Potenzmittel und mänliches Selbsbewusstsein

Ein romantischer Abend zu zweit, leichte Berührungen, sehnsuchtsvolle Blicke und gestohlene Küsse. Die Lust auf einen anschließenden Club- oder Barbesuch ist proportional zur steigenden Erregung und Vorfreude auf ein intimes Zusammensein gesunken. Das Taxi kommt, die Fahrt dauert ewig und nur mühsam bleiben die wandernden Hände auf öffentlichkeitstauglichem Niveau. Dann ist es endlich soweit, man ist gemeinsam allein. Die Einen trinken noch gemütlich ein Glas und genießen dabei die wachsende Erregung und Vorfreude. Die Anderen haben vielleicht genug gewartet und sehnen sich nach dem Gefühl von Haut, Zunge und Hände des Gegenübers. Beide Szenarien führen auf das gleiche Ziel – der Geschlechtsverkehr, der Orgasmus, die Erlösung.

Doch etwas stimmt nicht. Die Erektion des Mannes – wo ist sie? Was ist passiert? Der Abend, die Nacht endet in einem freudlosen Desaster. War es nun der Alkohol, der stressige Tag im Job, die aktuellen Geldsorgen oder die Beule im neuen Auto? Doch irgendwie scheinen das alles nur Ausreden zu sein. Denn … Mann kann immer!

Eine derartige Potenzstörung kann in fast jedem Alter vorkommen, wobei die Wahrscheinlichkeit mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt. So zeigen Umfragen, dass allein in Deutschland zwischen vier und sechs Millionen Männer im Alter von 30 bis 70 Jahren von Erektionsstörungen unterschiedlicher Ausprägung betroffen sind. Seit Viagra® und Co. über das Internet zu beziehen ist, ist die Lösung vermeintlich schnell bei der Hand, man braucht nicht viel zu erklären, muss keine Untersuchungen über sich ergehen lassen und so erscheint nach außen hin alles perfekt.

Der Schein ist gewahrt. War es das dann jetzt? Die Antwortet lautet fast immer Nein. Für eine dauerhafte Erektionsstörung, auch erektile Dysfunktion genannt, kann es eine Reihe von Ursachen geben. An Nummer eins stehen körperliche Ursachen – Schätzungen gehen von ca. siebzig bis achtzig Prozent aus, dementsprechend sind ca. zwanzig bis dreißig Prozent psychischer Natur.

Starkes Rauchen, regelmäßiger Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit, durchgemachte Nächte und beruflicher Stress können ebenso zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, wie Diabetes, Übergewicht, Testosteronmangel und Arteriosklerose. Ob organische Ursachen vorliegen und wie diese zu behandeln sind, ob die Verschreibung von Potenzmitteln notwendig ist und wie lange man auf ein solches Hilfsmittel angewiesen ist, sollte nicht im Selbstversuch erprobt, sondern in fachärztliche Hände gelegt werden. Insbesondere die Verwendung von Potenzmittel Generika – Nachahmer-Präparate mit (angeblich) gleichem Wirkstoff – kann problematisch sein, wenn sie rezeptfrei aus dem Ausland angeboten werden. Um auf dem deutschen Markt zugelassen zu werden, müssen Generika die therapeutische Äquivalenz zum Original belegen und sind im Normalfall verschreibungspflichtig. Die meistverkaufte sind Viagra Generika, die den gleichen Wirkstoff wie Viagra, Sildenafil Citrate, enthalten.

Abgesehen von möglichen Nebenwirkungen, wie Sehstörungen, Kopfschmerzen und Blutdruckabfall, können aus medizinischer Sicht nicht verordnete Potenzmittel eine erektile Dysfunktion insbesondere dann verschlechtern, wenn die Ursache psychischer und nicht organischer Natur ist. In Deutschland gibt es fast eine Million Männer, die an einer psychisch bedingten Erektionsstörung leiden. Auslöser sind meist Versagensängste, emotionale Konflikte oder Schuldgefühle.

Unabhängig von den physischen oder psychischen Ursachen für eine erektile Dysfunktion, gibt es einen weiteren wichtigen Aspekt, der hier noch aufgegriffen werden soll: Wie geht ein Mann mit den Potenzproblemen um?

Fast immer verbindet ein Mann seine Männlichkeit mit seiner sexuellen Leistungsfähigkeit. Ist diese gestört, zweifelt er sein „Mann-sein“ an.  Potenzmittel helfen dann immerhin kurzfristig, da sie – bei entsprechender Stimulation – eine Erektion generieren. Jedoch ist diese Lösung bei weitem nicht perfekt und auch nur als Übergangslösung zu sehen. Wie sieht es nämlich aus, wenn eine gewisse Zeit vergangen ist? Ist man dann auf immer noch auf Hilfsmittel angewiesen?

Besonders der Gedanke, nicht mehr potent zu sein und nur noch mit Potenzmittel einen steifen Penis zu bekommen, ist erschütternd für das Selbstvertrauen, Selbstbild und Selbstwertgefühl. Aus dieser Anspannung heraus ist es dann häufig so, dass – selbst wenn der Auslöser für die Dysfunktion nicht mehr relevant sein sollte – eine Erektion ohne Hilfsmittel nicht mehr möglich ist. Anspannung und Versagensängste, Zweifel an der eigenen Männlichkeit und Performance-Zwang – also zusammengefasst, die eigene Angst – führen zu einer anhaltenden Potenzstörung. Damit dreht sich man im Kreis.

Ebenfalls relevant ist, dass viele Männer die Einnahme und Problematik dahinter aus Scham und Minderwertigkeitsgefühlen ihrem Partner gegenüber verschweigen. Daraus entsteht eine neue belastende Situation – zumindest in einer festen Beziehung. Mann muss das Medikament verstecken und die Einnahme anpassen, so dass er nicht „erwischt“ wird. Diese Situation kann sich wiederum zunehmend negativ auf die Beziehung auswirken.

Hieraus ergibt sich folgende Schlussfolgerung: Selbst, wenn eine Erektionsstörung physische Ursachen hat, können die damit einhergehenden emotionalen Befindlichkeiten schwerwiegender sein, als der eigentliche Auslöser. Potenzmittel sind kein Allheilmittel, sondern richten sich ausschließlich gegen ein bestimmtes Symptom – und genau das ist ihre Aufgabe. Die Ursachen und Folgen müssen individuell erforscht und behandelt werden.

Auch wenn die hier dargestellten Beispiele nicht für alle Varianten und erst recht für alle Männer pauschalisiert werden können, gibt es Fragen, die sich jeder Mann stellen sollte, falls er mit diesem Problem konfrontiert wird. Die Antwort kann Ihr ganzes Leben beeinflussen.

Mann sein …

Muss ein Mann auf ärztliche Hilfe verzichten?

Kann ein Mann damit umgehen, dass die natürliche Fähigkeit zur Erektion gestört ist und fachmännische Hilfe notwendig ist?

Heißt ein Mann sein, dass ein Mann sich zu sehr schämt, um eigene Probleme anzugehen?