Islamforscher Rauf Ceylan und Michael Kiefer erklären, woher die fundamentalistische Strömung kommt, welche politisch-theologischen Ideologien ihre Anhänger vertreten und wie man der Radikalisierung vorbeugen kann
Berlin | Heidelberg | Wiesbaden, 04.09.2013. Neo-salafistische Gruppierungen haben in den letzten beiden Jahren das Bild der Deutschen von den 4,2 Millionen in der Bundesrepublik lebenden Muslimen negativ beeinflusst. Mit ihren medienwirksamen Missionierungsaktivitäten haben die Anhänger dieser fundamentalistischen Strömung den Anteil von integrations- und sicherheitspolitischen Aspekten der Islam-Debatte, die seit den Anschlägen vom 11. September 2011 im Vordergrund stehen, weiter erhöht. Ihre vereinfachten radikal-religiösen Botschaften schüren die Angst der Bevölkerung, in der das Wissen über die Hintergründe fehlt. Die beiden Islamwissenschaftler Rauf Ceylan und Michael Kiefer leisten jetzt mit ihrem gerade bei Springer VS erschienenen Fachbuch “Salafismus” Aufklärungsarbeit und zeigen Präventionsmaßnahmen im europäischen Vergleich auf.
Derzeit wird der islamische Religionsunterricht in mehreren deutschen Bundesländern in Form von Schulversuchen erprobt, bevor er in den nächsten Jahren bundesweit flächendeckend eingeführt werden soll. Während die öffentliche Meinung gespalten ist, sehen die beiden Autoren Ceylan und Kiefer darin die Chance für neue Ansätze, um der Radikalisierung Einhalt zu gebieten. Der Bedarf sei gegeben, denn im Vergleich zu anderen europäischen Staaten fehlten Konzepte und Erfahrungen mit Präventionsmaßnahmen, so die Wissenschaftler. Die wichtigste Voraussetzung sei dabei, die salafistische Bewegung aus dem Gesamtzusammenhang von historischen Wurzeln und politisch-theologischen Ideologien zu begreifen: “Denn erst durch die Einbettung dieses Phänomens in historische, theologische sowie soziopolitische Kontexte ist der Salafismus mit all seinen Facetten besser zu verstehen.”
Die Radikalisierung ist dabei kein ausschließliches Problem des Islams. Denn in allen Weltreligionen ist seit einiger Zeit eine erhebliche Zunahme fundamentalistischer Strömungen festzustellen. Der Salafismus zeichne sich dabei in erster Linie durch seine dynamische Entwicklung und die multiethnische Zusammensetzung seiner Mitglieder aus. “Besonders auf junge Menschen aller Herkünfte und Religionen übt er eine große Faszination aus, weil diese Strömung es anscheinend versteht, den Jugendlichen Identifikationskonzepte anzubieten, welche weder die hiesige Gesellschaft noch die muslimischen Gemeinden im Sozialisations- und Integrationsprozess zu schaffen vermögen” erklärt Rauf Ceylan. Erste Anzeichen für die Radikalisierung junger Menschen sind laut Michael Kiefer die plötzliche Annahme eines sehr rigiden religiösen Lebensstil, die Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes, die Verlautbarung religiös-politischer Parolen sowie die radikale Kritik am – nach ihrer Ansicht – areligiösen Lebensstil von Familienmitgliedern und Freunden.
Obwohl die Salafisten eine Randgruppierung von einigen Tausend Mitgliedern in der Bundesrepublik sind, gelingt es ihnen durch groß angelegte Kampagnen wie zum Beispiel der Verteilung kostenloser Koran-Exemplare, Demonstrationen und Selbstinszenierungen mit deutschsprachigen Predigern immer wieder, die Aufmerksamkeit der Medien und der Politik auf sich zu ziehen. So beeinflussen sie tagespolitische Entwicklungen und dominieren die Berichterstattung in den Medien. Um dem Einfluss der Gruppierung entgegenzuwirken, fordern die beiden Experten Rauf Ceylan und Michael Kiefer die Zusammenarbeit von Staat und zivilgesellschaftlichen Akteuren: muslimische Gemeinden, die Kinder- und Jugendhilfe, die Politische Bildung sowie Schule und Universität. In ihrem Fachbuch geben sie jetzt klare Handlungsanweisungen für den deutschen Kontext.
Dr. rer. soc. Rauf Ceylan ist Professor für gegenwartsbezogene Islamforschung am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.
Dr. phil. Michael Kiefer ist derzeit Postdoc am Zentrum für Interkulturelle Islamstudien an der Universität Osnabrück und Leiter des Dialoggruppenprojekts “Ibrahim trifft Abraham” in Düsseldorf.
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