Rumänischen Autoren Gehör verschaffen – Fest-FDR Festivaljubiläum und neue Literatur in deutscher Sprache

25 Jahre sind seit dem Zusammenbruch des totalitären rumänischen Systems vergangen und zum 20. Mal veranstaltet des TNTimisoara ein Festival rumänischer neuer Literatur mit Blick auf Europa …

BildSoeben erschien im “Theater der Zeit”, Berlin, das Buch “Machtspiele”, eine Anthologie zeitgenössischer rumänischer Theaterstücke. Die rumänischen Autoren Gianina Carbunariu, Roxana Marian, Elisa Wilk, Catinca Draganescu und Eugen Jebeleanu kommen fünfmal zu Wort, ” liefern ein facettenreiches Bild der posttotalitären rumänischen Gesellschaft”, so die Herausgeberin Irina Wolf, Wien. Ein weiteres Mal nun kann der deutschsprachige Raum sich mit einer Epoche des europäische Nachbarlandes Rumänien beschäftigen, die, – “geschrieben und produziert zwischen 2010 und 2013 – die dynamischste und fruchtbarste Zeit der bisherigen Entwicklung der rumänischen Dramaturgie nach 1989 kennzeichnet”, konstatiert Andreea Dumitru in ihren Gedanken zum Buch und spricht dezidiert über den Rollenwechsel von Autoren, Regisseuren und Produzenten im Umgang mit den subventionierten Staatstheatern und der Gründung von freien und OFF-Bühnen. Letzteren wird Erneuerung, Realität als Quelle, soziale Sensibilität und die Integration des Theaters in eine prospektive, bürgerorientierte Kultur zugeschrieben, darüber hinaus das Interesse an neuen Ausdrucksformen wie partizipative Kunstprojekte, Gemeinschaftskunst, Aktivismus durch Kunst und Dokumentartheater.

25 Jahre sind seit dem Zusammenbruch des totalitären rumänischen Systems vergangen und zum zwanzigsten Mal stellte sich in Timisoara (Temeswar), der drittgrößten Stadt des Landes, das Nationaltheater TNT (Teatrul National Timisoara) die Aufgabe, ein Festival neuer rumänischer Dramaturgie zu präsentieren. Im Westen Rumäniens, seit 400 Jahren eine Viel-Völker-Region mit lebendigen Kulturen und Sprachen aus Ost und West, entwickelte das Haus unter der jungen, kreativen Leitung von Ada Lupo-Hausvater als General-Managerin, Ion Rizea ihrem Kooperator (und Schauspieler) sowie einem soziokulturell emotional engagierten Ensemble seit 1996 eine neue Kultur, Schreiber, Macher, Visionäre mit ihren Werken vorzustellen oder auch zu produzieren und diese mehr und mehr in einen internationalen Kontext zu stellen. Manchmal wurden die Stücke nicht vorweg durch eine Jury bewertet und konnten sich ohne Zwang von außen einer national und international besetzten Jury beweisen. Zumeist jedoch zeichnete ein Festival-Scout für die Auswahl verantwortlich, so dass von Mal zu Mal unterschiedliche Tendenzen und Strömungen den Besuchern offensichtlich gemacht werden konnten. Vom Wettbewerbsprinzip ist man glücklicherweise etwas abgerückt, Information mit Präsentation und einem guten Schuss rumänischen Selbstbewusstseins, macht heuer das Festival der nationalen Dramaturgie (FEST-FDR) aus. Seit einigen Jahren wurde es um ein getrenntes, bzw. anschließendes Outdoor-Spektakel für Jedermann erweitert, um auch hier Publikumsmagnet zu sein, denn da haben bereits andere Festivals des Landes die Nase vorn.

In der zwanzigsten Ausgabe bewies sich das Festival als aktueller Seismograf, einmal für den “Ostalgie-Trend”, den wir auch in Deutschland mit seiner bissigen Abrechnung mit der Vergangenheit finden. Zum anderen wurde die Vorliebe für Individual-Stories sichtbar, den Umgang und der Auseinandersetzung des Individuums mit dem Alltag. Oana Bros, Programmverantwortliche 2015, bestätigte diese These durch ihre Auswahl, die sie selber nicht als Trends oder ästhetische Richtungsweiser ansieht, sondern ganz klar Individualisten und ihre Schöpfungen durch das Festival präsentiert wissen wollte. Obwohl, und da lag sie sicher richtig, es zeigt, dass neue rumänische Stücke eine Portion “Gesundung für rumänische Nationaltheater” ausmachen. Die Förderung dieser Dramaturgie sei moralische Verpflichtung und strategische Aussage zum Beitrag zur Entwicklung und Voranschreiten von Kultur. (Ein glückliches Zusammenstehen unter dem Aspekt eines Wettbewerbs um die Kulturhauptstadt Europa 2021 und zusammen mit dem ETC “European Theatre Convention” und einem ersten Europäischen Theater- und Wissenschaftsfestival, “The Art of Aging”, um das die FDR Sektion in dieser Ausgabe erweitert worden war.)

“Das Leben ist schöner nach dem Tod” von Mihai Maniutiu in ungarischer Sprache, setzte sich Kopf über mit dem Leben nach dem Tod auseinander, “Organic” des Nationaltheaters Bukarest von Saviana Stanescu mit Organhandel bei Migranten. “Amalia atmet tief durch” (Nationaltheater Cluj) und “Gefangen im Verkehr” (Nationtheater Targu-Mures) von Alina Nelega brachten – beide von der Schriftstellerin inszeniert – unterschiedliche Aspekte fraulicher Identitätsfindung in unserer Gesellschaft auf die Bühne, ein gelungener feministischer Ansatz. Um sexuelle Hörigkeit ging es im Stück von Nona Ciobanu. “Opfer und Täter”, ein Treffen eines ehemaligen SS-Offiziers und seiner Lagergefangenen nach 13 Jahren (TNCluj). Mit “Erinnerungen an die Schulzeit” lieferte Mihaela Michailov einen echten “Ostalgie”-Knaller, besonders für junge Heranwachsende in rumänischen Schulen, eine Produktion von Ado-Kunst für Menschenrechte, Bukarest. Ein Eugène Ionesco durfte nicht fehlen; dem berühmten ausgewanderten Rumänen war die Inszenierung von Gábor Tompa “Der neue Mieter” gewidmet, ein Spektakel des Nottara Theater Bukarest, das auch im Westen immer wieder amüsiert. “Im Park” von Radu Iacoban zeigte das Godot-Café Bukarest, ein OFF-Theater, wie sich fiktive historische Gestalten mit normalen Rumänen heute unterhielten, wenn sie dann könnten. “Haushalts-Gegenstände” von Xandra Popescu zeigt das Handeln von Rumänen, die eine aus den Philippinen “importierte” Babysitterin ausbeuten, ja versklaven. (Wer sagt, Rumänien sei nicht in Europa?, Anm. des Chronisten) Die Vorstellungen interpretierten die Beschäftigung mit dem Individuum in seiner Unzulänglichkeit, seiner Auffassung von Sexualität und persönlicher Alltagstauglichkeit.

In “Möbel und Herzanfall” von Teodor Mazilu re-evaluierte Regisseur Victor Ioan Frunza Theaterschaffen vor der rumänischen Revolution. “Die Kinder der Hungersnot”, Zeugnisse über die Ereignisse von 1946-47 in Bessarabien und seine 300.000 Opfer legte Regisseurin Luminita Tacu mit dem Nationaltheater Chisinau und Alexei Vakulovskis Dokumentar-Stück ab, eine beeindruckende minimalistische auf Wort und Wortlaut abgezielte Vorstellung, die erste aus dem Schwesterland Moldau, die durch Augenzeugen und Überlebende eine Hungernot als ein historisches Phänomen und zugleich die erste Aufzeichnung über Kannibalismus beschreibt.

“For Sale” von Gianina Carbunariu, eine der bekanntesten rumänische Dramaturginnen, beschäftigte sich auch dieses Mal wieder mit der negativen Auswirkung von Politik auf die rumänische Gesellschaft der Neunziger. Bestechung und Landnahme durch Spekulanten (Deutsche wurden hier wunderbar persifliert), die in weltweiter Globalisierung begründet bis in die heutige Gesellschaft hinein verwachsen eine soziale Schicht in Rumänien ausrotteten. Migration, ein europäisches Problem macht nicht vor Rumänien halt: Dies beschreibt Saviana Stanescu in ihrem Stück “Aliens mit außergewöhnlichen Fähigkeit” von Alexandru Mihail und dem Oden Bukarest ausgezeichnet in Szene gesetzt.
“Die Uhr tickt” von Stefan Peca spannte in der Jubiläumsausgabe den Bogen zwischen nationalem Dramaturgie-Festival und der Gastveranstaltung des ETC mit “Der Kunst zu Altern”. Der bekannte rumänische Schreiber gab einer Vorstellung 60 Minuten Zeit, in Deutsch, Rumänisch und Englisch zu einer Kooperation zwischen dem Badischen Staatstheater Karlsruhe und dem TnTimisoara, zwischen Schauspielern und Publikum interaktiv, multilingual die Tatsache des globalen demographischen Wandels der Gesellschaft zu bearbeiten. Genial, dass jeder in der Vorstellung die Chance nutzen konnte, während der folgenden 60 Minuten ein wenig besser zu altern.

Dem Festival mit europäischem Tenor in Verbindung mit nationaler rumänischer Theaterliteratur einen herzlichen Geburtstagsgruß aus dem deutschsprachigen Raum, verbunden mit dem Wunsch als literarischer Förderer beider Seiten, der rumänischen und europäischen, die kommenden Jahre eine hoffentlich wachsende Schar internationaler Gäste über das Geschehen auf rumänischen Bühnen der Gestalt niveauvoll auf dem Laufenden zu halten.

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