Akademiegespräche der PVS-Akademie in München und Stuttgart
(ddp direct) Die von SPD, den Grünen und der Linkspartei in ihren Programmen zur Bundestagswahl geplante Bürgerversicherung war Thema zweier Akademiegespräche, zu der die Akademie der PVS Baden-Württemberg am 3. Juli in München und am 5. Juli in Stuttgart eingeladen hatte. Vertreter aus Politik, Medizin und Wissenschaft diskutierten die Bürgerversicherung und ihre Folgen für das deutsche Gesundheitssystem. Michael Ahrens, Geschäftsführer der PVS Baden-Württemberg, stellte die Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage unter PVS-Mitgliedern zur Bürgerversicherung vor. Ergebnis: Die meisten Ärztinnen und Ärzte rechnen mit gravierenden Einnahmeverlusten, wenn mit Einführung der Bürgerversicherung die Honorare für Privatleistungen wegfallen. Über ein Drittel – 40 Prozent – befürchten sogar ihre Praxis schließen zu müssen.
Zunächst informierte der Gesundheitsökonom Dipl.-Volkswirt Thomas Höpfner von den Gesundheitsforen Leipzig über die „Ambulante Versorgung unter dem politischen Projekt einer Bürgerversicherung“. Nach den derzeitigen Plänen sollen alle Menschen in Deutschland Mitglieder der Bürgerversicherung werden. Alle erhalten aus dieser einheitlichen Krankenversicherung das gleiche Versorgungsniveau. Im Gegensatz zur ebenfalls diskutierten Kopfpauschale gibt es weiterhin einkommensabhängige Beiträge, für die allerdings die Bemessungsgrenzen wegfallen oder doch deutlich erhöht werden sollen. Damit, so Thomas Höpfner, müsse auch innerhalb des Systems einheitlich definiert werden, welcher Zustand als krank zu bezeichnen ist – der sogenannte Krankheitswert – und welche Behandlungsverfahren anerkannt und damit bezahlt werden. „Es muss ein einheitlicher Konsens erzielt werden, der unserer pluralistischen Gesellschaft widerspricht.“ Klar ist, dass sich die Bürgerversicherung auf einen Grundleistungskatalog beschränken wird. Aufgabe der Privaten Krankenversicherung, die dann keine Vollversicherungen mehr bietet, könnte es sein, Zusatzleistungen bereitzustellen. „Die PKV wird aber nur solche Zusatzleistungen anbieten, die sich wirtschaftlich lohnen“, gibt Gesundheitsökonom Höpfner zu bedenken. Die Folge: Eine ganze Reihe von medizinischen Angeboten wird es nicht mehr geben. Zudem behindere die Einheitsversicherung den medizinischen Fortschritt. Bislang „irritieren“ sich die beiden Systeme GKV und PKV durch unterschiedliche Leistungen und den daraus resultierenden Wettbewerb. Fällt dieser Wettbewerb weg, besteht nur noch wenig Anreiz, neue Methoden und Verfahren in den Behandlungskatalog aufzunehmen. „Was nicht leitlinienkonform ist, wird nicht bezahlt und kann nur noch von denen in Anspruch genommen werden, die es sich leisten können“, so Höpfners Fazit. Damit hätten wir offiziell eine echte Zwei-Klassen-Medizin.
Geschäftsführer Michael Ahrens stellte anschließend im Detail das Ergebnis der bundesweiten Ärztestudie vor, die von der PVS Baden-Württemberg gemeinsam mit dem PVS-Verband initiiert worden war. Dabei war auch nach einer Bewertung der Lösungen zur Finanzierung der Bürgerversicherung gefragt worden. Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze lehnte die Mehrheit (58 %) ebenso ab, wie die Beitragspflicht für Mieteinnahmen und Kapitalerträge (61 %) und die Erhöhung der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge (71 %). Gegen die Pläne, die Altersrückstellungen der PKV zur Finanzierung der Bürgerversicherung zu nutzen, waren mit 92 % fast alle der insgesamt 3.550 Ärztinnen und Ärzte, die an der Befragung teilgenommen hatten.
„Wer heute in die umlagefinanzierte GKV einzahlt, hat eine deutliche Negativverzinsung. In der kapitalfinanzierten PKV dagegen ist trotz der Probleme am Kapitalmarkt eine positive Verzinsung möglich“, urteilt Michael Ahrens. Die Bürgerversicherung soll nun antreten, um das Modell der PKV abzuschaffen. „Dabei wird Gleichheit mit Gerechtigkeit verwechselt.“ Außerdem widersprechen sich die politischen Aussagen: Während zur Rente gesagt werde, die Menschen müssen neben der Rentenversicherung auch privat vorsorgen, soll durch die Beitragspflicht für Mieteinnahmen und Kapitalerträge diese Vorsorge wieder geschmälert werden. Die Ärzte sind dabei durch die Bürgerversicherung doppelt betroffen. Einerseits fallen durch die Auflösung der PKV-Vollversicherungen wichtige Einnahmequellen weg. Andererseits sind sie erheblich von den geplanten Finanzierungsmodellen der Bürgerversicherung betroffen. Derzeit, so Michael Ahrens, decken in den meisten Arztpraxen die GKV-Beiträge die Kosten, während die PKV-Einnahmen den Unternehmerlohn ausmachen. Entsprechend groß waren die wirtschaftlichen Befürchtungen der befragten Ärzte. So erwarten 77 Prozent, dass sie Praxispersonal abbauen müssen, wenn die PKV-Einnahmen wegfallen.
Die anschließende Podiumsdiskussion, unter Leitung des stellvertretenden Chefredakteurs der Ärzte Zeitung Helmut Laschet, griff die Befürchtungen der Ärzte auf. „Wie wird sich die Bürgerversicherung auf die Honorare auswirken?“, fragte Laschet in die hochkarätige Teilnehmerrunde. Dr. Frank Diener, Generalbevollmächtigter der Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover GmbH, die deutschlandweit fast 1.000 Ärzte als Mandanten betreut, berichtete über ein Analyse-Szenario, das seine Gesellschaft zu den Auswirkungen einer Bürgerversicherung auf niedergelassene Ärzte durchgeführt hat. Dabei wurde der Wegfall der privatärztlichen Honorare und deren Ersetzung durch kassenärztliche Honorare simuliert. Die Simulation wurde für Hausärzte, Fachärzte und Zahnärzte getrennt durchgeführt. „Von einem Wegfall der PKV-Einnahmen sind alle Praxen negativ betroffen“, berichtete Dr. Diener. „Doch die Betroffenheit der Ärzte ist nicht gleichförmig: Je höher die Spezialisierung und je umfangreicher die technische Ausstattung, desto stärker würde sich der Wegfall der PKV-Einnahmen auswirken.“ Faustregel für die Wirkung ist dabei: Hausärzte sind weniger betroffen als Fachärzte und Zahnärzte. Es gibt weitere Folgen: Eine Bürgerversicherung bedeutet für abgebende Praxisinhaber einen betriebswirtschaftlich kalkulierbaren, signifikanten Abschlag beim Firmenwert; für Praxiserwerber reduzieren sich die erzielbaren monatlichen Verfügungsbeträge, was die Selbständigkeit weniger attraktiv macht. Der ohnehin schon bestehende Investitionsstau in vielen Praxen werde dadurch noch vergrößert. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht, müsse deshalb eine Kompensation des Vergütungsfalles zwischen GoÄ bzw. GoZÄ und EBM erfolgen. Diener wies daraufhin, dass – wenn parallel zur Bürgerversicherung die Einkommenssteuersätze erhöht werden – sich die Verfügungsbeträge der Praxisinhaber zusätzlich reduzieren.
Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer erklärte, dass die Bürgerversicherung „den Turbomotor in die Zwei-Klassenmedizin darstellt. Neben der Grundversorgung über die Bürgerversicherung werden nur die, die es sich leisten können, private Zusatzleistungen in Anspruch nehmen können.“ Die Bürgerversicherung schade damit massiv der medizinischen Versorgung. Und das vor allem auch deshalb, weil die Bürgerversicherung Wettbewerb verhindere. Darunter werde auch die medizinische Forschung leiden: „Die Qualität wird sinken.“
Allerdings versprechen die Parteien, die die Bürgerversicherung befürworten, den Ärzten einen finanziellen Ausgleich für den Wegfall der PKV-Einnahmen. „Diese Versprechen sind aus meiner Sicht nichts wert“, urteilte Dr. med. Bernhard Rochell, Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer. „Wo soll das Geld auf Dauer herkommen, wenn dem durchschnittlichen Versicherten der neuen Bürgerversicherung gleichzeitig eine deutliche Beitragssenkung versprochen werde.“ Den Honorarverlust bezifferte er, unter Bezug auf dazu vorliegende Untersuchungen allein im ambulanten Bereich auf drei bis sechs Milliarden Euro im Jahr. Danach werde sich allein für Baden-Württemberg ein Kompensationsbedarf von bis zu 668 Millionen Euro im Jahr ergeben. „Das heißt, es sind im Schnitt 33.400 Euro pro Vertragsärztin/-arzt und Vertragspsychotherapeut/-psychotherapeutin im Jahr nötig, was dem Gehalt einer Praxis-Mitarbeiterin entspricht.“ Bei diesen Betrachtungen seien die auf die Vertragsärzte als Arbeitgeber wie auch als Versicherte der neuen Bürgerversicherung ergänzend zukommenden steuerlichen und Beitragsmehrbelastungen noch gar nicht berücksichtigt.
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Lars Lindemann, sieht durch die gegenwärtige Diskussion um die Einführung einer Bürgerversicherung vor allem auch junge Mediziner verunsichert, die planen, sich als Haus- oder Fachärzte niederzulassen. Eine vernünftige Abschätzung der finanziellen Chancen und Risiken sei mit der Bürgerversicherung nicht möglich. „Wir sind in Deutschland darauf angewiesen, dass sich freiberufliche Ärzte in der Gesundheitsversorgung engagieren. Nur so funktioniert das System. Dazu ist Freiheit nötig, die die Bürgerversicherung gefährdet.“
Deutlich wzrde aber auch, dass sich auch die PKV bewegen muss. Michael Ahrens wundert sich darüber, dass viele PKV-Unternehmen sich nach wie vor sehr schwer tun, Fallsteuerungs-Maßnahmen einzuführen. Bei den Abrechnungsmodellen dagegen gleiche sich die PKV immer mehr der GKV an. Lediglich im ambulanten Sektor gibt es mit der GOÄ noch eine andere Philosophie bei der PKV, mit der auch die Eigenverantwortung der Patienten gestärkt werde. Gerade die Überarbeitung der GOÄ ist „eine unendliche Geschichte“. „Es ist traurig, dass in einer Situation, in der über die Auflösung der PKV diskutiert wird, sich die Vertragspartner nicht über einen neuen Abrechnungsmodus einigen können“, sagte FDP-Gesundheitsexperte Lindemann. Prof. Dr. Montgomery berichtete, dass eine Einigung mit den Privaten Krankenversicherern inzwischen greifbar sei: „Die neue GOÄ wird für die Ärzte Veränderungen bringen und die Honorarverteilung neu gestalten.“
Einig war sich die Runde in der Ablehnung der Bürgerversicherung. „Man sollte aber auch nicht aus purer Opposition gegen die Bürgerversicherung wettern“, gab Prof. Dr. Montgomery zu bedenken. Vielmehr sei es nötig, auch konstruktive Vorschläge für die Lösung der Zukunftsfragen in der Gesundheitsversorgung anzubieten. Einigkeit bestand auch in der Einschätzung, dass Reformbedarf sowohl in der GKV als auch in der PKV bestehe. Dr. Bernhard Rochell fürchtet überdies, dass es zu einer „Salamitaktik“ kommen könne: Wenn die Bürgerversicherung nicht direkt durchsetzbar ist, könnte versucht werden, über den Zusammenschluss von GOÄ und EBM zu einer einheitlichen Gebührenordnung einen ersten Schritt darauf zuzugehen. Vieles an den derzeitigen Plänen ist undurchsichtig und konfus. Ob es beispielsweise verfassungsrechtlich überhaupt möglich ist, dass die Bürgerversicherung auf die Altersrückstellungen der PKV zugreift, ist sehr zweifelhaft.
Rund 90 Ärztinnen und Ärzte folgten in München der Einladung zum Akademiegespräch. In Stuttgart kamen rund 80 Teilnehmer, die die Gelegenheit nutzten, mit den Referenten und Podiumsteilnehmern zu diskutieren. „Die Akademie der PVS Baden-Württemberg versteht sich als Partner der Ärzte. Deshalb sehen wir es neben unseren Seminar- und Schulungsangeboten als unsere Aufgabe, uns als Interessenvertreter in aktuellen politischen Themen für die Belange der PVS-Mitglieder, also der niedergelassenen und Klinikärzte, einzusetzen“, sagte Dirk Fröhlich, Geschäftsführer der Akademie der PVS Baden-Württemberg. „Unsere Akademiegespräche bilden dabei eine wirkungsvolle Plattform für aktuellen und kompetenten Informations- und Meinungsaustausch.“
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Die Akademie der Privatärztlichen Verrechnungsstelle (PVS) Baden-Württemberg in Stuttgart-Degerloch bietet für Klinikärzte, niedergelassene Ärzte und für Mitarbeiter in medizinischen Berufen Seminare zu medizinischen Themen, zu Abrechnungsfragen und zur Praxisorganisation. Die Veranstaltungsreihe der Akademiegesprächsabende greift aktuellen Themen aus dem Gesundheitswesen auf. Namhafte Experten vermitteln hier Fachwissen und stellen sich den Fragen der Teilnehmer.
Mehr Informationen finden Sie unter: www.pvs-akademie.de
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