Sonderzahlung: Gleichbehandlungsgrundsatz beachten

Sonderzahlung: Gleichbehandlungsgrundsatz beachten

Verfasserin: Rechtsanwältin Ingrid Heinlein, Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf

Sonderzahlung: Gleichbehandlungsgrundsatz beachten

Ingrid Heinlein, Rechtsanwältin, Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf

1.Der in § 75 Abs. 1 BetrVG geregelte … betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen.
2.Besteht der Zweck einer freiwilligen Sonderzahlung darin, die Arbeitsleistung sowie die Betriebstreue zu honorieren, ist hierin kein nach § 75 Abs. 1 BetrVG anerkennenswerter Grund zu sehen, bei der Ausgestaltung der Sonderzahlung zwischen Fernfahrern und allen anderen Mitarbeitern zu unterscheiden.
BAG, Urteil v. 26.04.2016 – 1 AZR 435/14 –

Im Betrieb der Beklagten erhielten die Fernfahrer Sonderzahlungen auf der Basis eines bestimmten Prozentsatzes vom Vorjahreseinkommen, der niedriger war als der Prozentsatz für alle anderen Mitarbeiter. Grundlage der Zahlung waren mehrere zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarungen.
Der Kläger, der bei der Beklagten als Fernfahrer beschäftigt ist, hat mit seiner Klage den Differenzbetrag zwischen den an alle anderen Mitarbeiter gezahlten Sonderzahlungen und den Sonderzahlungen, die er als Fernfahrer erhalten hat, gefordert. Seine Klage hatte in letzter Instanz Erfolg.

Grundlage für seinen Anspruch ist der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.
Nach § 75 Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Daraus leitet das BAG den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ab, den die Betriebsparteien u.a. dann zu beachten haben, wenn sie die Verteilung von freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers in BV regeln. Werden für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Leistungen vorgesehen, muss dies sachlich gerechtfertigt sein. Maßgeblich dafür ist der mit der Regelung verfolgte Zweck der Leistung, der sich vorrangig aus den Voraussetzungen ergibt, von deren Vorliegen die Leistung abhängig gemacht wird.

Die Sonderzahlungen bezwecken hier eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer. Dafür spricht, so das BAG, die Festlegung des Vorjahreseinkommens als Bezugsgröße sowie die Regelung, dass die Sonderzahlung zeitanteilig gezahlt wird, wenn das Arbeitsverhältnis im Laufe des Jahres beginnt oder endet, und sie gekürzt wird, wenn das Arbeitsverhältnis ruht. Zusätzlich wird mit der Sonderzahlung Betriebstreue honoriert. Das folgt aus den Stichtagsbestimmungen, die auf den Bestand eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt abstellen, sowie der Rückzahlungspflicht.

Beide Zwecke rechtfertigen es nicht, dass die Fernfahrer geringere Leistungen erhielten. Die Beklagte hatte vorgetragen, der Verdienst der Fernfahrer sei – im Hinblick auf ihre längeren Arbeitszeiten – höher. Darin liegt nach der Entscheidung kein anerkennenswerter Grund für niedrigere Sonderzahlungen für diese Arbeitnehmergruppe, denn der Verdienst sei die Gegenleistung für eine entsprechende Arbeitsleistung, die durch die Sonderzahlungen entlohnt werden solle. Im Hinblick auf die mit den Sonderzahlungen honorierte Betriebstreue sei zudem überhaupt nicht ersichtlich, warum zwischen Fernfahrern und allen anderen Arbeitnehmern unterschieden werde.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG, dass eine gleichheitswidrige Gruppenbildung bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers dazu führt, dass die benachteiligten Arbeitnehmer die Leistungen verlangen können, die der Arbeitgeber den besser gestellten Arbeitnehmern gewährt. Der Kläger hatte daher Anspruch auf die Sonderzahlungen, die an alle anderen Mitarbeiter gezahlt wurden.

Fazit: Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Beschäftigten nach § 75 Abs. 1 BetrVG richtet sich an Arbeitgeber und Betriebsrat. Gerade bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers hat der Betriebsrat jedoch nur ein schwaches Mitbestimmungsrecht, da der Arbeitgeber allein entscheidet, ob er diese Zusatzleistungen erbringt. Nach der Rechtsprechung des BAG kann der Arbeitgeber allein über den Dotierungsrahmen, den Leistungszweck und den begünstigten Personenkreis entscheiden. Nur im Rahmen dieser Vorgaben soll der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG über die Verteilungsgrundsätze mitbestimmen können. Der Fall zeigt jedoch, dass die vom BAG angenommene Befugnis des Arbeitgebers zur Alleinentscheidung über den begünstigten Personenkreis in ein Spannungsfeld zu § 75 BetrVG geraten kann. Schon einmal hat das BAG entschieden, dass der Arbeitgeber nicht ganz frei ist, unterschiedliche Vergütungssysteme für verschiedene Arbeitnehmergruppen festzulegen, sondern es dafür sachliche Gründe geben muss (Urteil vom 18.11.2003 – 1 AZR 604/02-). Die Maßstäbe dafür hat es in der vorliegenden Entscheidung präzisiert. Ohne Auswirkungen auf den Umfang des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kann sie nicht bleiben. Da auch der Betriebsrat verpflichtet ist, darüber zu wachen, dass die Beschäftigten gleichbehandelt werden, muss sich sein Mitbestimmungsrecht bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers auch auf die Gleichbehandlung der Beschäftigten erstrecken.
Ingrid Heinlein, Rechtsanwältin, Vorsitzende Richterin am LAG a.D.

Zuständig für Rückfragen: Ingrid Heinlein, Rechtsanwältin, Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf, www.fachanwaeltinnen.de www.fachanwaeltinnen.de

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