Das moderne Athen ist eine ziemlich gestaltlose Millionenstadt: ein wenig München, ein wenig Paris, ein wenig Griechenland, ein wenig London, viel Orient.
Viel deutscher Klassizismus verewigte sich hier: Parlament, Universität, Sternwarte, Nationalmuseum, Königspalais, Königliches Theater. Doch wo die Klassik selbst so nah, verliert der »-ismus« seine Wirkungskraft. Wer auf der Akropolis die Säulen aus adernlosem pentelischem Marmor betrachtet hat, mag die Säulen im Münchener oder Wiener Stil in der Innenstadt nicht mehr sehen. Sie sind ein Abklatsch des Urbildes wie Blumen aus Draht und Papier.
Steigt man die Stufen zu den Propyläen, dem Torgebäude der Akropolis (432 vor Christus) hinan, nähert man sich den Quellen seiner Existenz. Weder Goethe noch Bach, weder die gotischen Kathedralen noch die christliche Lehre sind denkbar ohne die Menschen, die diese Säulenhallen bauten. Funde beweisen, dass die Akropolis schon zwei Jahrtausende vor der Zeit des Perikles ein wichtiger Versammlungs- und Zufluchtsort war. Gestalt gewonnen aber hat der geweihte Hügel innerhalb weniger Jahrzehnte, und was da Gestalt wurde, blieb Maß und Vorbild für alle Nachgeborenen.
Wer vom Parthenon (438 vor Christus vollendet) auf die Propyläen zurückblickt, erinnert sich der sechs nebeneinander stehenden Säulen des Brandenburger Tores, die mit einer gewissen Porträtähnlichkeit das antike Meisterwerk nachvollziehen.
Kontrapunkt zur männlichen Wucht der Propyläen: der zarte, zierliche Tempel der Athena Nike (421 vor Christus) und auf der anderen Seite die anmutigen Karyatiden des Erechtheion-Tempels (406 vor Christus), dessen Säulenreihen sich fast spielerisch den natürlichen Terrassen der Anhöhe anpassen. Und dann, aufflammend im Schein der Morgensonne: der pfirsichfarbene Marmor des Parthenon-Tempels!
Mag der Tempel auch einst mit Schilden behangen, mögen seine Säulen, seine Metopen am Gebälk, sein festlicher Fries im Innern mit satten Farben bemalt, mit Gold geziert gewesen sein – wir sind gewohnt, die Abstraktion davon zu bewundern. Und mancher der Durchblicke im zerstörten Säulenumgang erzeugt eine Musik aus Licht, Schatten, zerstörter und erhaltener Form, die sich einprägt wie bewusst Gestaltetes.
Merkwürdig, dass weder Regen noch Sturm, weder Blitz noch Erderschütterungen den Tempel zur Ruine machten, sondern der Mensch selbst: fromme Männer aus Byzanz meißelten die dramatischen Metopen-Reliefs eines nach dem andern ab, weil sie die religiöse Kraft der Darstellungen nicht mehr begriffen. Und ausgerechnet den Venezianern der Barockzeit blieb es vorbehalten, den Parthenon im Kampf gegen die Türken zu beschießen. Unter den Metopenreliefs, die erhalten blieben, ist eines an der Südwestecke des Gebälks, das den Ringkampf eines Griechen mit einem Zentauren darstellt. Der Mann, dessen Gesicht porträthaft deutlich ist, könnte – sagen die Archäologen – der Meister Phidias selber sein –> Reisebericht Griechenland
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