Die Liquidatoren – einsame Helden von Chernobyl

Die Liquidatoren – einsame Helden von Chernobyl

Chernobyl, auch heute noch Synonym für den Schrecken, steht für eine nukleare Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Doch wie erging es den Arbeitern, die ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzten?

BildGedenken an die Helden von Chernobyl

Die gusseiserne Glocke hängt stumm im steinernen Bogen. An der Mauer darunter steht auf Plaketten eingraviert eine Reihe von Namen. Namen der Menschen, die in den ersten Stunden, Tagen und Wochen unter Einsatz ihres Lebens nach einer der größten Katastrophen der Welt aufgeräumt haben. Das Denkmal erinnert an die Liquidatoren von Tschernobyl.

Chernobyl, auch heute noch Synonym für den unsichtbaren Schrecken, steht für eine nukleare Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Die Hintergründe der furchtbaren Ereignisse könnt ihr in den Beiträgen Liquidatoren von Chernobyl – Wettlauf gegen den unsichtbaren Feind und Bis dass der Tod uns scheidet – Das Leben der Einsiedler von Chernobyl nachlesen.

Doch wie erging es den Arbeitern, die ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben? Welche Erfahrungen machten die Liquidatoren und wie geht es ihnen heute, 33 Jahre nach der Katastrophe? Diese Fragen haben uns beschäftigt, also begaben wir uns auf Spurensuche, um das Geheimnis um die Helden von Chernobyl zu lüften.

600.000 bis 800.000 Leben

Quellen sprechen von 600.000 bis 800.000 Liquidatoren, die in der Sperrzone im Einsatz waren. Diese Menge an Menschen ist fast unbegreiflich. Deutlicher wird es vielleicht, wenn man sich vor Augen führt, dass Frankfurt am Main etwa 750.000 Einwohner hat.

Die Zahlen schwanken so sehr, weil der Begriff Liquidatoren im engsten Sinne ausschließlich für die Arbeiter genutzt wurde, die auf dem Dach des benachbarten Reaktors den verstrahlten Schutt wegräumten. Ursprünglich sollten Roboter die gefährliche Arbeit verrichten, jedoch versagten diese aufgrund der hohen Strahlung. Daher mussten schlussendlich doch Menschen, die zynisch als Bio-Roboter bezeichnet wurden, die Trümmer wegräumen. Wegen der hohen Strahlung durften sich die Menschen höchstens ein paar Sekunden dort aufhalten, Trümmer zurück in die Ruine werfen und dann wieder verschwinden. Notdürftigen Schutz gewährte dabei eine dünne Bleiweste.

Mit der Zeit wurde die Bezeichnung Liquidator von Chernobyl für fast alle Menschen genutzt, die bei der Katastrophe im Einsatz waren:

– Arbeiter, die während der Katastrophe im Kraftwerk ihre Schicht leisteten
– Feuerwehrleute, welche unmittelbar nach den Explosionen am Unfallort eintrafen
– die Brigade des Zivilschutzes aus Kiew, die kontaminierte Erde abtrug
– medizinisches Personal
– Arbeiters des Militärs, die bei der Reinging halfen und die Sperrzone kontrollierten
– Bergarbeiter, welche Tunnel gruben, um so zu verhindern, dass das kontaminierte Löschwasser ins Grundwasser und zum schmelzenden Reaktor gelangte
– Jäger, die verstrahlte Tiere erlegten
– Hubschrauberpiloten, welche Sensoren auf der Ruine platzierten und Sand auf den zerstörten Reaktor abwarfen, um diesen abzukühlen. Die Piloten warfen weitere Materialen ab, um eine weitere Katastrophe zu verhindern und die radioaktive Strahlung einzudämmen
– Transportarbeiter, welche LKWs und andere Fahrzeuge fuhren, mit denen das kontaminierte Material transportiert wurde
– Bauarbeiter, die den Sarkophag um den zerstörten Reaktor errichteten

Über die Risiken im Dunkeln gelassen

Diese Liquidatoren kamen aus der gesamten Sowjetunion nach Chernobyl, etwa 240.000 stammen aus Russland. Sie alle waren unermüdlich im Einsatz, um den Schaden zu minimieren, das Risiko einzugrenzen und weitere nukleare Fallouts zu verhindern. Die ersten Arbeiter vor Ort waren zu einem normalen Einsatz gerufen worden: Die Feuerwehr sollte einen Brand löschen, die Arbeiter beim Abtransport von Schutt helfen. Niemand sprach zu diesem Zeitpunkt von einer Katastrophe. Die Arbeiter vor Ort kannten weder das Ausmaß des Ereignisses, noch waren sie genau über die Gefahren, die von dem zerstörten Reaktorblock ausgingen, aufgeklärt worden.

Daher trugen viele ganz normale Arbeitskleidung oder eine unzureichende Schutzausrüstung. Angst hatte jedoch kaum jemand – nur gesunden Respekt vor dem, was vor ihnen lag: ein zerstörtes Gebäude, Feuer, gefährliche Trümmerstücke und Schutt. Also hieß es anpacken und los ging es mit der Arbeit.

Jedoch gab es auch Arbeiter, die wussten, was passiert war. Dazu gehörten die Reservisten der sowjetischen Armee. Diese hatten den Ernstfall eines Nuklearanschlags geübt, wussten, wie sie sich im Falle von austretender Radioaktivität verhalten müssen. Die Reservisten hatten Schutzkleidung aus imprägniertem Stoff und Gummistiefel, eine Atemmaske vervollständigte das einfache Outfit.

Dazu kamen Anweisungen je nach Verstrahlung nur eine bestimmte Zeit vor Ort zu arbeiten. Nach dem Einsatz wurden die Strahlenwerte auf der Schutzkleidung gemessen. Hatte diese die Tagesgrenze überschritten, wurden die Arbeiter zum Duschen geschickt. Anfangs lag die Grenze bei 30 Röntgen, später sank diese auf 20 Röntgen.

Nach und nach sickerten die Spekulationen auch zu den anderen Arbeitern durch, der Schutz wurde verstärkt und es wurde strenger kontrolliert, Strahlung wurde akkurater und öfter gemessen. Doch für viele Liquidatoren kamen diese Vorsichtsmaßnahmen zu spät.

Krankheit, Gebrechen und ein schleichender Tod

Quellen sprechen von etwa 134 Arbeitern, die als Ersthelfer am Unglücksort so stark verstrahlt wurden, dass 28 von ihnen innerhalb von Tagen und Wochen starben. In den Monaten und Jahren darauf starben zehntausende weitere Menschen, hunderttausende erkrankten an verschiedenen strahlungsbedingten Gebrechen.

Von den 240.000 Liquidatoren aus Russland sind etwa 90.000 gestorben. Nach offiziellen Angaben war die Todesursache nur bei 10.000 von ihnen die Radioaktivität. Experten sind sich jedoch uneinig, ob die Dunkelziffer nicht weit höher liegt.

Zudem leiden wohl laut zahlreicher Quellen und Zeitzeugenberichten viele Liquidatoren an verschiedenen Krebserkrankungen, psychosomatische Krankheiten, wie Depressionen, und auch eine posttraumatischen Belastungsstörung ist wohl keine Seltenheit. Die Belastung zehrt an der Seele und am Körper.

Am Ende ganz einsame Helden

Man müsste meinen, dass die Liquidatoren für ihren Einsatz die beste Versorgung genießen und heute als Helden gefeiert werden. Diese Annahme stimmt teilweise. Das Denkmal direkt am Unglücksort ist nicht das einzige, das den Liquidatoren von Tschernobyl gedenkt. Es gibt weitere Ikonen und Gedenkstätten, wie etwa das Denkmal für die Feuerwehrmänner in Tschernobyl, das am zehnten Jahrestag eingeweiht wurde.

Zudem wurden Orden verliehen und die Rente etwas aufgestockt – und damit wurden die Helden von Tschernobyl in ihr Leben zurückgelassen. Doch einige fanden sich hier nicht mehr zurecht. Aufgrund von gesundheitlichen sowie seelischen Problemen fiel es ihnen schwer, sich wieder in den Alltag einzufinden. Diese einsamen Helden fallen durchs soziale Raster, aufgefangen nur von Freunden, Familie und Verwandtschaft, soweit vorhanden.

Heute, etwa 33 Jahre nach der Katastrophe leben nur noch wenige Liquidatoren. Man kann sie besuchen, mit ihnen sprechen und ihre Geschichten mit eigenen Ohren hören. Für uns, welche die damaligen Ereignisse von Chernobyl zumeist nur aus den Medien kennen, ist das eine Möglichkeit den direkten Kontakt zur Vergangenheit aufzunehmen und sich ein eigenes Bild über die dramatischen Ereignisse zu machen.

Sehen und verstehen

Doch man muss nicht die Überlebenden der Katastrophe aufsuchen, um die damaligen Geschehnisse zu begreifen. Heute ist es möglich, die ehemals streng abgeriegelte Sperrzone auch als Tourist zu besuchen.

Solche Fotoreisen in die Sperrzone bieten wir mit dem nötigen Respekt an. Beeindruckende und bewegende Motive warten hier auf empathische Reisende mit der Fotokamera in der Hand. Wenn ihr Chernobyl, die Sperrzone sowie die Überbleibsel aus damaliger Zeit mit eigenen Augen sehen wollt, findet ihr auf unserer Webseite Tschernobyl Abenteuerreisen alle Infos, die ihr für eure individuelle Fotoreise mit Urbexplorer benötigt.

Eine unserer Fotoreisen führte uns zum ehemaligen Binnenhafen. Viele der dort geschossenen Fotos könnt ihr in dem Beitrag Die rostigen Kräne im Hafen von Tschernobyl sehen. Sprecht uns bei Fragen direkt unter Kontakt an, wir helfen euch gerne weiter.

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