Das Leben und Wirken von Prof. Dr. Johann Heinrich Witte
Dieser Artikel ist als Ergänzung des bereits erschienen Aufsatzes von Dr. Ireneus Lakowski über Prof. Dr. Johann Heinrich Witte gedacht.
Unseres Erachtens handelte es sich bei Dr. Witte um einen der ersten Vorreiter der damaligen integrativen Pädagogik (heutigen Inklusion), hierzu siehe
Ireneus Lakowski. Witte – Gegner der Hilfsschulbewegung oder Verfechter einer integrativen Pädagogik? ) n: Zeitschrift für Heilpädagogik. Jg. 50. München 1999, ISSN 0513-9066, S. 332-338.
Die Recherche gestaltete sich mühselig, da die meisten Materialien hauptsächlich in den polnischen Archiven zugänglich waren, so möchten wir uns an diese Stelle für die Unterstützung der vielen polnischen Archivare sowie Bibliothekare bedanken.
Wittes Lebenslauf
Am 14.11.1846 erblickte Witte in Berlin als Sohn des Polizei Assessors
Ferdinand Heinrich Theodor Witte und dessen Ehefrau Henriette Magenhöfer das Licht der Welt. Aus den uns vorliegenden Unterlagen hatte Johann mindestens noch zwei Geschwister, eine ältere Schwester und einen Bruder, allesamt evangelischer Konfession.
In den Jahren 1859- 27.03.1866 besuchte Witte das “Königliches Gymnasium zum grauen Kloster zu Berlin”. Auf der Abschrift seines Abiturzeugnisses steht folgendes:
“Königliches Gymnasium zum grauen Kloster zu Berlin.
Z e u g n i s
Für Johannes Heinrich Witte, geboren zu Berlin am 14. November1846, evangelischen Glaubens, Sohn eines Polizeiassessors a.D.
Er hat das Gymnasium sieben Jahre besucht, war zwei Jahre Mitglied von PRIMA und beabsichtigt, sich dem Studium der Philosophie zu widmen.
I Leistungen und Fleiss
Seine Leistungen waren in jeder Beziehung lobenswert und sein Fleiss war stets regelmässig auf seine Ausbildung gerichtet. Die sittliche Reife für die Universität kann ihm mit viel Vertrauen zugeschrieben werden.
II Kenntnisse
Seine Kenntnisse in Religion waren in diesem Gegenstande befriedigend.
Deutsch. Seine Leistungen in den deutschen Aufsätzen zeugten von Fleiss und Nachdenken.
In der Bildungsgeschichte und philosophischen Pro(unleserlich)…. tilität hat er sich grundlegende Kenntnisse erworben. Seine Gesamtleistung verdient das Prädikat befriedigend.
Latein Seine Leistungen hierin waren gut.
Griechisch Seine Kenntnisse in der Grammatik und seine Übung im Versrhythmus und in der Übertragung der Schriftsteller sind befriedigend.
Französisch Seine Leistungen hierin waren befriedigend.
Mathematik Seine Leistungen in der Mathematik können befriedigend genannt werden obwohl er sich nie von einer gewissen Unsicherheit bei der Lösung von Aufgaben und bei der schriftlichen Lösung von Aufgaben freizumachen vermochte.
Physik Seine Kenntnisse in diesem Gegenstand sind befriedigend.
Geschichte und Geographie Hierin sind seine Kenntnisse als gut zu bezeichnen.
Hebräisch In dieser Sprache ist sein Wissen befriedigend.
Englisch – ohne Eintragung –
Italienisch – ohne Eintragung -”
Infolge dieser Ergebnisse hat ihm die unterzeichnete Prüfungskommission das Zeugnis der Reife erteilt. Seine Lehrer entließen ihn mit den herzlichsten Segenswünschen und mit der wohlbegründeten Erwartung, dass er durch fortgesetzten Eifer für seine Ausbildung sich zu einem nützlichen und ordentlichen Diener des Staates ausbilden werde.
Berlin, den 27. März 1866 Königliche Prüfungskommission des Berlinischen Gymnasiums zum grauen Kloster (es folgen ca. 20 Unterschriften der Professoren der Prüfungskommission).
Im Sommersemester, nämlich am 21.04.1866, immatrikulierte Witte an der Universität zu Heidelberg in Philologie. Im Zeitraum vom 6.10.1866 – 20.09.1869 folgte ein Studium in Berlin.
Am 24.07.1872 promovierte Witte in Halle mit der Dissertation “De indole atque origine Odysseae Homericae”. Am 20.07.1874 wurde Witte zur Habilitation an der Univ. Bonn zugelassen, wo er am 26.10.1874 mit dem Vortrag ” Über das Verständnis der Fichte´schen Ethik zur Kant´schen” habilitierte. Nach seiner Habilitation wurde Witte Angehöriger der Universität Bonn. Die Zeit bis zur seiner Nominierung als außerordentlicher Professor verbrachte Witte mit der Lehre sowie dem mehrjährigen Kampf mit der philosophischen Fakultät um die Nominierung zum außerordentlichen Professor.
Witte hat dort einen Freund in der Person von Prof. Dr. Justi gefunden. Der schrieb unter anderem in einem Brief vom Februar 1879, gerichtet an den Dekan der philosophischen Fakultät: “Danach glaube ich, dass Dr. Wittes Wunsch, eine Anerkennung für Leistungen durch Empfehlung seiner Beförderung zum Extraordinariat zu erhalten, wohl ein berechtigter ist. Dr. Witte ist ein philosophischer Kopf, ein redlicher Arbeiter und ein unabhängiger Charakter. Er gehört zu den heute nicht gerade häufigen jungen Gelehrten, denen es um die Sache und nicht um ihre (unleserlich)….. in erster Linie zu tun ist. Die Richtung seiner Philosophie ist freisinnig. Man darf wohl annehmen, dass er in Fleiß und Streben sich treu bleiben wird und das ihm dann auch Fortschritt und Erfolg nicht fehlen werden.” Darunter ein Vermerk des Dekans, Prof. Neuhäuser, dass er aufgrund des Votums von Prof. Justi – trotz der Majorität der vorangegangenen Beratung und Ablehnung – die Angelegenheit noch einmal der Fakultät zur Abstimmung vorlegen werde. Am 22.5. 1883 wurde Witte zum außerordentlichen Professor ernannt. Im Jahre 1888 gibt er einen Aufsatz “Die Einrichtung pädagogischer Professuren” heraus. Aufgrund der Anordnung des damaligen Kultus-ministeriums wurde Prof. Dr. Witte mit Wirkung vom 3.05.1889 der Kreisschul-inspektionsbezirk Ruhrort mit der Funktion des Kreisschulinspektors zugeteilt. In seiner Dozenten Tätigkeit hielt er insgesamt – soweit Einträge vorhanden waren – folgende Vorträge:
“Wintersemester 1874/75: 1) Über Kant und Fichte – publice – vor 6 Zuhörern
Sommersemester 1875: 2) Über den freien Willen- publice – vor 7 Zuhörern
3) Platons Leben und Schriften – publice- vor 7 Zuhörern
Wintersemester 1875/76 4) Über Kant`s Theologie -publice – vor 8 Zuhörern
Wintersemester 1876/77 5) Geschichte der neueren Philosophie, – privatim – vor 6 Zuhörern
6) Die Philosophie unserer Dichterheroen -publice- vor 20 Zuhörern
7) Philosophische Übungen – privatim et gratis – vor 3 Zuhörern
Sommersemester 1877 8) Theorien über Raum und Zeit – privatim – vor 10 Zuhörern
9) Einführung in die Philosophie – privatim – vor 6 Zuhörern
Wintersemester 1877/78 10) Die Philosophie des Platon und Aristoteles – privatim – vor 7 Zuh.
11) Die angeblichen philosophischen Konsequenzen des Darwinismus
vor 19 Zuhörern
Sommersemester 1878 12) Die wichtigsten Systeme der Ethik – privatim – vor 5 Zuhörern
13) Die Philosophie der Dichterheroen – publice – vor 34 Zuhörern
Wintersemester 1878/79 14) Die wichtigsten pessimistischen Theorien – publice – vor 9 Zuh.
Sommersemester 1879 15) Kant`s und Fichtes Religionsphilosophie – publice – vor 26 Zuh.
Wintersemester 1879/80 16) Geschichte der alten Philosophie – privatim – vor 6 Zuhörern
17) Über den freien Willen und die Hauptgedanken der Ethik -publice
vor 12 Zuhörern
Sommersemester 1880 18) Die wichtigsten pessimistischen Theorien – publice- vor 12
Zuhörern”
Danach folgte am 1.06.1893 seine Tätigkeit als Kreisschulinspektor in Lennep- Remscheid, am 29.05.1897 als Kreisschulinspektor in Thorn. Im Jahre 1898 trat Witte der Copernicus Gesellschaft in Thorn bei, hielt dort mehrere Vorträge. 1901 schied er aus unbekannten Gründen wieder aus. Am 4.07.1906 erfolgte die Amtsübergabe des Thorner Inspektorates, und es folgte die Übernahme des Bezirkes Pr. Friedland, wobei hier anzumerken ist, dass der damalige Kreisschulinspektor, Schulrat Katluhn, von Pr. Friedland nach Thorn versetzt wurde. Es ist offensichtlich, dass Prof. Dr. Witte sehr oft versetzt wurde und zwar gen Osten der Preußischen Monarchie, die unter der Lehrerschaft gemieden wurde, da diese Region in vielerlei Hinsicht sehr viele Konflikte barg. Am 31.01.1908 ist Johann Heinrich Witte in Pr. Friedland (heute Debrzno in Polen) verstorben.
Witte als Privatmann
Im Jahre 1880 heiratete Witte seine Frau Louise, geb. Endemann (geb. 29.10.1860 in Fulda). Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor Willy geb. 6.05.1882 und Otto geb. 17.07.1885 in Bonn, Kätchen geb. 29.09.1892 in Ruhrort, Carl-Heinrich-Julius geb. 18.01.1894 in Lennep. Im Jahre 1906 folgte nur seine Frau und sein jüngster Sohn seinem Umzug nach Pr. Friedland.
Im Jahre 1903 hat er einen Antrag auf Urlaub in der Zeit vom 15.04-14.07.1903 zwecks des Besuches seines leberkranken Bruders in Berlin gestellt. Dabei wollte er bei seiner älteren Schwester wohnen. Die letzte Information, die vielleicht seinen Charakter bzw. seine Person dem Leser etwas näher bringen sollte, ist die Tatsache, dass Witte während seiner neunjährigen Tätigkeit dreimal umgezogen ist, nämlich am 29.05.1897 in die Schulstr. 7, am 29.07.97 in die Schulstr. 2/ links und am 1.09.1899 in die Wellenstr. 90.
Die wichtigsten Schriften von Prof. Dr. Johann Heinrich Witte:
Beiträge zum Verständniss Kant’s, Berlin 1874.
Salomon Maimon: die merkwürdigen Schicksale und die wissenschaftliche Bedeutung eines jüdischen Denkers aus der Kantischen Schule, Berlin 1876
Vorstudien zur Erkenntnis des unerfahrbaren Seins: Philosophische Abhandlungen spekulativ- und historisch-kritischen Inhalts / Johannes H. Witte ; Heft 1, Bonn 1876.
Zur Erkenntnistheorie und Ethik: 3 philosophische Abhandlungen, Berlin 1877
Über Anschaulichkeit in den Sinnen und Anschaulichkeit im Denken, Berlin 1879
Die Philosophie unserer Dichterheroen: Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Idealismus, Bonn 1880
Lessing und Herder, Bonn 1880
Grundzüge der Sittenlehre: ein Kompendium der Moralphilosophie, Bonn 1882
Über Freiheit des Willens, das sittliche Leben und seine Gesetze: Ein Beitrag zur Reform der Erkenntnistheorie, Psychologie und Moralphilosophie, Bonn 1882
Kantischer Kritizismus gegenüber unkritischem Dilettantismus, Bonn 1885
Das Wesen der Seele und die Natur der geistigen Vorgänge: im Lichte der Philosophie seit Kant und ihrer grundlegenden Theorien; historisch-kritisch dargestellt, Bonn 1888
Sinnen und Denken: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge aus den Gebieten der Literatur, Philosophie und Pädagogik sowie ihrer Geschichte, Halle a. d. Saale 1889
Dr. Dittes und sein Ideal: Die Confessionlose Volksschule, Ruhrort 1890
Volksschule und Hilfsschule: über Förderung der Schwachen im Rahmen der normalen Volksschule, Thorn 1901
Die Verfasser : FÖL Eva Lakowski, Dr. päd. Ireneus Lakowski
Christian Wilhelm Schneider Förderzentrum Esens – Landkreis Wittmund
Nordseetiere – Bilder – Flora – Fauna
Ferienwohnung Esens- Urlaub – Kunst- Literatur an der Nordsee
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