Datenjournalismus zählte in den letzten beiden Jahren zu den Top-Themen in der journalistischen Fachpresse und der Journalistenausbildung.
Die Wissenschaftler Ralf Spiller von der Hochschule Macromedia und Stefan Weinacht von der Westfälischen Hochschule haben nun diesen neuen Typ von Journalismus in einer deutschlandweiten Studie untersucht. Die Studie belegt, dass das Segment noch sehr klein ist, aber erhebliches Wachstumspotenzial hat. Unterschiede zum traditionellen Journalismus liegen in der Wichtigkeit von Visualisierung, der Offenlegung von Rechercheergebnissen und dem beruflichen Selbstverständnis als gesellschaftliche Kontrollinstanz.
Das Phänomen Datenjournalismus hat seit der Veröffentlichung der US-Botschaftsdepeschen durch WikiLeaks größere Aufmerksamkeit erlangt. Datenjournalistische Projekte wie “Investigate your Member of Parliament`s expenses” des Guardian oder “The hidden life of guns” der Washington Post gelten als Best-Practice-Cases im angelsächsischen Raum. Zu den bekanntesten datenjournalistischen Projekten aus Deutschland gehören die Website zur Vorratsspeicherung von ZEIT Online, “Parteispendenwatch” der taz, das “Parlameter” vom ZDF und der “Zug-Monitor” der Süddeutschen Zeitung. Eines der jüngsten Ereignisse in diesem Zusammenhang ist die Berichterstattung über Steueroasen, die weltweit von Finanzinstitutionen und Privatanlegern genutzt wurden.
Methodik der Untersuchung
Entsprechend der überwiegend qualitativen Forschungsfragen wurden Experten-Interviews mit professionellen Akteuren im Datenjournalismus angewandt. Die Expertenbefragung wurde mit 35 namentlich identifizierten “Datenjournalisten” – gemäß Selbsteinschätzung – durchgeführt. Dies waren zum Zeitpunkt der Erhebung (14.01.2013 bis 01.03.2013) nach der Definition der Wissenschaftler nahezu die Gesamtheit der in Deutschland arbeitenden Datenjournalisten. Mehrere Mitglieder der “Community der Datenjournalisten” bestätigten diese Zahl von aktiven Datenjournalisten in Deutschland. Aufgrund der Verteilung der befragten Experten über alle deutschen Medienstädte wurden (mit nur einer face-to-face-Ausnahme) telefonische Interviews von 30 bis 110 Minuten Dauer geführt.
Definition von Datenjournalismus
Der Begriff Datenjournalismus ist nicht genau definiert. Nach den Autoren der Studie liegt der Kern des Datenjournalismus in der Sammlung, Analyse und Aufbereitung von digitalisierten Informationen mit dem Ziel einer journalistischen Veröffentlichung. Daher handelt es sich 1) um eine spezielle Form der Recherche, die Geschichten aus Datensätzen lesen will; 2) eine spezielle Form der Interpretation von Rechercheergebnissen, die sich an statistischen Maßzahlen orientiert; und allzu häufig auch 3) um eine spezielle Darstellungsform, die Kernbotschaften grafisch und insbesondere als interaktive Webanwendung anschaulich machen will. Vereinzelt wird zusätzlich 4) die Veröffentlichung von Datenherkunft und Rohdatensatz im Sinne des Open Data Ansatzes zum elementaren Bestandteil des Datenjournalismus gezählt.
Die wichtigsten Ergebnisse:
Unterschiede zum traditionellen Journalismus
Wesentliche Unterschiede zum traditionellen Journalismus liegen beim Datenjournalismus in der Bedeutung der Visualisierung, dem geringeren Maß an journalistischer Selektion sowie der höheren Transparenz von Rechercheergebnissen. Im Falle interaktiv aufbereiteter Rechercheergebnisse wird häufig die Selektion sowie die Interpretation der Daten dem Rezipienten überlassen. Der Nutzer kann selbst die interaktiven Angebote anwenden bzw. selbst gestalten, z.B. indem er auf einer Landkarte auf seine nähere Umgebung klickt. Der Datenjournalist ist somit weniger Gatekeeper als der normale Journalist. Schließlich unterscheidet sich der Datenjournalismus vom normalen Journalismus in der Offenlegung der Rechercheergebnisse (häufig: Originaldatensätze). Datenjournalisten benötigen zudem ein ausgeprägtes Zahlenverständnis, besser noch Kenntnisse von sozialwissenschaftlichen Methoden sowie der Statistik.
Rollenselbstverständnis von Datenjournalisten
Den Datenjournalisten ist die Kontrolle von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein wesentlich zentraleres Anliegen als der Gesamtheit deutscher Journalisten. Zusammengefasst sehen sich Datenjournalisten überdurchschnittlich stark in der Rolle des Kritikers und Kontrolleurs. Am wenigsten sehen sie ihre Aufgabe darin, Unterhaltung und Entspannung zu bieten.
Arbeitsweise
Die im Sample befragten Datenjournalisten arbeiten nur in Ausnahmefällen einzeln. In der Regel wird Datenjournalismus im Team organisiert. Dieses umfasst meist zwei bis drei Personen. Es konnten drei klar voneinander zu trennende Tätigkeits- und damit verbundene Qualifikationsfelder identifiziert werden: die des Journalisten, des Programmierers und des Grafikers/Designers.
Auftraggeber im Datenjournalismus
Die befragten Experten beschreiben den Datenjournalismus in der Summe aller Interviews als eine Dienstleistung, die überwiegend von überregionalen Printmedien nachgefragt (v.a. Stern, Spiegel, SZ, taz) oder in den Blogs der Autoren veröffentlicht wird. Von Radio- und TV-Sendern wird Datenjournalismus nur in Ausnahmefällen nachgefragt.
Zukunftsprognose
Nahezu alle Befragten rechnen mit einer deutlichen Zunahme datenjournalistischer Projekte in den nächsten fünf Jahren. Dies liege zum einen daran, dass durch die Open Data Bewegung immer mehr Daten zur Verfügung stünden. Aus Sicht der Datenjournalisten würden zudem die Werkzeuge für das Datensammeln, -auswerten und -aufbereiten immer besser, der Umgang mit ihnen immer einfacher. Zum anderen wird die datenjournalistische Arbeit derzeit in zahlreichen Seminaren und Studiengängen gelehrt, so dass die Anwendung wahrscheinlicher wird. Schließlich bieten datenjournalistische Kompetenzen Berufsanfängern und freien Journalisten eine Nische, weshalb das Angebot datenjournalistischer Projekte zunehmen dürfte.
Zentren des Datenjournalismus in Deutschland
Ein größerer Teil der Datenjournalisten in Deutschland lebt und arbeitet in Berlin und Hamburg. Dort treffen sie sich für den Erfahrungsaustausch zu Stammtischen in bestimmten Kneipen. Wenn es um das gegenseitige Kennenlernen geht, scheint immer noch die analoge Variante bevorzugt zu werden.
Soziodemografische Merkmale des Samples
Die Befragten waren zum Erhebungszeitpunkt zwischen 25 und 49 Jahren alt. Das Durchschnittsalter lag bei 36 Jahren (SD 6,32), was rund fünf Jahre jünger ist als der Durchschnitt aller deutschen Journalisten (vgl. Weischenberg et al. 2006, S. 186). Alle Befragten haben ein Studium angefangen und zu 80 Prozent auch abgeschlossen. In der Tendenz haben sie entweder ein sozialwissenschaftliches Fach (Typus Journalist) oder ein Informatik-nahes Fach (Typus Programmierer und Designer) studiert. Rund ein Drittel hat Journalistik oder Kommunikationswissenschaft im Haupt- oder mindestens im Nebenfach studiert. Mehr als zwei Drittel haben eine journalistische Vorbildung (mindestens Hospitanz, Praktikum). Das ist etwas mehr als in der Vergleichsstudie (vgl. Weischenberg et al. 2006, S. 265). Zwölf von 35 Befragten, also rund ein Drittel ist fest angestellt. Die anderen arbeiten selbständig. Nur jeder siebte der Befragten verwendet zur Beschreibung seiner beruflichen Stellung die Bezeichnung “Datenjournalist”. Eine einzige Person trägt einen offiziellen Titel mit Bezug zum Datenjournalismus: “Head of Data Journalism” bei ZEIT Online.
Langversion der Studie
Die Studie erschien in Heft 4/2014 der kommunikationswissenschaftlichen Zeitschrift Publizistik (Vol. 59/4, S. 411-433). Sie kann HIER erworben werden.
Über:
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Die Hochschule Macromedia ist mit über 1.900 Studierenden und rund 70 Professoren an fünf Standorten in München, Stuttgart, Köln, Hamburg und Berlin die größte private Medienhochschule in Deutschland. Sie verfügt über ein weitgespanntes Netzwerk von Institutionen, Unternehmen der Medien- und Designbranche sowie über internationale Kontakte und Kooperationspartner. In den vier Bachelorstudiengängen Film und Fernsehen, Journalistik, Medien- und Kommunikationsdesign sowie Medienmanagement wählen die Studierenden aus einem breiten Spektrum von rund 20 Studienrichtungen, darunter auch die englischsprachigen Bachelorprogramme Media and Communication Management und Media and Communication Design. Die Journalisten, Medienmanager und Medien- und Kommunikationsdesigner absolvieren sechs Semester an einem Campus in Deutschland und ein integriertes Auslandssemester an einer der Partnerhochschulen der Fünf-Kontinente-Plattform 5CU. Die Master School der Hochschule Macromedia bietet mit den englischsprachigen Studiengängen Media and Design sowie Media and Communication Management die Grundlage für eine internationale Karriere. Der deutschsprachige Masterstudiengang Journalistik bringt journalistisches Handwerk und Managementkompetenz zusammen und bereitet Journalisten damit auf Führungsaufgaben vor. Im zweisprachigen modularen Masterstudiengang Open Media können Studierende ihr Studium individuell zusammenstellen und die für sie passenden Kurse aus den Bereichen Design, Journalistik und Management wählen. Im Masterprogramm ist das Studieren auch berufsbegleitend möglich. Alle Studiengänge sind durch die Agentur FIBAA akkreditiert, 2011 erhielt die MHMK zudem die institutionelle Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat der deutschen Bundesregierung. Die Absolventen der Hochschule Macromedia arbeiten als Nachwuchs- und Fachkräfte bei führenden Agenturen, Medienunternehmen und Firmen, u.a. bei ARD (WDR/SWR), Adidas, Axel Springer, Audi, Burda, BMW, Deutsche Telekom, Edelman, Gruner + Jahr, RTL, Siemens, SKY, Vok Dams und Warner Music.
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