Im Gespräch: Architekt Bernd-Simon Schwarz ein Jahr nach dem Bau seines Bürogebäudes ohne Heiztechnik
Die bundesweiten Energiepreise haben im letzten Jahr mehrfach Höchststände erreicht. Aus diesem Grund rücken alternative Baulösungen zunehmend in den Fokus – darunter auch solche, die gar keine Heiztechnik benötigen. Eben so ein Gebäude ist im Jahr 2021, medial viel beachtet, im Münchener Stadtteil Gräfelfing entstanden. Der fünfgeschossige Büroneubau des Reifenhändlers Heinrich Nabholz KG kommt komplett ohne Heizung und Klimaanlage aus – und garantiert trotzdem ganzjährig Raumtemperaturen von 22 bis 26 Grad. Rund ein Jahr nach Bezug resümiert der Nürnberger Architekt Bernd-Simon Schwarz M.A. (30) die besondere Bedeutung des von ihm geplanten Bauvorhabens und dessen Zukunftsfähigkeit.
Redaktion: Sie haben ein Bürogebäude entworfen, das vollständig auf Heiztechnik verzichten kann. Wie kamen Sie auf die Idee, ein solches Gebäude zu konzipieren?
Schwarz: Der Bauherr, die Heinrich Nabholz KG, wünschte sich den Neubau einer effizienten Hauptzentrale für seine Münchener Filiale in einem bestehenden Industriegebiet. Als Inspiration diente ein Bürogebäude in Lustenau – geplant von Baumschlager Eberle Architekten. Das Konzept basiert auf einer Bauweise ohne die Verwendung einer Heizung und Lüftung. Nach einer Besichtigung des Gebäudes in Österreich und neuen Erkenntnissen der Funktionsweise war sich der Bauherr sicher, bei dem Bau seiner Hauptfiliale dem gleichen Grundkonzept zu folgen. Aufgabe war es dann, das Konzept zu transferieren und an die klimatischen Bedingungen der Breitengrade von Gräfelfing anzupassen. Zur Seite stand uns dabei der Bauphysiker Dr. Peter Widerin, der bereits bei der Planung in Lustenau beteiligt war. Entwickelt wurde ein Konzept, dessen Bauweise auf dicken Ziegelwänden basiert. Berücksichtigt wurden zudem bestimmte Anforderungen, da das Bürogebäude zu 70 Prozent extern vermietet werden soll – ein wesentlicher Unterschied zum Bau in Lustenau, der vom Bauherren selbst genutzt werden sollte und somit mehr Gestaltungsmöglichkeiten bot. Unsere Grundrissstruktur benötigte hingegen Flexibilität, um Nutzerwünschen entgegenzukommen. Grundsätzlich ist bei der Konzeption unseres Vorhabens ein zusammenhängender Raum essenziell, damit die Luft leicht zirkulieren kann. Die Umsetzung von Einzelbüros gestaltet sich daher etwas schwierig. Um dem entgegenzuwirken, haben wir das Konzept angepasst, sodass eine räumliche Trennung mit intakter Luftzirkulation gewährleistet ist.
Redaktion: Wie ist das Gebäude rein architektonisch auf das Auskommen ohne Heizung und Klimaanlage optimiert?
Schwarz: Ein wichtiger Punkt ist die Speicherfähigkeit der trägen Masse. Wir haben eine sehr dicke Geschossdecke und Wände, bestehend aus Ziegelmauerwerk, konzipiert. Energie, die in Sommernächten durch die Nachtauskühlung strömt, wird träge von der Speichermasse geschluckt, gespeichert und zeitversetzt in den Innenraum abgegeben. Bei der Konzeption des Mauerwerks hat uns die Firmengruppe Leipfinger-Bader beratend zur Seite gestanden, so dass wir hier auf die Erfahrungswerte eines für seine nachhaltigen Bauprodukte bekannten Herstellers zurückgreifen konnten. Am Ende haben wir uns für 65 Zentimeter dicke Außenwände aus zweischaligem, dämmstoffgefüllten Coriso-Mauerwerk entschieden. Die Zusammenarbeit mit Leipfinger-Bader lief dabei reibungslos.
Ein wesentliches Kennzeichen der Architektur sind die stets sichtbaren Grundmaterialien. Wände durften nur ohne vorherige Vorwandinstallation und einer somit geschaffenen Pufferzone verputzt werden. Ein aufkommender Konflikt zwischen Nutzerzufriedenheit, der technischen Notwendigkeit sowie dem Wohlbefinden. Auch Geschossdecken müssen sichtbar sein und dürfen nicht vom Innenraum versperrt sein. Eine harte Decke ohne Schallschutzabsorbationsflächen ist für die Akustik wenig förderlich. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, kamen im Luftstrom positionierte, waagerecht stehende Baffeln zum Einsatz. So konnte die nötige Querlüftung sichergestellt werden und die Akustik profitierte darüber hinaus auch.
Redaktion: Musste die Inneneinrichtung dementsprechend angepasst werden? Konnte man beispielsweise Regale vor den Wänden platzieren oder wirkt sich das nachteilig aus?
Schwarz: Regale sind grundsätzlich möglich, Einbauschränke hingegen nicht. Beachtet werden muss, dass innerhalb der Luftzone vor dem Bauteil eine freie Luftzirkulation gewährleistet ist. Sofern 30 Prozent der Wandflächen mit Möbeln versehen werden, steht dem Gebäudekonzept nichts im Wege. Auch an den Trockenbauwänden, die der Raumtrennung dienen, können Möbelstücke positioniert werden. Lediglich die Außenwände sowie die tragenden inneren Wandscheiben, die ebenfalls gemauert sind, sollten frei bleiben. Zusammen mit Inneneinrichtern konnten die Mieter tolle Gesamtkonzepte entwickeln.
Redaktion: Wie wirtschaftlich ist das Ganze? Man konnte auf die Heiz- und Klimatechnik verzichten. Musste man stattdessen auf andere Lösungen setzen, die möglicherweise kostenintensiv hätten sein können oder vielleicht auch waren?
Schwarz: Aufgrund doppelt so dicker Wände kam auch die doppelte Menge an Material zum Einsatz. Daher sind die Baukosten in diesem Bereich leicht teurer. Große Kostenträger, wie der Einbau der Heizungsinstallationsleitungen, blieben hingegen erspart. Brandschutzklappen oder Ähnliches waren bedingt durch die Grundrissanordnung ebenfalls nicht notwendig. Letztlich gelang es uns, die gewöhnlichen Baukosten nach BKI sogar zu unterschreiten. Dies ist aber auch auf eine durchdachte, wirtschaftliche Planung zurückzuführen. In allen Geschossdecken wurde beispielsweise auf Estrich verzichtet. Vliesauflagen und Teppiche wurden also direkt aufgetragen. Auf diesem Prinzip basiert im Grunde das gesamte Konzept – je pragmatischer und einfacher, desto wirtschaftlicher das Ergebnis.
Redaktion: Konnten sie Ihre eigenen Ziele in Hinblick auf die Energieeffizienz erreichen? Angesetzt war damals ja der KfW55-Standard?
Schwarz: Genau, das haben wir voll erreicht. Diesen KfW55-Standard überhaupt nachzuweisen, war aber auch ein langer Weg, da frühere Berechnungen ein Fehlen des Heizsystems nicht vorsahen. In Absprache mit der KfW entwickelten wir einen Weg, Nachweise darüber zu erbringen. Unsere Nebenkosten bewegen sich auf einem minimalen Niveau – die Heizkosten fallen somit nahezu weg. Was wir natürlich haben, sind Wartungskosten für die Fenster, eines unserer Herzstücke. Zum Einsatz kamen für die natürliche Luftströmung motorisch öffnende Fensterklappen, die stets funktionieren müssen. Alle zwei Jahre müssen die Motoren geölt und neu eingestellt werden. Grundgedanke der Architektur war es, die Begebenheiten auch für die nachfolgende Nutzung möglichst praktisch zu gestalten. Offene Kabeltrassen unterhalb der Decke können später beispielsweise problemlos erweitert oder ergänzt werden – ohne die Decke vorher öffnen zu müssen. Zwar stechen nicht verkleidete Decken sofort ins Auge, für uns stehen jedoch die Möblierung sowie die Menschen, die ja quasi als Heizkörper fungieren, im Vordergrund. Die Bauphysik und die praktische Nutzung müssen architektonisch daher überhaupt nicht aufgewertet werden.
Redaktion: Das sind dann aber auch Dinge, die während des Umsetzungsprozesses entwickelt wurden? Das sind ja schon kleine Fallstricke, an die man dann gerät.
Schwarz: Aus dem Wunsch, sehr kostengünstig zu bauen, haben wir diese Zielsetzung schon entwickelt. Es hat Durchhaltevermögen gekostet, weil man im Planungsprozess durchaus denkt, etwas vielleicht doch anders zu machen. Wenn es dann auf der Baustelle umgesetzt wurde, dachte man sich, vielleicht wäre eine Verblendung doch ganz schön, um die Kabel zu verstecken. Dennoch war es wichtig, das Gesamtkonzept durchzuziehen. Ich denke, das haben wir am Ende dann auch ganz gut hinbekommen.
Redaktion: Das ist dann natürlich auch wieder ein Kostenfaktor, der in der Zusatzplanung aufgewandt werden musste. Vom zeitlichen Aufwand her war auch alles im Rahmen?
Schwarz: Für alle Planungsbeteiligten war es ein absolutes Herzensprojekt. Uns war es total wichtig, das Projekt erfolgreich abzuschließen. Der Aufwand, den wir reingesteckt haben, war natürlich hoch, aber das hat man gerne in Kauf genommen. Es war eine große Leidenschaft, dieses Projekt so zum Abschluss zu bringen und am Ende zu sehen, dass so ein Konzept dann auch noch funktioniert.
Redaktion: Müsste es hinsichtlich der Tatsache, dass es sich um einen Präzedenzfall und ein Pilotprojekt handelte, ein Umdenken in der Politik in Bezug auf die Bewertung der Energieeffizienz geben?
Schwarz: Ja, es ist schwierig, diese Berechnungen so hinzubekommen, dass sie wirklich dem jeweiligen Konzept standhalten. Ich bin der Meinung, man müsse das Gebäude in seiner Gesamtheit bewerten – vielleicht sogar im Nachhinein. Der Anreiz, sollte darin liegen, ein funktionierendes Gebäude zu schaffen. Und weniger darin, ob es nachhaltig ist. Kriterien aufzustellen, für die man dann nach der Erfüllung Punkte bekommt – beispielsweise für den Einbau eines bestimmten Heizsystems – halte ich für nicht sinnvoll. Viele Kriterien kann man in vorhergehenden Berechnungen überhaupt nicht erkennen …
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Über die Firmengruppe Leipfinger-Bader
Die Firmengruppe Leipfinger-Bader sind das führende Familienunternehmen unter den Mauerziegel-Herstellern in Süddeutschland mit Sitz in Vatersdorf bei Landshut. Geführt wird es in fünfter Generation von Thomas Bader. In der Region steht das Unternehmen für sichere Arbeitsplätze, technische Kompetenz und hohe Qualität. Leipfinger-Bader baut auf diese Tradition – gleichermaßen aber auch auf die konsequente Weiterentwicklung seiner hochwärme- und schalldämmenden Wandbaustoffe.
Neben dem Stammwerk in Vatersdorf unterhält das Unternehmen weitere Werke in Puttenhausen bei Mainburg und in Schönlind bei Amberg. Mit rund 200 Mitarbeitern zählt Leipfinger-Bader zu den leistungsstärksten Ziegelproduzenten bundesweit und fertigt jährlich Mauerziegel für etwa 6.000 Wohneinheiten. Die Mauerziegel werden aus natürlichen Rohstoffen – Ton, Lehm, Naturgestein und Wasser – hergestellt und sind daher ökologisch unbedenklich. Auch bei der Produktion legen die Ziegelwerke großen Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit. Stillgelegte Lehmgruben werden renaturiert und bieten so vielen Tierarten neuen Lebensraum.
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