Marion Meier, Im Teuto versteckt und überlebt

Dr. Sommers Bielefelder Jahre als Martin Goldstein 1927 – 1947
Eine berührende, kaum bekannte Biographie über den Mann, der hinter dem bekannten Sexualpädagogen Dr. Sommer aus der BRAVO steckte

Marion Meier, Im Teuto versteckt und überlebt

Marion Meier, Im Teuto versteckt und überlebt

Das geheime Leben des Dr. Sommer

Für Generationen von Teenagern ebnete er den Weg in eine befreite, selbstverständliche Sexualität: Dr. Sommer ist in Deutschland mit seiner Rubrik in der Jugendzeitschrift BRAVO zu einem Synonym geworden für die Kraft, die ehrlicher Aufklärung innewohnt. Die Bielefelder Journalistin Marion Meier hat sich in ihrem neuen Buch Im Teuto versteckt und überlebt auf die Spuren des berühmten Psychologen begeben, dessen erste Lebensjahre in Ostwestfalen von der NS-Diktatur überschattet waren. Berührend erzählt sie von ihren Begegnungen mit dem Mann hinter dem Pseudonym, Martin Goldstein – eine Geschichte, die pünktlich zum 800. Jubiläum der Stadt Bielefeld ein dunkles Kapitel deutscher Vergangenheit erhellt: Meiers Biographie Martin Goldsteins schildert, wie Verfolgung und Fremdenfeindlichkeit den Alltag einer deutschen Großstadt zur Nazizeit prägten. Dabei gelingt ihr ein beeindruckendes Mahnmal, das uns in Zeiten des NSU-Prozesses den Wert gelebter Toleranz in Erinnerung ruft. Ein Wert, der sich wie ein roter Faden durch Goldsteins Leben zieht.
“Auch heute noch werde ich als Zeitzeuge oft von Schulen eingeladen. Dann erzähle ich von meinen Erfahrungen als Kind und Jugendlicher mit den Nazis. Die Jugendlichen sind geschockt, wenn ich dann immer noch weine,” berichtet Martin Goldstein wenige Jahre vor seinem Tod im Gespräch mit Marion Meier. “Ich sage dann: Ich danke euch für Eure Fragen. Das ist meine Heilung, dass ich endlich an meine Gefühle komme, an meine Angst, an meine Not, ich habe ja 50 Jahre nichts erzählt. Das Tiefgekühlte in mir konnte endlich auftauen.”
Die Geschichten, die das Unfassbare greifbar machen, sie sterben allmählich aus mit einer Generation, die die Grauen des Krieges am eigenen Leib erfuhr – und deren gesamtes Leben unter dem Einfluss einer tiefgreifenden Traumatisierung stand. Erzählen bringt Erstarrtes wieder ins Fließen. Diese Kraft haben gute Texte, die wie Anne Franks Tagebuch daran erinnern, dass die Lektionen des Krieges einer stetigen Pflege bedürfen. Nicht als Bürde für die Zukunft, sondern als Unterstützung bei der Ausrichtung, was für eine Gesellschaft wir erschaffen möchten – und von welchen Werten wir uns dabei leiten lassen möchten.

Diese Kraft hat auch die Biographie von Marion Meier. Für die Sexualpädagogik ist das Wirken von Martin Goldstein ein Meilenstein mit einem nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Offenheit, die heutige Diskurse zur Sexualität prägt. In Familien stößt Offenheit noch heute an ihre Grenzen, wenn es um den Krieg und seine Folgen geht. Zu belastend war es, was Großmütter und Großväter erlebt hatten, als dass es hätte geteilt werden können. Tabuisierung schafft ein Gefühl des Getrenntseins. Das gilt nicht nur für die Sexualität, in der Goldstein half, das Schweigen zu brechen. Es gilt auch für die Vergangenheitsbewältigung. Zahlreiche Abbildungen aus öffentlichen und privaten Archiven machen in Meiers Buch eine Zeit anschaulich und erlebbar, die bis in unseren heutigen Alltag hineinreicht und die durch den Mut, das Schweigen zu brechen, Heilung erfährt.

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