Dr. Lars Pracejus im Gespräch mit KnowHowNow über die Problematik von Psychotherapie zwischen den Generationen.
Dr. Lars Pracejus, KHN Referent für Psychologie
(KnowHowNow, BBarts Agency. Gießen, den 15.08.2012. Andreas Bode) Psychotherapie und die Vorurteile dagegen: Das Projekt KnowHowNow beschäftigt sich in seiner Reihe über ‘Vorurteile gegen die Psychotherapie’ im aktuellen Expertengespräch speziell mit einer gehobenen Altersgruppe. Referent ist Diplom-Psychologe und Hypnotherapeut Dr. Lars Pracejus aus Gießen.
KHN
Herr Dr. Lars Pracejus – in einem Interview, welches Sie uns im vergangenen Mai gaben, befragten wir Sie zu den Vorurteilen gegen die Psychotherapie und zahlreiche Missverständnisse, welche in der Bevölkerung dabei vorherrschen. Wir möchten uns ein zweites Mal zu dieser Thematik bewegen – und diesmal zwischen Beobachtungen verschiedener Bevölkerungsgruppen differenzieren.
Am 03.07.2012 war beispielsweise in der Märkischen Allgemeinen zu lesen, dass gerade ältere Menschen nur selten therapeutische Hilfe bei seelischen Problemen aufsuchen. Wie können Sie diesen Bericht zum Einstieg kommentieren?
Dr. Lars Pracejus
Die Gerontopsychologie, also jener Teil der Psychologie, der sich mit dem Altern und den dazugehörigen Themen befasst, ist ein in unserer Gesellschaft unterschätzter Zweig der medizinischen Versorgung. Altern und die Anpassung daran werden in unserer Gesellschaft gerne verdrängt. Dem liegt keine böswillige Absicht zugrunden, sondern eine Schutzfunktion, sich nicht gerne mit dem eigenen Altern und den damit verbundenen Aufgaben zu beschäftigen. Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen des Alters gehören depressive Störungen (20%), Schlafstörungen (20%), Selbstmordabsichten (10%), somatoforme Störungen (10%), Angststörungen (5%) und Abhängigkeitserkrankungen (3%). Wobei wir dabei immer von einer zusätzlichen Dunkelziffer ausgehen müssen. Etwa 24%-40% der Menschen über Sechzig sind von einer psychischen Erkrankung betroffen, aber nur 1,5% dieser Altersgruppe sind in Behandlung.
KHN
Welche Chancen bestehen für diese Personengruppe bei psychotherapeutischen Behandlungen?
Dr. Lars Pracejus
Es geht um die Linderung eines Leidensdruckes. Hierbei müssen wir aber auseinanderhalten, dass es eine kurative (heilende) und eine palliative (lindernd-erhaltende) Seite gibt. Es gibt psychische Erkrankungen, die geheilt werden können. Gerade im Alter treten aber Umstände auf, wie Verlust von Partner oder Freunden und körperlicher Abbau, was nicht umkehrbar ist. Hierbei gilt es, sich den psychisch belastenden Umständen anzupassen und einen Umgang damit zu erlernen.
KHN
Alterseinsamkeit lässt mit seelischen Problemen zusätzlich allein – oder kann Ursache sein?
Dr. Lars Pracejus
Man spricht in der Psychologie von wichtigen Säulen in der Psychohygiene. Ein gutes soziales Netzwerk ist eine davon. Wenn sich im Alter der Freundeskreis reduziert fällt diese Ressource nach und nach weg. Gerade in kinderarmen Gesellschaften wie Deutschland kann Alterseinsamkeit ein zusätzliches Problem sein.
KHN
Woher kann die Abwendung von professioneller Hilfe im Alter kommen? Oder ist es mehr eine Erscheinung der Generation, die auch früher der Psychotherapie wenig zugetan war?
Dr. Lars Pracejus
Ich halte das gar nicht für eine Abwendung im Alter, sondern vielmehr gab es bei dieser Generation nie eine Zuwendung. Das soll gar nicht als Vorwurf formuliert sein, sondern ist vielmehr Produkt der Erziehung. Wir müssen einbeziehen, dass kulturell-gesellschaftliche Axiome (Annahmen) viele Jahrzehnte bedürfen, um sie zu verändern. Gerade Deutschland spürt noch heute die besondere Situation des letzten Krieges und die heutigen „älteren“ Menschen sind in der Nachkriegszeit erzogen worden. Diese Zeit war geprägt vom Überleben durch Zusammenhalt. Daher war es aber auch wichtig, was der Nachbar, auf den man angewiesen war, von einem dachte. Die Haltung „Was sollen nur die Nachbarn denken?“ stammt aus jener Zeit und ist unter diesen Umständen erklärbar. Damals überlebte man durch Disziplin und nicht durch Klagsamkeit. Es gab keine Toleranz für psychische Erkrankungen. Eine körperliche Verletzung, Vergiftung oder Erkrankung war erklärbar, eine psychische Erkrankung wurde als mangelnde Disziplin oder ein Sich-gehen-lassen getadelt. Man ging nicht wegen psychischer Probleme zum Fachpersonal. Man hatte doch „keine Klatsche“.
KHN
Die Märkische Allgemeine verwies darauf, dass Psychotherapie im Alter genauso gute Ergebnisse erziele, wie bei jungen Menschen. Wie beurteilen Sie die Unterschiede?
Dr. Lars Pracejus
Professor Andreas Maercker vom Lehrstuhl für Psychopathologie und Klinische Interventionen an der Universität Zürich sagte im Deutschen Ärzteblatt vom 29. Juni 2012, dass „kognitive Verhaltenstherapie als auch psychodynamische Therapie bei einer durchschnittlichen Therapielänge von zwölf Stunden sehr gute Effektstärken aufwiesen.“ Auch in meiner eigenen Arbeit in meiner Praxis für Psychotherapie (HPG) bin ich davon überzeugt, dass der Mensch bis ins hohe Alter lernfähig ist. Natürlich nimmt neuronale Plastizität im Alter ab. Ein älterer Mensch bildet neue Synapsen (Verschaltungen im Gehirn) langsamer aus als ein Kind. Aber hier geht es nicht um die Geschwindigkeit, sondern darum, dass es überhaupt möglich ist.
KHN
Gibt es Engagements oder Ideen von Seiten der Branche oder von Ihnen selbst, um Hilfebedürftige im Alter dennoch zu erreichen?
Dr. Lars Pracejus
Gerontopsychologie und Gerontopsychiatrie sind relativ junge Zweige der Medizin. Gerade der Palliativmedizin wird in jüngster Zeit viel mehr Beachtung geschenkt und das ist eine sehr positive Entwicklung. Wir werden alle älter und eine gute und würdige medizinische Versorgung im Alter ist uns allen wichtig.
KHN
Was können Sie zur Belastung Angehöriger sagen? Wie schätzen Sie die Rolle von Kindern und Enkeln dabei ein? Könnte hier ein Zugang geschaffen werden?
Dr. Lars Pracejus
Die Betreuung Angehöriger ist ein eigenes Thema. Ein solides soziales Netzwerk kann eine wertvolle Ressource für Betroffene und ihre Angehörigen sein. Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die Pflege älterer Menschen Energie erfordert. Es kann auch sinnvoll sein, dass sich Angehörige selbst Unterstützung suchen.
Kinder und Enkel können Betroffene auf die Möglichkeit psychischer Betreuung hinweisen, aber es kann niemand dazu gezwungen werden. Außerdem ersetzten sich die Gruppen der familiären Pflege, der professionellen Pflege, medizinischer und psychologischer Betreuung nicht. Anders formuliert: diese Bereiche müssen Hand in Hand arbeiten.
KHN
20% aller über 65 Jahre alten Menschen sollen eine psychische Erkrankung haben – von Angststörungen bis Demenzen. Ist am Ende gerade die Zielgruppe am schwersten Betroffen, die den Aufenthalt in der Praxis eher verweigert? Oder vielleicht gerade deshalb? Wie schätzen Sie diese Zahlen ein, welche derzeit durch die Medien gehen?
Dr. Lars Pracejus
Statistiken helfen den Betroffenen nicht weiter. Sie dienen der Rechtfertigung von Finanzierungskonzepten und ich behaupte, dass wir für die wirklich wichtigen Bereiche nicht genug „Töpfe“ bereitstellen.
KNH
Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch! Möchten Sie abschließend noch kommentieren?
Dr. Lars Pracejus
Ältere Menschen fühlen sich oft befangen, sich an einen medizinischen Dienstleister zu wenden, der an Lebensjahren jünger ist. Hier ist aber nicht die Lebenserfahrung in Lebensjahren ausschlaggebend, sondern die fachliche Qualifikation, die durch Eignung für den Therapeutenberuf, Studium, Fort- und Weiterbildung gegeben ist.
Pressekontakt:
Im Gespräch Dr. Lars Pracejus. Praxis: Südanlage 12, 35390 Gießen. Diplom-Psychologe
aus Gießen und Spezialist für Psychotherapie und Hypnotherapie, Hessen. Promotion (rer.
nat.) und Studium der Psychologie und Medizin an der Justus Liebig Universität Gießen.
Internetpräsenz des Referenten: http://www.hypno-dialog.de
Interviewkennung bei Rückfragen an KnowHowNow: med/0017
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