Bankangestellte übersieht bei Prüfung einer Überweisung 222.222.222,22 EUR statt 62,40 EUR – Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsleistung und schwerwiegenden Fehlers nicht automatisch wirksam, Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Februar 2013, Az. 9 Sa 1315/12. Von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin
Ausgangslage:
Die Arbeitnehmerin war seit 26 Jahren bei der Bank beschäftigt und sollte Belege prüfen, die zuvor ihre Kollegen ausgefüllt hatten. Dies hat sie offensichtlich nur ganz flüchtig oder gar nicht getan, wie sich aus einer Analyse der entsprechenden Prüfgeschwindigkeit (603 Belege in 1,4 Sekunden) ergab. Aufgefallen ist die Minderleistung dadurch, dass sie übersehen hatte, dass auf einem Beleg statt 62,40 Euro 222.222.222,22 EUR vermerkt waren.
Die Bank kündigte daraufhin ohne vorherige Abmahnung.
Die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Februar 2013, Az. 9 Sa 1315/12:
Die Kündigung ist unwirksam. Es hätte zuvor abgemahnt werden müssen. Das Landesarbeitsgericht: Eine vorsätzliche Schädigung des Arbeitgebers oder eine vorsätzliche Manipulation des Arbeitsablaufs lägen nicht vor. Nach der Vorbearbeitung durch den Arbeitskollegen könne der Klägerin nur noch eine unterlassene Kontrolle des Überweisungsträgers vorgeworfen werden. Dies sei zwar ein schwerer Fehler gewesen, die für eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen notwendige negative Prognose sei nach Abwägung aller Umstände aber nicht erkennbar.
Bewertung:
Es liegt bislang nur eine Pressemitteilung vor. Vermutlich hat die Bank zur Begründung der Kündigung nicht nur auf den schweren Fehler abgestellt (dieser war meiner späteren Kontrolle noch bemerkt worden, ein Schaden war nicht entstanden), sondern vielmehr auf die vorgetäuschte Arbeitsleistung. Die Mitarbeiterin konnte unmöglich 603 Belege in 1,4 Sekunden kontrolliert haben. Sie hat also mutmaßlich überhaupt nicht kontrolliert und damit die von ihr geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht.
Die Entscheidung liegt auf der Linie der Emily-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts: Wenn das Arbeitsverhältnis bereits sehr lange bestand, genügen unter Umständen einzelne Verfehlungen, die im kurzen Arbeitsverhältnis grundsätzlich für eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung ausreichen würden, nicht um das Vertrauensverhältnis so nachhaltig zu beschädigen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar wäre. Fazit: Der Arbeitgeber muss zunächst eine Abmahnung aussprechen.
Fachanwaltstipp Arbeitgeber:
Vorliegend wären grundsätzlich mehrere kündigungsrelevante Punkte denkbar gewesen. In Betracht käme einer Kündigung wegen des einen schweren Fehlers. Daneben könnte die Kündigung aber auch auf den Arbeitszeitbetrug gestützt werden, da die Arbeitnehmerin eine Arbeitsleistung vortäuschte, die sie tatsächlich nicht erbracht hat. Schließlich wäre auch eine Kündigung wegen Schlechtleistung denkbar. Ungeachtet dessen muss allerdings gerade bei lang andauernden Arbeitsverhältnissen berücksichtigt werden, dass die von den Arbeitsgerichten aufgestellten Hürden für die Kündigung sehr hoch sind. Kommen verschiedene Kündigungsgründe in Betracht, muss der Betriebsrat zu sämtlichen Gründen angehört werden, auf die die Kündigung gestützt werden soll.
Fachanwaltstipp Arbeitnehmer:
Vorsicht bei allen Verfehlungen im Vertrauensbereich. Wer z.B. eine Arbeitsleistung vortäuschte, die er tatsächlich nicht erbringt, riskiert die Kündigung. Allenfalls bei lang andauernden Arbeitsverhältnissen und bisherigem tadellosen Verhalten des Arbeitnehmers, kann eine vorherige Abmahnung entbehrlich sein. Wer eine Kündigung erhält, sollte unbedingt die Erhebung einer Kündigungsschutzklage prüfen. Die Frist beträgt drei Wochen ab Zugang der Kündigung. Auch wenn eine Kündigung grundsätzlich in Betracht kommt – eine Abfindung ist regelmäßig drin.
Hess. LAG vom 7. Februar 2013, Az. 9 Sa 1315/12
Vorinstanz: Arbeitsgericht Frankfurt am Main vom 7. August 2012, Az. 4 Ca 2899/12
13.6.2013
Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck, Berlin
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