(Mynewsdesk) Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ging der Beschäftigungsaufbau seit der Wiedervereinigung mit einem erheblichen strukturellen Wandel der Arbeitswelt einher: So ist die Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse gestiegen – also Teilzeitbeschäftigungen mit bis zu 20 Wochenarbeitsstunden, befristete Beschäftigungen, Zeitarbeit und geringfügige Beschäftigungen (Mini-/Midi-Jobs). Aktuell befindet sich etwa jeder vierte in Deutschland Beschäftigte in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis (s. Abbildung). Und eine aktuelle Studie des Tübinger Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) besagt, dass der Anteil der so genannten atypischen Beschäftigungsformen im Südwesten Deutschlands zwischen 2000 und 2012 sogar deutlich zugenommen habe (http://www.iaw.edu/index.php/presse-detail/431).
Soziale Nachhaltigkeit und atypische Beschäftigung – ein Widerspruch?
Greift man die Argumentation der Arbeitgeber auf, könnte man, positiv betrachtet, sagen: Die Schaffung atypischer Beschäftigungsverhältnisse geht nicht auf Kosten der regulären, unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse, deren Anzahl ebenfalls gestiegen ist. Sprich: Weniger Arbeitslose sind erst einmal weniger Arbeitslose – egal in welchem Arbeitsverhältnis sie sich befinden.
Kritisch wird es jedoch, wirft man einen Blick hinter die Kulissen. Stefan Weyand, Absolvent der AKAD University, hat genau das getan: In seiner Abschlussarbeit beschäftigte er sich mit dem Thema Soziale Nachhaltigkeit und atypische Beschäftigung – ein Widerspruch?. Sein Fazit: Unter dem Druck des Flexibilisierungsbedarfs und vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosenzahlen wurden atypische Beschäftigungsverhältnisse durch staatliche Reformen institutionalisiert und sind heute für viele Erwerbstätige Alltagsrealität. Leiharbeit, Mini- und Midijobs, Teilzeitarbeit und zeitbefristete Verträge ermöglichen den Unternehmen zwar die nötige Flexibilität, bieten jedoch im Vergleich zur klassischen Daueranstellung wenig Spielraum für soziale Nachhaltigkeit.
Ein von existentieller Not freies Leben für atypisch Beschäftigte liegt in weiter Ferne.
Weyand hat sich in seiner Arbeit insbesondere mit den Aspekten Chancengleichheit, Soziale Sicherheit, Partizipation und Arbeitskontext (u.a. Entlohnung, Beschäftigungsstabilität, berufliche Qualifizierung) beschäftigt. Dabei stellte er fest, dass ein atypisches Beschäftigungsverhältnis unter anderem wenig Spielraum für Chancengleichheit und die so genannte Verteilungsgerechtigkeit, insbesondere im Vergleich zu den Festangestellten bietet.
Verteilungsgerechtigkeit bedeutet, dass alle Menschen die gleiche Chance erhalten sollen, ihre existentiellen Bedürfnisse zu stillen. Fakt ist jedoch, dass ein von existentieller Not freies Leben für atypisch Beschäftigte in weiter Ferne liegt, bringt der Studienautor seine Recherchen auf den Punkt. So hätten die Festangestellten sowohl bei der Verteilung als auch bei der Bezahlung von Arbeit und Leistung deutlich bessere Chancen. Auch finden Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die soziale Anerkennung kaum Berücksichtigung.
Mangelhaft: Partizipation an Gesundheitsmaßnahmen, der betrieblichen Mitbestimmung und Weiterbildungsmöglichkeiten
Hinsichtlich der Gesundheit gilt: Atypisch Beschäftigte haben es eindeutig schwerer als ihre festangestellten Vollzeitkollegen, an Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements zu partizipieren. Ähnlich verhält es sich bei der Förderung beruflicher Qualifikationen und Kompetenzen: Zwar wird dieser Nachhaltigkeitsaspekt durch die sich anbahnende demografische Krise zunehmend immer relevanter – aktuell findet er jedoch noch kaum Berücksichtigung. Denn die zeitliche, oftmals auch räumliche Einschränkung, die mit einer atypischen Beschäftigung einhergeht, verhindert die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen. Und Alternativen werden vom Arbeitgeber eher selten angeboten.
Des Weiteren mangelt es atypisch Beschäftigten an einer generellen Partizipation in ihren Unternehmen: Betrachtet man alle Formen der atypischen Beschäftigung, haftet insbesondere der Leiharbeit ein Partizipationsdefizit an. Das heißt: Die Teilhabe an betrieblichen Mitbestimmungen ist ebenso mangelhaft wie in die Unterstützung durch die Betriebsräte. Nicht zu vergessen, dass Betriebsvereinbarungen der entleihenden Betriebe grundsätzlich nicht für Leiharbeiter gelten, erklärt Stefan Weyand.
Stefan Weyand steht für Nachfragen und Interviews zur Verfügung.
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