durchsetzung gerechnet haben. Wenn der Betroffene, wobei es sich zumeist um Privatanwender, Anschlussinhaber oder Familienangehörige handelt, diese (finanziellen) Forderungen nicht befriedigt, schrecken die Rechteinhaber gleichwohl nicht vor einem gerichtlichen Verfahren zurück.
So erging es auch der Beklagten in dem vor dem AG München verhandelten Fall. Die Empfängerin der Abmahnung wurde im Jahr 2009 für einen einzigen Verstoß gegen das Urheberrecht durch die Nutzung einer Internettauschbörse abgemahnt. Die Klägerin hatte die Beklagte mit ihrer Filesharing-Abmahnung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Zudem machte sie Ersatzkosten für die Rechtsverfolgung sowie Schadensersatz wegen der Rechtsverletzung geltend.
Auf dieses Schreiben hatte die Beklagte jedoch nicht reagiert.
Daher sah sich die Klägerin veranlasst, die Beklagte im April 2010 erneut zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung aufzufordern. Im Juli 2012 gab die Empfängerin der Abmahnung und spätere Beklagte die Unterlassungserklärung zwar ab. Die Kostenforderungen befriedigte sie jedoch nach wie vor nicht.
Kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist machte die Klägerin sowohl die Schadensersatzforderungen als auch die Verfolgungskosten gerichtlich geltend.
Das AG München hat der Klage im Ergebnis stattgeben. Es wollte insofern kein treuwidriges Verhalten der Klägerin annehmen. Insbesondere sei es nicht zu beanstanden gewesen, dass die Rechteinhaberin ihren Anspruch kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend gemacht habe. Die Klägerin hat nämlich zur Begründung vorgetragen, dass sie bei der Beklagten keine weiteren Rechtsverstöße festgestellt habe. Daher sei ihr Anspruch auf die streitgegenständlichen finanziellen Forderungen begrenzt und somit ihren Unterlassungsanspruch über einen längeren Zeitraum nicht weiter verfolgt.
Diese Begründung konnte das Gericht überzeugen. Dass die Klägerin vordergründig aufgrund eines Gebührenerzielungsinteresses gehandelt hat, wurde vom AG München verneint.
Im Ergebnis hat das Urteil die Konsequenz, dass Betroffene auch nach scheinbar längerer Abstinenz des Rechteinhabers für einen Verstoß in Anspruch genommen werden können. Dabei ist es – zumindest nach dieser Entscheidung des AG München – grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn nur die finanziellen Ansprüche weiterverfolgt werden, nicht jedoch der Unterlassungsanspruch.
Kritik am Urteil des AG München:
Das Urteil des AG München wirft Fragen auf, soweit über den Einwand des Rechtsmissbrauchs und der Treuwidrigkeit zu befinden war. Es ist sicherlich nicht zu beanstanden, dass der Anspruch auch kurz vor Ablauf einer Verjährungsfrist geltend gemacht werden kann. Wenn sich der Gesetzgeber bewusst für solche Fristen entscheidet, dürfen diese auch zur Anwendung gebracht werden.
Allerdings müssen bei der Geltendmachung ebenso die Grundprinzipien der Rechtsordnung beachtet werden. Die Grundsätze von Treu und Glauben, die das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in § 242 regelt, wurden vom AG München nicht ausreichend berücksichtigt. Denn in dem konkreten Rechtsstreit hätte die Klägerin ihre Unterlassungsansprüche durchaus schon im Jahr 2009 gerichtlich geltend machen können. Stattdessen hat sie sich jedoch dazu entschieden, die Beklagte mehrfach mit einer Unterlassungserklärung zu beeindrucken und sich später bloß auf die finanziellen Interessen zu beschränken.
Diese Abmahnungen wurden von der Beklagten zunächst gar nicht beantwortet. Insbesondere, weil keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben worden ist, hätte die abmahnende Rechteinhaberin formal weiter befürchten müssen, dass ihre Rechte Tag für Tag weiterhin durch die Beklagte verletzt werden und dies über einen Zeitraum von fast drei Jahren.
Wenn aber nicht die eigentliche Rechtsverletzung sondern bloß die finanziellen Ansprüche verfolgt werden, fällt es schwer zu glauben, dass trotzdem gewichtige Urheberrechte im Vordergrund der Abmahnung stehen. Das Verhalten kann folglich als Verstoß gegen Treu und Glauben gewertet werden. Dieser Verstoß hätte dazu führen müssen, dass die Rechtsausübung entgegen der Auffassung des AG München treuwidrig erfolgt ist.
Dem hat sich das Amtsgericht aber leider nicht angeschlossen.
Höchst bedenklich ist jedenfalls die Tatsache, dass die Gerichtsverfahren dazu missbraucht werden, eigene finanzielle Interessen zu befriedigen. Im Kern geht es daher gar nicht mehr um die Rechtsverletzung. In dem konkreten Rechtsstreit hatte es die Klägerin jedenfalls versäumt, die Unterlassungsansprüche ausreichend zu würdigen. Stattdessen hat sie diese über fast drei Jahre ignoriert, so dass sie letztendlich weitere Rechtsverstöße billigend in Kauf genommen hätte.
Es bleibt spannend und abzuwarten, ob diese Rechtsprechung in der Praxis dazu führen wird, dass die abmahnenden Rechteinhaber weiteren Freiraum genießen werden und sich dabei – anscheinend nach Belieben – aussuchen können, ob und welche Ansprüche gerichtlich geltend gemacht werden, solange sich dies nur irgendwie mit dem Urheberrecht begründen lässt.
Am 1. Oktober 2013 hat jedoch der Gesetzgeber in Teilen auf die Problematik reagiert, indem er durch § 97a UrhG geregelt hat, dass eine Streitwertbeschränkung eingehalten werden muss. Diese führt letztendlich in bestimmten Konstellationen dazu, dass die geltend gemachten Anwaltskosten bei einer Urheberrechtsverletzung der Höhe nach beschränkt sind.
Was können Betroffene in einem solchen oder ähnlichen Fall tun?
Ganz wichtig ist, zutreffend sowie taktisch sinnvoll auf die Abmahnschreiben zu reagieren. Hierzu sollte umgehend einen Rechtsanwalt / Fachanwalt aufgesucht werden.
Die Rechtsanwälte Weiß & Partner aus Esslingen haben sich auf den gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht spezialisiert. Sie können gemeinsam mit dem Betroffenen Möglichkeiten finden, um unnötige Risiken sowie Schäden zu vermeiden.
Wir beraten Privatpersonen, Freiberufler, kleine und mittelständische Unternehmen zu allen Fragestellungen in diversen Rechtsgebieten wie dem Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Urheberrecht, IT-Recht, Internetrecht und Arbeitsrecht.
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