Eine intellektuelle und sinnliche Reise in die gemeinsame Geschichte beider Länder, um die koloniale Vergangenheit und den Völkermord an den Herero und Nama künstlerisch aufzuarbeiten.
»unwritten archives – (re)constructing the past« ist eine recherchebasierte, interdisziplinäre Arbeit. Sie versucht mit Künstler*innen aus Namibia, dem ehemaligen “Deutsch Südwestafrika”, und Deutschland die gemeinsame Geschichte, die koloniale Vergangenheit und die Aufarbeitung des ersten Völkermords an den Herero und Nama auf verschiedenen sinnlichen Ebenen greifbar und nachvollziehbar zu machen, Widersprüche auszuhalten und denjenigen Gehör zu geben, die bisher nicht an dem Dialog beteiligt worden sind.
Sebastian Hirn komponierte das 2022 und 2023 in Namibia gesammelte Archiv-, Interview- und Filmmaterial zu einer bespielten Mehrkanal-Videoinstallation, die am 7. September 2023 in der Schwere Reiter Halle in München zur Uraufführung kommt.
Mit den Mitteln von Schauspiel, Tanz, Film und Musik entsteht ein vielschichtiges Gewebe, das die Besucher:innen auf eine intellektuelle und sinnliche Reise in die bewegte gemeinsame Geschichte mitnimmt, deren gesellschaftliche, religiöse und politische Auswirkungen bis in unsere Gegenwart führen. Die Auseinandersetzung reicht von den Anfängen der christlichen Mission Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum “Aussöhnungsabkommen”. Bis heute fühlen sich die Nachfahr:innen des ersten Völkermords an den Ovaherero, Nama, Damara und San nicht gehört und verhinderten die Ratifizierung im namibischen Parlament. Sie fordern Neuverhandlungen und eine völkerrechtliche Anerkennung der Schuld. Deutschland hatte nur eine moralische Schuld eingeräumt und eine Intensivierung der Entwicklungszusammenarbeit in Aussicht gestellt.
In »unwritten archives – (re)constructing the past« kommen Stimmen der Kolonisierten und Kolonisator:innen über Tagebücher, Briefwechsel und Chroniken zu Wort. Interviews ergänzen die historischen Quellen mit verschiedenen heutigen Perspektiven. Zu den Interviewten gehören unter anderem ein deutschsprachiger Großgrundbesitzer und Nachkomme eines Schutztruppen-soldaten, traditionelle Anführer der einzelnen Sprachgruppen, eine deutschsprachige Schriftstellerin und ein Herero-Dichter und eine Museumskuratorin, die sich mit Restitution von Kulturgegenständen beschäftigt.
Durch den “relativ frühen Verlust” der Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg und der Aufarbeitung der Deutschen Schuld im Dritten Reich wurde das koloniale Erbe Deutschlands lange als nicht existent angenommen. Dabei wurde das Deutsche Reich mit der Einberufung der Berliner Konferenz durch Otto von Bismarck zu einem wichtigen Motor für die Besetzung und Ausbeutung des afrikanischen Kontinents.
Erst in den letzten Jahren, mit dem Bau des Humboldtforums und im Zuge der Debatte um Restitutionen von Beutekunst kam das Thema in die breitere Öffentlichkeit. Als 2021 nach sechsjährigen Verhandlungen die Bundesregierung eine Einigung mit der namibischen Regierung verkündete, wurde der erste Völkermord an den Ovaherero und Nama im ehemaligen deutschen “Schutzgebiet” in zahlreichen Zeitungen behandelt. Bis dahin gab es eher eine Verklärung und Verharmlosung der deutschen Kolonialzeit, die von Heinos »Südwesterlied« bis zur Berichterstattung über Relikte und Kuriositäten deutscher Geschichte in Kamerun bei den Fußballweltmeisterschaften reichte.
_Deutschland muss sich mit unseren traditionellen Führern an einen Tisch setzen und nicht nur mit unserer Regierung über Entwicklungshilfe verhandeln. Das wird dieser einzigartigen Situation, bei der es um den Genozid an meinem Volk geht, nicht gerecht. _(Der kürzlich an Corona verstorbene Vorsitzende des Ovaherero Genocide Committee Vekuii Rukoro)
Die Produktion wurde im Team erstellt und wird performt von und mit Toni Baldoni (Pferde), Andreas Bittl (Chor), Alessandra Defazio, Anna Dwornicki (Chor), Wolfgang Egartner (Chor), Florian Glas (Chor), Florian Götte, Ralf Hall, Sebastian Hirn, Ines Hollinger, Muni Hoveka, Constanze Knapp, Joseph Köttl, Barbara Lucke (Chor), Hans Otto, Prince Marenga Kambazembi, Amon Ritz (Videotechnik), Iphigenie Sesterhenn (Chor), Christiane Simbürger (Chor), Stefan Staub, Stephanus Sylvester Swartbooi, Hildegard Titus, Gift Uzera, Julia Turbahn, Moritz Urbanek (Chor).
_Gefördert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München in Kooperation mit PATHOS münchen/ schwere reiter GbR sowie vom Verein Ausstellungshaus für christliche Kunst e.V. Die Recherche wurde gefördert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München, dem Goethe Institut München und pro Helvetia._
Do, 7.- Sa, 9. September 2023, 20 Uhr im Theater Schwere Reiter, Dachauer Str. 114a, 80636 München
Karten unter www.schwerereiter.de
Mehr zu Sebastian Hirn unter https://sebastianhirn.com/
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Herr Sebastian Hirn
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80636 München
Deutschland
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email : sebastian.hirn@yahoo.de
Sebastian Hirn, freischaffender Regisseur, Bühnenbildner und bildender Künstler. Studium der Germanistik, Theaterwiss. und Geschichte an der HU Berlin, Regie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, Bühnenbild an der Zürcher Hochschule der Künste. Mitarbeit bei verschiedenen Arbeiten von Stephan Huber. Gewinner des Regiewettbewerbs von Luc Bondy, Wiener Festwochen (2001), Teilnahme am Internationalen Forum Theatertreffen der Berliner Festspiele (2007), Arbeits- und Fortbildungsstipendium der Stadt München (2010), Recherchestipendium des Berliner Senats (2017). Artist in Residence am Santa Fe Art Institute, New Mexico, und Bemis Center for Contemporary Arts, Omaha, Nebraska. Lehrbeauftragter an der Akademie der Bildenden Künste München, Bühnenbildklasse Katrin Brack, externer Prüfer an der Theaterakademie August Everding, Fachbereich Maskenbild. Arbeiten im Bereich Happening und Performance, Rauminstallation und Video. Videoarbeiten u.a. für Michael Simon, Achim Freyer, Bühnenbild, Kostüme und Licht u.a. für Nele Jahnke. Inszenierungen an diversen Häusern, u.a. Wiener Festwochen, Wuppertaler Bühnen, Staatstheater Stuttgart, Münchner Volkstheater, Mozartfestpiele Schwetzingen, Burgtheater Wien, Oper Dortmund, Schauspielhaus Bochum, Theaterhaus Jena, Theater Hora Zürich, Oper Nürnberg, Rote Fabrik Zürich. Freie Arbeiten, Installationen und Ausstellungen in München u.a. Lothringer13, Kunstraum, MaximiliansForum, Schwere Reiter, Projekt Streitfeld, an verschiedenen Orten im Stadtraum.
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