Ueber die Notwendigkeit von Veraenderungen und die Entwicklung von zukunftstraechtigen profitablen aber nachhaltigen Tourismuskonzepten am Beispiel von Reschen am See in der Ferienregion Reschenpass.
Unberuehrte Hochtaeler, saftige Almwiesen und klare Bergseen, alles fernab vom Massentourismus, so praesentiert sich die Ferienregion Reschenpass. Die Zeit scheint hier fast stillzustehen hier in Reschen. Man atmet frische Bergluft, es riecht ueberall nach Natur und der Blick streift hoch hinauf in die Berggipfel am Dreilaendereck. Hier, idyllisch am Reschensee gelegen, befindet sich Reschen am See, ein kleines Alpendorf auf 1.500 m Hoehe. Direkt nach dem Reschenpass auf italienischer Seite am Beginn vom Vinschgau, schmiegt sich Reschen am See behutsam an die Suedseite des Alpenhauptkammes. Nur wenige Hotels, viel Berglandwirtschaft mit Nebenerwerbsbauern, kaum Handwerksbetriebe, aber dafuer viel Natur. Das Gebiet um Reschen sei abwanderungsgefaehrdet, ermittelt die Statistik. Nur wenige kennen den westlichsten Punkt von Suedtirol. Also ist da etwa zu viel Natur in Reschen?
Klar, viele Tourismusregionen werben mit den Begriffen “Urspruenglichkeit” und “Authenzitaet”. Vielleicht als Ausweg, weil sie sonst nichts zu bieten haben? Manchmal wirkt Reschen wirklich rueckstaendig oder gar “uncool”. Kein Alpentheater mit Tuermchenarchitektur im Disneystil. Noch hat sich Reschen am See seine touristische Unschuld bewahrt. Reschen bietet keine schmucken Einkaufsstraßen zum Shoppen (diese haben Sie wahrscheinlich schon zu Hause) oder Wellnesstempel im XXL-Format. Erlebnis und Erholung bietet einzig und alleine die unverbrauchte Natur. Die Sehenswuerdigkeiten und Kuriositaeten sind geschichtlich gewachsen. Manchmal auch einfach nur da; schon seit immer. Kein Marketingexperte musste bemüht werden, um eine weitere Kitch-Attraktion (kuenstlich) zu inszenieren. Alles hat hier eine Geschichte mit Tiefsinn. Wer kann schon behaupten, dass er Drachenzaehne gesehen hat oder sich in drei Nationen gleichzeitig aufgehalten hat? Alte Schmugglerpfade ermoeglichen selbst heute noch einen unbemerkten Grenzuebertritt und die mittelalterlichen Zollstationen zeugen von der Bedeutung dieser Gegend in ferner Vergangenheit. Die Grenzsteine sind Denkmaeler der Vergangenheit und erzaehlen vom Leid der Bevoelkerung: verwittert, gerissen und geschunden, so wie wohl auch die Seelen ihrer Vorfahren. Selbst der tiefblaue Reschensee hat vieles verborgen und ist keineswegs so unschuldig wie er zu sein scheint: er berichtet von den vertriebenen Bauern in Reschen, versunkenen Doerfern und von der Sehnsucht des Menschen nach immer mehr.
So wie die Landschaft wurden auch die Menschen in Reschen vom rauen Bergklima geformt. Ihre Gesichter zeugen vom rauen Alltag. Mit viel Muehe und Einsatz muss dem Boden alles abgerungen werden, was er herzugeben vermag. So wurden auch ihre Charakter geformt: hart in der Ausdrucksweise, aber doch feinfühlig im Umgang vor allem mit der Natur. Und der Blick ist stets ernst, tief versunken im Geschehen des Alltags und respektvoll. Die Leute sind genuegsam und ihre Gespraechigkeit haelt sich in Grenzen. Ihr Handels ist bedachtsam, routiniert in alt hergebrachten Ablaeufen und vielleicht ein wenig traege und verschlossen gegenueber Veraenderungen. Aber das Wort hat hier noch Handschlagcharakter und ist aufrichtig. Trotzdem, wer wuenscht sich nicht ein schoeneres Leben oder einfach auch nur ueberhaupt eine Zukunft, weniger muehselig und ertragreicher, zumindest für seine Kinder?
Jeder spricht von Entwicklung und Fortschritt als Ausweg. Auch die Ferienregion Reschenpass fuehlt sich unter Druck und moechte schritthalten mit den Anforderungen der Zeit. In Reschen wird viel diskutiert, gestritten und polemisiert. Im konkreten geht es derzeit um den Ausbau des Skigebietes, um den gestiegenen Anforderungen des Marktes gerecht zu werden. Umwelt contra Kommerz: “Die Alpen als Sportgeraet oder als Kapital”, war kürzlich zu lesen. Was ist wichtiger? Die Positionen verhärten sich und scheinen unvereinbar. Moderner Stellungskrieg am Hochplateau Reschenpass. Dabei sprechen vor allem Gruende in wirtschaftlichen Krisenzeiten für den Ausbau von Skigebieten: Denn an den Seilen der Bahnen haengen nicht nur die vielen Touristen, sondern auch viele Arbeitsplaetze (Existenzen) und Zuliefererbetriebe. Aber was ist mit Nachhaltigkeit und dem sensiblen Gleichgewicht in der Natur? “Nur wer Superlative bietet, sticht die Konkurrenz aus”, heißt es wiederum. Aehnliche Ausbauplaene gibt es nicht nur in Reschen am See, sondern in vielen anderen Wintersportdestinationen der Alpen. Es zaehlt nur das “entweder oder”. Man verzettelt sich in nicht endend wollenden sinnlosen Diskussionen und Schuldzuweisungen. Alles ohne Konzept mit viel Gemunkel im stillen Kaemmerlein, so wie eben frueher auch, vor den Zeiten von Internet und der Moeglichkeit von Flugreisen etwa.
Die Zeit wird Reschen wohl noch zeigen, was wichtig und richtig ist, auch wenn man nur redet und nichts unternimmt (Nichts tun ist auch eine Entscheidung). Oder will man die Zukunft doch lieber selbst in die Hand nehmen und gestalten. Gibt es vielleicht doch komplementaere Loesungsansaetze fernab von vorgefertigten fixen Erfolgsrezepten? Aber vorab: Was ist wirklich wichtig im Urlaub, welche grundlegenden Beduerfnisse stecken hinter der Lust am Reisen? Für was steht ueberhaupt Reschen und welche Zukunft strebt es an? Was und wie denken die einzelnen Bevoelkerungskreise darueber? Was sind die Erwartungen und Versprechungen an die Akteure (Gaeste, Bevoelkerung, Institutionen, Finanzgeber usw.)? Welche Konzepte (und Szenarien) stehen ueberhaupt zur Auswahl? Was macht die Konkurrenz (wer ist ueberhaupt diese)?
Freilich, ein bisschen mehr an Kreativitaet, Aufgeschlossenheit und an Kompromissbereitschaft ist dann schon notwendig, in Reschen in der Ferienregion Reschenpass. Einfach im See zu treiben kann zwar genuesslich sein, ist letzten endes wohl aber auch sinnlos, vor allem fuer die Jugend.
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