Der Freiburger Unterhaltungswissenschaftler Sacha Szabo über einen unterschätzten Berufsstand
Jetzt beginnt sie wieder, die Zeit der Jahrmärkte und Volksfeste. Vom Frühjahr bis Herbst finden in den Städten Deutschlands wieder die beliebten Auszeiten statt. Von weitem schon sichtbar die Achterbahn und das Riesenrad. Und beim näherkommen steigen dem Besucher der Geruch von gebrannten Mandeln und von Zuckerwatte in die Nase. Das alles wird übertönt von einer Geräuschkulisse aus Popmusik und Freuden-Jauchzern. Was aber erst auf den zweiten Blick deutlich wird, diese zauberhaften Orte werden nur durch die vielen Schausteller überhaupt am Leben gehalten. Oft seit Generationen mit dem Beruf verbunden, sind es die Schausteller die ihr Leben dem Vergnügen anderer gewidmet haben. Dabei ist der Beruf des Schaustellers anspruchsvoll wie kaum ein zweiter: Aufbau, Betrieb, Reparatur des Fahrgeschäfts ist nur eine Seite. Dazu kommen die Kalkulation, die Personalwirtschaft, der Einkauf und das Marketing und dann, sobald es losgeht, stehen die Schausteller auch noch am Steuerpult und rekommandieren nicht selten auch noch selbst das Fahrgeschäft. Wir sprachen mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo , der seine Doktorarbeit über Jahrmarkt-Attraktionen geschrieben hat, was das Besondere an diesem Menschenschlag ist.
Was ist ein Schausteller?
Sacha Szabo: Ein Schausteller ist ein Dienstleister, der Volksbelustigungen an wechselnden Orten anbietet. Diese Volksbelustigungen können Karussells, Achterbahnen, aber auch Schaubuden oder Verpflegungsstände sein. Oft finden sich verschiedene Geschäfte innerhalb einer Familie. Das was mich fasziniert ist, dass all diese Attraktionen nur einen Zweck haben, nämlich Lust zu bereiten. Es ist ein flüchtiges Gut, mehr ein Gefühl und nichts Bleibendes. Der Fahrgast eines Karussells wird für die Dauer der Fahrt aus seinem Alltag entführt und in eine Welt jenseits des Alltags katapultiert, die frei von Sorgen und Problemen ist. Es ist ein paradiesischer Zustand für die Dauer einer Fahrt.
Gab es eine Blütezeit der Volksfeste und somit auch des Schaustellergewerbes?
Sacha Szabo: Eine Blütezeit waren die goldenen Zwanziger. Dort wurden viele Attraktionen aus Übersee nach Europa verbracht. Der Name des Schaustellerkönigs Hugo Haase ist noch heute legendär. Viele verschiedene Neuheiten existierten nebeneinander. Riesige Karussells, Holzachterbahnen und die ersten Autoskooter. Heutzutage ist die Situation für Schausteller ambivalent. Einerseits werden jedes Jahr neue Besucherrekorde auf den Festen vermeldet, das weckt Begehrlichkeiten von den zuständigen Ämtern die sich mehr Einnahmen erhoffen und so die Gebühren erhöhen, was die Situation der Schausteller nicht gerade einfacher macht und hinzu kommt, dass der einzelne Besucher sein Geld nicht mehr leichtfertig ausgibt.
Heute mehr Glühwein und gebrannte Mandeln als Spiele und Karussell: sind aus den Schaustellern Gastronomen geworden.
Sacha Szabo: Es gab immer Großgastronomen und Schausteller, das Oktoberfest ist ja von diesem Spannungsverhältnis geprägt. Dort gehört beides zusammen. Wobei es innerhalb der Schausteller, auch innerhalb der Schaustellerfamilien gab es immer welche, die ihr Auskommen mit Verpflegungsständen suchten, um so ihr Angebot zu diversifizieren. Aber ein Volksfest ohne Attraktionen ist bloß ein Besäufnis. Die Fahrgeschäfte als Vergnügungsanlagen gehören mit zu dem außeralltäglichen Erlebnis eines Volksfestbesuchs.
Welches Ansehen hatten die Schausteller? Standen sie als fahrendes Volk ganz unten auf der gesellschaftlichen Leiter?
Sacha Szabo: Die Bezeichnung “Fahrendes Volk” benutzt man eigentlich nicht mehr und ist auch eher abwertend. Die Schausteller bezeichnen sich eher “auf der Reise”. Schausteller waren und sind immer eigentlich eher mittelständische Dienstleister. Die Nicht-Sesshaftigkeit hatte etwas obskur-magisches. Einerseits war es eine gern gesehene Abwechslung, andererseits stellte es die eigene Lebensweise auch in Frage, als da eine Alternative vorgestellt wurde. So wurden eben negative Konnotationen mit diesem Begriff verbunden. Zum sogenannten “Fahrenden Volk” gehören etwa auch die “Komödianten”. Diese haben ihren Ursprung eher als Artisten und Gaukler, wie dies Margit Ramus in einem Aufsatz ausführte. Teilweise hat sich das heute vermischt, wobei immer noch beide Gruppen auch für sich allein präsent sind. Als Beispiel: Ein Akrobat in der Fußgängerzone kann ein Komödiant sein, ist aber mit Sicherheit kein Schausteller.
Was sagen Sie zum Thema immaterielles Kulturerbe?
Sacha Szabo: Als Soziologe finde ich den Stand der Schausteller sehr außergewöhnlich. Es sind Familien, oft noch Großfamilien, eigentlich richtige Clans, die auch eng zusammenhalten. Das ist im Zeitalter der Vereinzelung schon eine Erwähnung wert. Vor allem aber ist die Tätigkeit des Schaustellers die eines Generalisten. Er kann alles was er braucht relativ gut. Er kann verschiedene handwerkliche Tätigkeiten, wie Schweißen oder Elektrizität. Er kann Marketing, Buchhaltung, er muss rekommandieren und noch sein Personal anleiten. Das ist schon bemerkenswert in einer Gesellschaft wo die Tendenz immer mehr zu Spezialisten geht.
Was es bedeutet, dass dieser Berufsstand besonders geschützt werden soll, das kann ich nicht beurteilen. Selbst wenn es ein findiger Marketingschachzug ist, was nicht abwegig ist. Denn wir sahen ja die Kreativität der Schausteller bestimmte Facetten des Alltags für ihre Zwecke zu nutzen, dann halte ich diesen Schachzug für legitim.
Zum Schluss noch ein letzte Frage: Was fasziniert Sie persönlich an diesem Gewerbe?
Sacha Szabo: Es mag nicht wissenschaftlich sein hier die Objektivität zu verlassen, aber mich faszinieren Schausteller. Schausteller üben einen außeralltäglichen Beruf aus. Für mich sind die Schausteller eine Kaste, die die Pforte in ein Paradies jenseits des Alltags offenhält und eine Welt ohne Feste ist eine unerträgliche.
Vielen Dank für das Gespräch.
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