In der Führungsrolle beim Arbeits- und Gesundheitsschutz

In der Führungsrolle beim Arbeits- und Gesundheitsschutz

In der Führungsrolle beim Arbeits- und Gesundheitsschutz

Martin Cottam – Group Technical Assurance & Quality Director
Lloyd’s Register

Nach Ihrer Ernennung durch das Sekretariat des ISO/TC 283 zum Vorsitzenden des technischen Komitees für den Zeitraum von 2018 bis 2023 möchten wir mit Ihnen über Ihre neue Rolle sowie Ihre Ansichten und Erwartungen für die kommenden fünf Jahre sprechen.

Frage: Was ist die Aufgabe des ISO/TC 283 und wofür ist das technische Komitee genau zuständig?

MC: Hierbei handelt es sich um das neu eingeführte technische Komitee der ISO für das Management von Arbeits- und Gesundheitsschutz (A&GS), das nach einer Abstimmung der nationalen Normungsorganisationen ins Leben gerufen wurde. Anlass dafür war die Veröffentlichung der Norm ISO 45001 zu Beginn dieses Jahres und die damit einhergehende Auflösung des ISO-Projektkomitees, das für die Erstellung dieser Norm verantwortlich zeichnet. Das neue Komitee ist für die Pflege und Überarbeitung der Norm ISO 45001 zuständig und stellt bei Nachfragen Interpretationen und Erläuterungen zur Norm bereit.

Zusätzlich beschäftigt sich das Komitee mit der Entwicklung neuer A&GS-Normen, die nationalen Normungsorganisationen zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt werden, sowie mit der Erstellung von weiteren Leitlinien im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Frage: Welche Erwartungen haben Sie für die kommenden fünf Jahre als Vorsitzender des Komitees?

MC: Ich freue mich auf eine aller Voraussicht nach arbeitsreiche Zeit für das Komitee. Höchste Priorität hat für uns momentan die Einigung über das Arbeitsprogramm für die nächsten Jahre. Darüber wird auf unserer ersten Sitzung entschieden, die im September an der Coventry University in Großbritannien stattfindet. Wir werden einen strategischen Geschäftsplan für die Prüfung und Genehmigung durch die ISO erstellen.

Momentan kann ich zwar noch nicht sagen, welche Punkte das Arbeitsprogramm genau umfassen wird, aber eine wichtige Aufgabe wird sein, die internationale Übernahme der Norm ISO 45001 zu überwachen und zu unterstützen und uns eine Vorstellung davon zu verschaffen, wie sie sich auf die Leistung im Arbeits- und Gesundheitsschutz auswirkt.

Wie Sie wissen, besteht weltweit noch ein großer Verbesserungsbedarf im Hinblick auf die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und es ist uns ein Anliegen sicherzustellen, dass die Norm ISO 45001 einen Beitrag dazu leistet. Wir möchten, dass diese Norm noch besser und umfassender angenommen wird als ihre Vorläufer, unter anderem die bekannte Norm OHSAS 18001.

Das bedeutet insbesondere, dass wir versuchen müssen, eine bessere Übernahme bei Kleinst-, kleinen und mittelständischen Unternehmen zu erreichen. Diese machen einen großen Anteil der Weltwirtschaft aus und verfügen intern meist nur in eingeschränktem Maß über A- und GS-Expertise. Außerdem gibt es für uns einige neue Agenda-Punkte. Wahrscheinlich werden wir uns als Erstes mit der Erarbeitung eines Handbuchs befassen, das Organisationen bei der Umsetzung der Norm ISO 45001 hilft. Außerdem steht eine Leitfaden-Norm zur psychischen Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit auf dem Plan.

Mit der Norm ISO 45001 soll verdeutlicht werden, dass es beim Arbeits- und; Gesundheitsschutz nicht nur darum geht, gesetzliche Auflagen zu erfüllen. Wenn das A- undGS-Management gut in die Organisation integriert ist, fördert es die Geschäftstätigkeit und stellt einen Aktivposten für Unternehmen dar, dessen Nutzen die Kosten mehr als aufwiegt.

Frage: Wie wird sich der Markt aufgrund der Einführung der Norm ISO 45001 Ihrer Ansicht nach verändern?

MC: Wir hoffen, dass die Veröffentlichung der Norm ISO 45001 mehr Organisationen dazu veranlassen wird, das A- und GS-Management als Schlüsselfaktor anzuerkennen, der ein ebenso hohes Maß an Führung und den gleichen strukturierten Ansatz erfordert wie andere Unternehmensaspekte. Wir hoffen auch, dass die Norm ISO 45001 dazu beiträgt zu verdeutlichen, dass es beim Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht nur darum geht, gesetzliche Auflagen zu erfüllen. Wenn das A- und GS-Management gut in das Management der Organisation integriert ist, fördert es die Geschäftstätigkeit und stellt einen Aktivposten für ein Unternehmen dar, dessen Nutzen die Kosten mehr als aufwiegt.

Frage: Welche Rolle spielt der Annex SL bei der Veröffentlichung der globalen A – und GS-Norm durch die ISO?

MC: Der Annex SL stellte einen wichtigen Schritt bei der Angleichung der ISO-Managementsystem-Normen dar. Er veranschaulicht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Anforderungen der verschiedenen Normen für die Anwender, zum Beispiel beim Qualitäts-, Umwelt- und A- und GS-Management. Das ist natürlich besonders hilfreich für diejenigen Unternehmen, die sich für die Umsetzung eines einzelnen integrierten Managementsystems entscheiden, um die Anforderungen mehrerer Normen zu erfüllen.

Außerdem ermöglicht er einen einheitlicheren Ansatz bei allen ISO-Managementsystem-Normen, was wiederum für die Anwender vorteilhaft ist. Meiner Ansicht nach profitiert die Norm ISO 45001 aus verschiedenen Gründen besonders stark von der Anwendung des Annex SL.

Erstens hoffe ich, dass Organisationen, die bereits mit diesen anderen ISO-Managementsystem-Normen vertraut sind, durch die angeglichene Struktur erkennen, wie einfach A- und GS in dasselbe Rahmenmanagementsystem integriert werden kann, und damit auch Organisationen an Bord geholt werden, für die es beim Arbeits- und Gesundheitsschutz bisher vorrangig um die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben ging. Meine zweite Hoffnung ist, dass dadurch der Dialog innerhalb der Organisationen zwischen den Verantwortlichen für das A- und GS-Management und den Verantwortlichen für das Qualitäts- und Umweltmanagement sowie für andere Managementsysteme angeregt wird. Denn es bietet sich an, die Anforderungen, die einheitlich für alle diese Normen gelten, gemeinschaftlich und mithilfe integrierter Ansätze anzugehen.

Frage: Die Norm ISO 45001 ist jetzt seit einigen Monaten in Kraft. Wie wurde sie anfangs von den Organisationen und den Verantwortlichen für das A- und GS-Management innerhalb der Unternehmen aufgenommen?

MC: In der Erarbeitungsphase der Norm gab es viele Diskussionen und ich denke, es war für viele über-raschend, wie stark einige Inhalte der ersten Entwürfe von der Norm OHSAS 18001 abwichen. Es wurden Bedenken geäußert, dass die neue Norm in bestimmten Bereichen zu starken Vorschriftcharakter hat.

Von besonderem Interesse war dabei, welche Anforderungen die neue Norm im Hinblick auf die Beteiligung von Beschäftigten an die Organisationen stellt. Dieser Bereich wurde in der Norm OHSAS 18001 nur ober-flächlich berührt. Aber die Dokumente werden im Rahmen des Konsensfindungsprozesses im Komitee ja auch weiterentwickelt und ich denke, die späteren Entwürfe und speziell die veröffentlichte Norm haben die anfänglichen Bedenken zum großen Teil ausgeräumt. Jetzt erhalten wir positive Rückmeldungen und viele Organisationen treiben bereits ihre Pläne für die Migration auf die neue Norm voran.

Die Ergänzung der ISO-Managementsystem-Normen um einen A- und GS-Standard bekräftigt auf jeden Fall, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsleistung hat.

Frage: Das freut uns zu hören. In der ISO-Strategie für den Zeitraum von 2016 bis 2020 wird als eines der Ziele der verstärkte Einsatz von Normen als Business-Performance-Tools zur Steigerung der Unternehmensleistung genannt. Wie steht die Veröffentlichung der Norm ISO 45001 für Organisationen damit genau in Verbindung?

MC: Die Ergänzung der ISO-Managementsystem-Normen um eine A- und GS-Norm bekräftigt auf jeden Fall, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsleistung hat. Außerdem ist klar: Es gibt zwar weltweit erhebliche Unterschiede sowohl geographisch als auch zwischen den einzelnen Branchen, aber es sind jährlich immer noch 2,78 Millionen Todesfälle am Arbeitsplatz sowie 374 Millionen Fälle von arbeitsbezogenen Verletzungen oder gesundheitlichen Schäden zu verzeichnen. Selbstgefälligkeit ist also fehl am Platz. Es besteht zweifellos großer Bedarf für zusätzliche Hilfsmittel, die Verbesserungen vorantreiben.

Dann sind globale Lieferketten ein großes Thema, d. h., Verbraucher und Käufer sind jetzt weltweit auftreten-den Schwankungen in der A- und GS-Leistung stärker ausgesetzt. Außerdem sind sie eventuell Teil einer Lieferkette, in der sie auf die Leistung im Arbeits- und Gesundheitsschutz Einfluss nehmen müssen, um den Erwartungen ihrer Aktionäre gerecht zu werden und ihre eigene Marke zu schützen.

Frage: In der ISO-Strategie wird im Hinblick auf die Kommunikation auch das Ziel genannt, die strategischen Themen für ISO einheitlich zu kommunizieren, einschließlich des Werts, der Vorteile und der Auswirkungen von internatio-nalen Normen. Das scheint darauf hinzuweisen, dass sich die ISO von der reinen Einhaltung von Vorgaben mehr in Richtung Business Improvement orientiert. Wie wird sich das Ihrer Meinung nach auf die Zertifizierungsbranche auswirken?

MC: Business Improvement gehörte immer schon zu den Zielen der ISO-Managementsystem-Normen, da alle diese Normen die Anforderung der fortlaufenden Verbesserung enthalten. Es gibt immer noch Organisationen, die bei der Umsetzung von Normen nur die Einhaltung der gesetzlichen Auflagen verfolgen und dies meiner Ansicht nach fälschlicherweise für die kostengünstige Option halten.

Ich denke, dieser Ansatz führt eher dazu, dass diese Organisation die Kosten für das Managementsystem tragen, ohne von seinen Vorteilen zu profitieren. Aber ich bin optimistisch, denn es gibt viele Organisationen, die erkannt haben, dass Normen ein Mittel sind, um Verbesserungen im Unternehmen zu erreichen.

Mit dem Annex SL wurde ein Abschnitt zum “Kontext der Organisation” eingeführt, der jetzt in allen ISO-Managementsystem-Normen enthalten ist. Er hebt hervor, dass die Vorkehrungen im Managementsystem tatsächlich das externe und interne Umfeld der jeweiligen Organisation widerspiegeln müssen.

Praktisch heißt das, das Managementsystem soll der Organisation dabei helfen, die spezifischen Ziele festzulegen und zu erreichen, die auf ihr eigenes spezielles und sich veränderndes Geschäftsumfeld abgestimmt sind. Das ist meiner Ansicht nach ein gutes Beispiel dafür, dass die aktuellen Managementsystem-Normen höhere Ansprüche an die Organisationen sowie an die Zertifizierungsunternehmen stellen, da sie Audits erfordern, bei denen weit mehr verlangt wird als das einfache Abhaken von Listenpunkten.

Frage: Wenn Sie einen Blick ins Jahr 2023 werfen: Was wären Ihre Wunschvorstellungen für A- und GS sowie die Weltwirtschaft?

MC: Als Vorsitzender des ISO-Komitees wünsche ich mir natürlich, stichhaltige Beweise dafür zu sehen, dass die Norm ISO 45001 zu einer Verbesserung der Leistung im Arbeits- und Gesundheitsschutz beiträgt.

Dabei hoffe ich im Speziellen, dass es Fortschritte gibt, kleine Unternehmen bei der Anwendung der Grundsätze des wirksamen A- und GS-Managements zu unterstützen, und dass wir neue Möglichkeiten entwickelt haben, Normen als Hilfsmittel zum Vorantreiben von Verbesserungen für diesen Anteil der Wirtschaft, also die kleinen Unternehmen, zu erschließen. Darüber hinaus stellt die Weiterentwicklung von Normen eine große Herausforderung dar, um mit der Entstehung neuer Wirtschaftsformen wie der Gig-Economy Schritt zu halten.

ÜBER DEN AUTOR

Martin Cottam ist Group Technical Zertifizierungs – und Quality Director bei Lloyd´s Register (LR) und trägt die Verantwortung für das Qualitätsmanagement und die technische Leitung im gesamten Unternehmen. Sein Werdegang begann in der Atomindustrie, wo er mit Risikobeurteilungen und der Erstellung von Sicherheitsnachweisen betraut war, bevor er 1990 bei LR eintrat.

Martin Cottam war an der Entwicklung und Überarbeitung verschiedener British Standards zum Thema A- und GS-Management sowie der Entwicklung der Norm OHSAS 18001 beteiligt. Er bringt sich seit den 1990ern aktiv in der Erarbeitung von Normen ein und war auch an der Entwicklung der ISO-Normenreihe 55000 zum Asset-Management beteiligt.

Er ist Mitglied der Expertengruppe für Managementsysteme der BSI und war Vorsitzender des BSI-Komitees HS/1 während der Entwicklung der Norm ISO 45001, wobei er die Führungsrolle in der britischen Delegation des Projektkomitees für die Norm ISO 45001 einnahm. Innerhalb des ISO 45001-Komitees leitete er die Aufgabengruppe, die für die Entwicklung der Normabschnitte zu den Themen Planung und Management von Risiken und Chancen verantwortlich war.

Martin Cottam
Group Technical Assurance & Quality Director
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