Eine Ende der Corona-Krise ist derzeit nicht absehbar. Noch weniger sind es die mittel- und langfristigen gesellschaftlichen Folgen und die gravierenden Auswirkungen auf einzelne Schicksale.
Die Corona-Krise wirft Millionen von Menschen aus der Bahn. Selbst wenn irgendwann das Medizinische im Griff ist, die staatlichen Einschränkungen zurückgefahren sind, werden uns die wirtschaftlichen Folgen noch über eine sehr lange Zeit beschäftigen. Arbeitsplätze gehen verloren, Unternehmen müssen aufgeben. Existentielle Ängste entstehen, Stress kommt auf und die Nerven liegen blank. Damit steigt das Potenzial für Aggressivität, Gewalt und Kriminalität. Mitarbeitende im direkten Kundenkontakt spüren es teilweise schon und sollten sich auf das vorbereiten sein, was noch kommt.
Rangeleien um die letzte Packung Toilettenpapier, die man schon in einigen Supermärkten beobachten konnte, sind nur ein Vorgeschmack auf das, was uns an Aggression noch erwartet. Davon ist der Münchner Unternehmens- und Kulturberater Peter Höfl überzeugt. Die Rede ist dabei nicht von dem unzufriedenen Kunden, der vielleicht mal etwas lauter reklamiert. Die Rede ist von Menschen, deren Lebensplanung zerstört scheint und die unter Perspektivlosigkeit und purer Existenzangst leiden.
Wenn man an die Auswirkungen für ganze Branchen wie Gastronomie oder Tourismus denkt, sprechen wir hier nicht über Einzelfälle, so Höfl. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kundenkontakt tun also gut daran, sich darauf einzustellen. Da der Umgang mit diesen Situationen derzeit wegen der verordneten Einschränkungen nicht sinnvoll in Trainings geübt werden kann, sollen diese 10 Tipps zur Deeskalation eine kleine erste Handreichung für diese Fälle sein, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Treffen kann es alle mit Publikumsverkehr. Das kann der Stromanbieter sein, bei dem der Stromkunde auftaucht, der die Sperrandrohung bekommen hat. Der Leasinggeber will das Auto abholen, weil die Raten nicht mehr bezahlt werden. Es kann an jeder Kasse geschehen, wenn die Kreditkarte nicht mehr funktioniert. Oft sind es nur kleine Tropfen, die dann das Fass zum Überlaufen bringen. Was also tun?
Bevor es mit den konkreten Tipps losgeht, klären wir noch kurz, was mit Aggression in diesem Zusammenhang gemeint ist. Bei einer Aggression geht es um Handlungen, die auf Beschädigung, Zerstörung oder Verletzung ausgerichtet sind. Das Spektrum reicht von dem verbalen Angriff in Form wilder Beschimpfungen bis hin zu körperlichen Attacken wie Schubsen, Ohrfeigen oder Schlimmerem. Auch das Verwüsten einer Ladeneinrichtung stellt eine Aggression dar.
Die Fälle, dass einem Menschen die Aggressivität angeboren ist, gibt es. Sie sind aber nicht die Regel. Viel häufiger wurde aggressives Verhalten erlernt. Sei es im familialen oder gesellschaftlichen Umfeld in Form von Bestrafungen oder in Kriegssituationen. Der weitaus überwiegende Teil der Aggressivität dürfte in der jetzigen Situation allerdings aus Wut und Frustration resultieren, weil die persönlichen (Lebens-) Ziele nicht erreicht werden können.
Tipp 1 – Ruhe bewahren und nicht provozieren lassen!
Niemand rechnet von jetzt auf gleich damit, einer aggressiven Person gegenüber zu stehen und mit einem bedrohlichen Verhalten konfrontiert zu werden. Die Schrecksekunde ist da eine vollkommen natürliche Reaktion. Länger sollte sie dann aber nicht dauern.
Das erste, was Ihr Gegenüber wahrnimmt ist Ihre Körperhaltung. Achten Sie darauf, dass Sie mit Körperspannung und einer aufrechten, dem Gegenüber zugewandten Haltung, Selbstsicherheit signalisieren. Machen Sie keine hektischen und unruhigen Bewegungen. Nehmen Sie mit dem Aggressor Blickkontakt, aber vermeiden Sie es, ihn wie ein Ziel zu fixieren. Ihre Gestik sollte einladend sein, so wie bei einem normalen Kunden auch.
Versuchen Sie Normalität in den Kundenkontakt zu bekommen. Das heißt, begrüßen Sie den aggressiven Kunden so, wie jeden anderen auch und fragen nach dem Anliegen. Sprechen Sie ruhig und in einem Ton, der der Situation entspricht. Wählen Sie Ihre Formulierungen so, dass Sie sicher sein können, dass sie verstanden werden.
Lassen Sie sich nicht provozieren, was auch bedeutet, dass Sie nicht in die Sprachmuster Ihres Gegenübers verfallen. Bleiben Sie weiter höflich und sachbezogen, achten Sie aber auch darauf nicht gegenüber Ihrem Gesprächspartner provokant zu wirken.
Im besten Fall gelingt es Ihnen, nach dem ersten Sturm herauszubekommen, worum es eigentlich geht.
Tipp 2 – Denken Sie an Ihre eigene Sicherheit!
Optimal ist es, wenn Sie sich schon einmal im Vorfeld einer solchen Situation im Unternehmen Gedanken über mögliche Verfahren und Vorgehensweisen gemacht haben. Vielleicht üben Sie das sogar hin und wieder?
Es geht in erster Linie darum, welche Fluchtmöglichkeiten Sie im schlimmsten Fall haben und wie Sie schnell Hilfe bekommen können.
Hier pauschale Ratschläge zu geben, ist schwierig, da sehr viel von den örtlichen Gegebenheiten abhängt. Eher ungünstig ist jedenfalls der Schreibtisch im Eck eines Einzelbüros. Da sollte dann tatsächlich über Alternativen und Lösungen nachgedacht werden, wenn vermehrt mit aggressivem Publikum zu rechnen ist.
Wenn es um das Thema Eigensicherung geht, muss man auch solche Dinge wie Pfefferspray oder Gasrevolver in der Schreibtischschublade ansprechen. Mein Rat dazu: Vergessen Sie es! Mal unabhängig von der rechtlichen Problematik. Sie werden im Ernstfall höchstwahrscheinlich weder Zeit noch Gelegenheit haben, an Ihre Verteidigungswaffe zu kommen und eher die Situation weiter eskalieren.
Tipp 3 – Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Situation
Über das wichtigste, nämlich Ihre eigene persönliche Sicherheit haben Sie sich blitzschnell Gedanken gemacht. Jetzt ist es an der Zeit, die allgemeine Lage zu beurteilen und sich ein Bild über die Gefährlichkeit zu machen.
Mit was für einem Aggressor haben Sie es zu tun? Stehen Sie einer einzelnen Person oder einer Gruppe gegenüber? Einem Bodybuilder, der kaum durch die Tür passt oder jemandem der unter Drogen oder Alkohol steht? Männlich oder weiblich? Sind Sie mit älteren Mitbürgern oder solchen mit Handicap konfrontiert? Handelt es sich um junge Menschen oder Angehörige besonderer Gruppen und Milieus? Für Ihre Risikoeinschätzung und Ihre Strategie sind diese Informationen wichtig. Auch wenn dann vieles Ihrer Beurteilung auf dem sogenannten ersten Eindruck und Vorurteilen basiert, ist jetzt nicht die Zeit, um zu reflektieren, sondern die Zeit der Einschätzung.
Ihr nächster schneller Blick gilt der Umgebung. Wer befindet sich noch in der unmittelbaren Nähe und könnte möglicherweise unterstützen, wie Kollegen oder Kolleginnen. Ist schon jemand auf Ihre Situation aufmerksam geworden? Checken Sie auch, welche verletzlichen Personen sich noch in der Gefahrenzone befinden, wie beispielsweise Mütter mit Kindern.
Viel Zeit haben Sie für diese unauffällige Lagebeurteilung nicht, denn der Kontakt zum Gegenüber darf nicht abreißen.
Tipp 4 – Kann die Eskalation einfach beseitigt werden?
Wenn sich ein Konflikt anbahnt, ist es oberstes Ziel, Gewaltausbrüche zu vermeiden und den Konflikt möglichst zu entschärfen. In manchen Fällen mag das ganz einfach sein. Wenn der Kunde vor der Supermarktkasse tobt, lässt sich das vielleicht schon mit dem Öffnen einer zweiten oder dritten Kasse in den Griff bekommen.
Oft ist das aber nicht so offensichtlich und es gilt erst einmal herauszubekommen, was überhaupt der Auslöser für die Aggressivität ist. Es geht darum der Konflikt zu versachlichen und auf eine konstruktive Ebene zu verlagern. Um zu verstehen, was Ihren Gesprächspartner zu seinem Verhalten treibt, ist es hilfreich die Situation aus seiner Perspektive zu betrachten.
Erst wenn Sie wissen, worum es geht, können Sie anfangen, an Lösungen zu arbeiten.
Tipp 5 – Verlagern Sie die Auseinandersetzung räumlich
In Ihrer Lagebeurteilung haben Sie das Umfeld und die Publikumssituation miterfasst. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die Auseinandersetzung gegebenenfalls räumlich zu verlagern, um Unbeteiligte aus dem Konflikt herauszuhalten. Aber auch um sich voll auf Ihren Gesprächspartner konzentrieren zu können.
Selbst wenn es nur ein paar Schritte sind: Die Bewegung löst zunächst etwas die Spannung und gibt die Möglichkeit, um sich etwas zu beruhigen und verschafft Ihnen einen Zeitgewinn. Überlegen Sie aber gut, wo Sie das weitere Gespräch führen wollen und behalten Sie Ihre Eigensicherung im Auge. Nehmen Sie sich eine Begleitung mit, die Sie dann im weiteren Verlauf auch fachlich und bei anfallenden Entscheidungen unterstützen kann.
Tipp 6 – Bleiben Sie auf Distanz!
Während der Corona-Krise haben wir den Sicherheitsabstand von 1,5 bis 2 Metern bereits gelernt. In einer gefährlichen Situation mit unbekannten Personen darf der Abstand gerne noch größer sein. Allgemein können Sie von der Regel ausgehen “so nah wie nötig und so weit wie möglich”.
Wenn dieser Sicherheitsabstand nicht eingehalten wird, kann es dazu kommen, dass die Nähe als Bedrohung interpretiert wird. Schnell kommt es dann zu abwehrenden Aktionen. Das kann sich mit Beschimpfungen und Anschreien noch im verbalen Bereich abspielen, die Grenze zu körperlichen Aktionen wie Stoßen oder Schubsen kann da sehr schnell überschritten werden.
Berühren Sie aggressive Personen nicht und schon gar nicht, wenn sie anderen Geschlechts sind. Sofern Sie hinter einem Tresen oder einer Verkaufstheke arbeiten, nutzen Sie diese Barriere in aufgeladenen Situationen. Bleiben Sie Ihrem Gegenüber weiterhin zugewandt und offen.
Tipp 7 – Hören Sie zu!
Eine Grundidee dessen, worum es in dem Konflikt mit Ihrem Gegenüber geht, haben Sie vermutlich mittlerweile bekommen. Es geht nun darum mehr darüber zu erfahren, damit Sie dann die Möglichkeit haben, passende Lösungen zu entwickeln. Lassen Sie sich von Ihrem Gegenüber die Sachlage und Problem aus seiner Sicht schildern. Setzen Sie dazu nach Möglichkeit offene Fragetechniken ein, um sich ein umfassendes Bild über das zugrunde liegende Problem zu verschaffen.
Signalisieren Sie Verständnis, aber auch Souveränität. Lassen Sie keinen Zweifel daran, dass Sie Herr oder Frau der Lage sind. Verhalten Sie sich stets höflich und respektvoll gegenüber Ihrem Gesprächspartner. Freundlichkeit gehört dabei ebenso dazu, wie eine angemessene emotionale Distanz zu Ihrem Gesprächspartner.
Tipp 8 – Behalten Sie Ihre Selbstbeherrschung bei!
Egal, wie nahe Ihnen persönlich vielleicht eine Tätergeschichte geht oder wie komisch oder skurril sie in Ihren Augen erscheinen mag: Zeigen Sie es nicht. Ihr Gegenüber befindet sich in einem Konflikt, der Aggressionen ausgelöst hat. Behalten Sie daher unbedingt eine selbstsichere und entschlossene Haltung bei. Treten Sie so auf, dass für Ihr Gegenüber klar ist, dass Sie keine weitere Eskalation zulassen und erklären Sie Ihre Handlungsspielräume.
Reflektieren Sie Ihr eigenes Aggressionsverhalten in Körperhaltung und Sprache oder Stimme. Schneller als einem lieb ist, fällt man doch auf eine Provokation herein und reagiert mit drohenden Gesten oder angriffslustiger Haltung. Die eigene Stimme wird lauter und die Wortwahl passt sich dem Gesprächspartner an und der Eintritt in eine Eskalationsspirale ist nicht mehr weit.
Tipp 9 – Signalisieren Sie Lösungsbereitschaft!
Das ursprüngliche und gemeinsam Ziel, das Sie und Ihr aggressives Gegenüber haben, ist die Lösung eines Konflikts. Dabei ist es nun Ihre Aufgabe, Wege aufzuzeigen. Machen Sie deutlich, dass sich Lösungen leichter finden lassen, wenn der Konflikt auf eine sachliche Ebene verlagert wird. Suchen Sie ein gemeinsames Verständnis, auf dem sich Kompromisse oder Übergangslösungen finden lassen.
Wenn es um Geld geht, kann so ein Kompromiss im Einzelfall eine Stundung oder Ratenvereinbarung sein. Selbst wenn damit noch keine endgültige Lösung erreicht sein sollte, haben beide Seiten Zeit gewonnen und die Emotionen können abkühlen. Mit so einer Verschiebung kann der Druck vom Kessel genommen werden und spannungsfreier an Vereinbarungen gearbeitet werden, die dann Bestand haben.
Tipp 10 – Treffen und kontrollieren Sie Vereinbarungen!
In der aktuellen Konfliktsituation darf es nicht bei losen Absprachen bleiben. Stellen Sie sicher, dass die Vereinbarungen auch von Ihrem Gegenüber verstanden wurden. Treffen Sie die Vereinbarungen realistisch, klar, deutlich und vor allem verständlich. Setzen Sie konkrete Ziele und gegebenenfalls Termine. Zeigen Sie konkret die Konsequenzen auf, die der Bruch der Vereinbarungen zu Folge hätte.
Stellen Sie durch Rückfragen sicher, dass die Vereinbarung korrekt verstanden wurde, dokumentieren Sie das Besprochene schriftlich. Stellen Sie Verbindlichkeit her und lassen es von dem Gesprächspartner unmittelbar schriftlich bestätigen.
Im besten Fall ist es Ihnen mit den vorangegangenen Tipps gelungen, eine aggressive und bedrohliche Lage zu entschärfen und mit einem halbwegs konstruktiven Lösungsansatz aus der Situation zu gehen. Die Absicht dieses Artikels ist es, das Bewusstsein und die Sinne für Bedrohungen zu schärfen, von denen man hofft, dass sie nie eintreten. Es ist auch klar, dass keine Situation der anderen gleicht. Sie können den verschiedensten Tätern oder Tätergruppen gegenüberstehen, die Gewaltbereitschaft zeigen. Zum Teil ist eine Kommunikation unmöglich, weil diese stark alkoholisiert sind, unter Drogen stehen oder eben schon eine Gewaltkarriere hinter sich haben.
Es macht Sinn, solche Konfliktsituationen unter professioneller Anleitung am eigenen Arbeitsplatz zu üben und die Vorgehensweisen an die spezifischen betrieblichen Verhältnisse anzupassen.
Den wichtigsten Rat noch einmal zum Schluss: Achten Sie stets auf Ihre eigene Sicherheit. Sachschäden lassen sich ersetzen, bei Gesundheit und Leben ist das schwieriger. Wenn es richtig gefährlich wird, ist es besser die Situation schnell zu verlassen, als an der falschen Stelle Mut zu zeigen. Wenn es möglich ist, rufen Sie selbst professionelle Hilfe. Geht das nicht, machen Sie Kollegen, Kunden, Passanten auf die Situation aufmerksam machen, so dass diese Security und Polizei alarmieren.
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Peter Höfl ist Unternehmensberater in München und widmet sich seit mehr als 25 Jahren hauptsächlich der Qualitätsoptimierung von Dienstleistungen. Seine Schwerpunkte sind Unternehmenskultur, Servicekultur und betriebliche Trennungskultur. Der europäische Ethnologe war davor selbst viele Jahre in führenden Positionen in Dienstleistungsunternehmen tätig.
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