Bei der Früherkennung und Prävention des Diabetes mellitus kann der Zahnarzt eine wichtige Schnittstellenaufgabe übernehmen
Regensburg, 18.09.2013 – Sowohl bei der Parodontitis als auch beim Diabetes mellitus Typ 2 handelt es sich um chronische Volkskrankheiten mit steigender Prävalenz, deren schwerwiegende Folgen bei frühzeitiger Diagnose verhindert bzw. gemindert werden könnten. Angesichts vorliegender Evidenz, dass eine manifeste Parodontitis die glykämische Situation verschlechtert und sich eine unzureichende Blutzuckereinstellung negativ auf parodontale Erkrankungen auswirkt, ist für die optimale Behandlung ein interdisziplinärer Ansatz erforderlich, der Zahnmedizin und Diabetologie einschließt. Die Behandlung von Parodontopathien muss integraler Bestandteil des Diabetesmanagements werden, wie auch eine gute glykämische Kontrolle eine erfolgreiche Parodontitistherapie sichert. Hier sind die Zahnärzte als regelmäßige Ansprechpartner der Patienten gefordert, die hohe Kontaktrate für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung zu nutzen und damit zur Senkung des allgemeinen Erkrankungsrisikos beizutragen. Infolgedessen werden zunehmend höhere Anforderungen an die medizinischen Kompetenzen des Zahnarztes sowie des zahnärztlichen Teams gestellt, die vor diesem Hintergrund deutlich gestärkt werden müssen.
Parodontalerkrankungen (Parodontitis u. Gingivitis) gehören zu den häufigsten oralen Manifestationen des Diabetes. Deshalb wird heute auch von der Parodontitis als einer weiteren wichtigen Diabetesfolgeerkrankung gesprochen [1]. Aufgrund der Erkenntnisse über die folgenschweren Wechselwirkungen zwischen Diabetes und Parodontitis stellen die Parodontitisprävention, -therapie und -nachsorge ein wichtiges Bindeglied zwischen der Zahnheilkunde und der Diabetologie dar.
Eindeutige Evidenz für bidirektionalen Zusammenhang
Prävalenz, Schweregrad und Progression der Parodontitis sind mit Diabetes mellitus assoziiert [2,3]. Unabhängig vom Diabetestyp sind die durchschnittliche Sondierungstiefe und der durchschnittliche klinische Attachmentverlust bei Diabetes mellitus signifikant erhöht [4]. Die Progression von Parodontitiden ist bei Typ 1 und 2 Diabetikern beschleunigt [5], was sich auch in stärkerem Zahnverlust [6] manifestiert. Das erhöhte Risiko, bei Vorliegen eines Diabetes mellitus an Parodontitis zu erkranken, hängt von der glykämischen Einstellung ab. Mit besserer Einstellung ähnelt der Parodontalzustand von Diabetikern dem von Nichtdiabetikern, wohingegen mit schlechterer glykämischer Kontrolle das Risiko für eine parodontale Destruktion zunimmt [5,7,8]. Zudem sprechen metabolisch gut eingestellte Diabetiker ähnlich gut auf eine Parodontitistherapie wie Nichtdiabetiker an und die Ergebnisse können gleichermaßen erfolgreich aufrechterhalten werden [9-11].
Die Parodontitis wiederum erschwert bei Diabetikern die Stoffwechselkontrolle und verschlechtert ihre glykämische Einstellung [12], da mit Zunahme der Sondierungstiefe oder des entzündeten parodontalen Gewebes der HbA1c-Wert ansteigt [13,14]. Aber auch bei Nicht-Diabetikern ist der Blutglukosespiegel mit Parodontitis bzw. deren Schweregrad assoziiert [15-18] und das Risiko für die Entstehung einer gestörten Glukosetoleranz bzw. eines Diabetes mellitus als Folge der parodontalen Erkrankung erhöht [19-22].
Darüber hinaus zeigen Studien bei Pima-Indianern, die unter einer hohen Prävalenz des Typ 2 Diabetes leiden, dass parodontale Erkrankungen das Risiko für Diabetes-assoziierte Komplikationen steigern [20,23-25]. Bei diesen Typ 2 Diabetikern mit schwerer Parodontitis ist im Vergleich mit parodontal-gesunden oder parodontal leicht erkrankten Patienten die Sterblichkeit aufgrund einer ischämischen Herzkrankheit 2,3-fach und einer diabetischen Nephropathie 8,5-fach [23] sowie die Inzidenz von Makroalbuminurie 2,1-fach und die einer terminalen Niereninsuffizienz 3,5-fach erhöht [24].
In diesem Zusammenhang und angesichts dieser Zahlen sollten künftig parodontale Prävention bzw. eine rechtzeitige Parodontitistherapie einen höheren Stellenwert als bisher einnehmen. In einer Reihe von Meta-Analysen wurde nachgewiesen, dass durch eine effektive Parodontitistherapie die glykämische Einstellung bei parodontal erkrankten Typ 2 Diabetikern verbessert werden kann [26-30]. Die Senkung des HbA1c-Wertes bei Typ-2-Diabetes lag drei Monate nach nicht-chirurgischer Parodontitistherapie zwischen 0,4 und 0,5 Prozent, was von der klinischen Bedeutung dem Hinzufügen eines zweiten Medikaments zu einer pharmakologischen Therapie bei Diabetes entspricht.
Diagnostik-, Präventions- und Therapieempfehlungen
Bei ihrer zahnärztlichen Erstbefundung sollten Patienten mit Typ 1, Typ 2 und Gestationsdiabetes einer gründlichen oralen Untersuchung mit einer umfassenden parodontalen Befundung unterzogen werden. Im Rahmen der Anamneseerhebung sollte erfragt werden, an welchem Diabetestyp der Patient leidet, seit wann der Diabetes mellitus besteht, ob und welche Diabetes-assoziierten Komplikationen vorliegen, wie der Diabetes augenblicklich therapiert wird und wie er eingestellt ist (HbA1c-Wert). Für parodontal erkrankte Diabetiker sind ein effektives subgingivales Debridement sowie regelmäßige zahnärztliche Kontrolluntersuchungen und professionelle Zahnreinigungen besonders wichtig. Abhängig von der glykämischen Einstellung sollten diese mindestens halbjährlich erfolgen, gegebenenfalls sind auch kürzere Kontrolltermine zu vereinbaren. Wichtig ist, dass die parodontalen Taschen regelmäßig gemessen und tiefere Taschen subgingival instrumentiert werden. Diabetespatienten müssen im Zusammenhang mit ihrem erhöhten parodontalen Erkrankungsrisiko und den damit verbundenen Komplikationen besonders über die Bedeutung der täglichen häuslichen Mundhygiene wie auch über die notwendige lebenslange Betreuung durch ihren Zahnarzt aufgeklärt werden. Aber auch Patienten, die sich ohne Diabetesdiagnose, aber mit offensichtlichen Risikofaktoren für einen Typ 2 Diabetes (Übergewicht, Bluthochdruck, positive Diabetes-Familienanamnese) und Zeichen einer Parodontitis beim Zahnarzt vorstellen, sollten über ihr Diabetesrisiko informiert und anhand eines am Behandlungsstuhl durchgeführten Blutzuckertests gescreent werden, und/oder zu ihrem Hausarzt für eine entsprechende Diabetesdiagnostik überwiesen werden [31].
Fazit für die tägliche Praxis
Die erfolgreiche Therapie sowohl der Parodontitis als auch des Diabetes mellitus setzt eine enge und vertrauensvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen behandelndem Hausarzt bzw. Diabetologen und dem Zahnarzt sowie eine sehr gute Patientencompliance voraus. Im Rahmen der zahnärztlichen Anamnese und Diagnostik gilt es, mögliche Auswirkungen eines Diabetes auf die Mundgesundheit zu erkennen sowie entsprechende präventive und therapeutische Maßnahmen zu treffen. Wenn die Kooperation zwischen zahnärztlich, hausärztlich oder internistisch tätigen Medizinern gelingt, werden Patienten hinsichtlich verbesserter Früherkennung, Behandlung und Prognose ihres Diabetes profitieren. Daher kann die praktische Empfehlung von heute nur lauten: “Jeder Diabetiker sollte zum Zahnarzt überwiesen werden, wie auch umgekehrt die Zahnarztpraxis ein Screeningort für Diabetes sein könnte”.
Literatur
[1] Löe H. Periodontal disease. The sixth complication of diabetes mellitus. Diabetes Care 1993; 16: 329-334.
[2] Mealey BL, Ocampo GL. Diabetes mellitus and periodontal disease. Periodontol 2000
2007; 44: 127-153.
[3] Salvi GE, Carollo-Bittel B, Lang NP. Effects of diabetes mellitus on periodontal and peri- implant conditions: update on associations and risks. J Clin Periodontol 2008; 35 (8 Suppl): 398-409.
[4] Khader YS, Dauod AS, El-Qaderi SS, Alkafajei A, Batayha WQ. Periodontal status of diabetics compared with nondiabetics: a meta-analysis. J Diabetes Complications 2006; 20: 59-68
[5] Taylor GW, Burt BA, Becker MP, Genco RJ, Shlossman M, Knowler WC, Pettitt DJ. Non-insulin dependent diabetes mellitus and alveolar bone loss progression over 2 years. J Periodontol 1998; 69: 76-83.
[6] Kaur G, Holtfreter B, Rathmann W, Schwahn C, Wallaschofski H, Schipf S et al. Association between type 1 and type 2 diabetes with periodontal disease and tooth loss. J Clin Periodontol 2009; 36: 765-774.
[7] Tsai C, Hayes C, Taylor GW. Glycemic control of type 2 diabetes and severe periodontal disease in the US adult population. Community Dent Oral Epidemiol 2002; 30: 182-192.
[8] Lim LP, Tay FB, Sum CF, Thai AC. Relationship between markers of glycemic control and inflammation on severity of periodontal disease in patients with diabetes mellitus. J Clin Periodontol 2007; 34: 118-123.
[9] Llambés F, Silvestre FJ, Hernandez-Mijares A, Guiha R, Caffesse R. Effect of non-surgical periodontal treatment with or without doxycycline on the periodontium of type 1 diabetic patients. J Clin Periodontol 2005; 32: 915-920.
[10] Christgau M, Palitzsch KD, Schmalz G, Kreiner U, Frenzel S. Healing response to non-surgical periodontal therapy in patients with diabetes mellitus: clinical, microbiological, and immunological results. J Clin Periodontol 1998: 25: 112-124.
[11] Westfelt E, Rylander H, Blohmé G, Jonasson P, Lindhe J. The effects of periodontal therapy in diabetics. Results after 5 years. J Clin Periodontol 1996; 23: 92-100.
[12] Jansson H, Lindholm E, Lindh C, Groop L, Bratthall G. Type 2 diabetes and risk for periodontal disease: a role for dental health awareness. J Clin Periodontol 2006; 33: 408-414.
[13] Chen L, Wei B, Li J, Liu F, Xuan D, Xie B, Zhang J. Association of periodontal parameters with metabolic level and systemic inflammatory markers in patients with type 2 diabetes. J Periodontol 2010; 81: 364-371.
[14] Nesse W, Linde A, Abbas F, Spijkervet FK, Dijkstra PU, de Brabander EC, Gerstenbluth I, Vissink A.Dose-response relationship between periodontal inflamed surface area and HbA1c in type 2 diabetics. J Clin Periodontol 2009; 36: 295-300.
[15] Hayashida H, Kawasaki K, Yoshimura A, Kitamura M, Furugen R, Nakazato M, Takamura N, Hara Y, Maeda T, Saito T. Relationship between periodontal status and HbA1c in nondiabetics. J Public Health Dent 2009; 69: 204-206.
[16] Wolff RE, Wolff LF, Michalowicz BS. A pilot study of glycosylated hemoglobin levels in periodontitis cases and healthy controls. J Periodontol 2009; 80: 1057-1061.
[17] Nibali L, D’Aiuto F, Griffiths G, Patel K, Suvan J, Tonetti MS. Severe periodontitis is associated with systemic inflammation and a dysmetabolic status: a case-control study. J Clin Periodontol 2007; 34: 931-937.
[18] Saito T, Murakami M, Shimazaki Y, Matsumoto S, Yamashita Y. The extent of alveolar bone loss is associated with impaired glucose tolerance in Japanese men. J Periodontol 2006; 77: 392-397.
[19] Saito T, Shimazaki Y, Kiyohara Y, Kato I, Kubo M, Iida M, Koga T. The severity of periodontal disease is associated with the development of glucose intolerance in non- diabetics: the Hisayama study. J Dent Res 2004; 83: 485-490.
[20] Taylor GW, Burt BA, Becker MP, Genco RJ, Shlossman M, Knowler WC, Pettitt DJ. Severe periodontitis and risk for poor glycemic control in patients with non-insulin dependent diabetes mellitus. J Periodontol 1996; 67: 1085-1093.
[21] Demmer RT, Jacobs DR Jr, Desvarieux M. Periodontal disease and incident type 2 diabetes: results from the First National Health and Nutrition Examination Survey and its epidemiologic follow-up study. Diabetes Care 2008; 31: 1373-1379.
[22] Demmer RT, Desvarieux M, Holtfreter B, Jacobs DR Jr, Wallaschofski H, Nauck M, Völzke H, Kocher T. Periodontal Status and Hemoglobin A1C Change: Longitudinal Results from the Study of Health in Pomerania (SHIP). Diabetes Care 2010; 33:1037-43.
[23] Saremi A, Nelson RG, Tulloch-Reid M, Hanson RL, Sievers ML, Taylor GW, Shlossman M, Bennett PH, Genco R, Knowler WC. Periodontal disease and mortality in type 2 diabetes. Diabetes Care 2005; 28: 27-32.
[24] Shultis WA, Weil EJ, Looker HC, Curtis JM, Shlossman M, Genco RJ, Knowler WC, Nelson RG. Effect of periodontitis on overt nephropathy and end-stage renal disease in type 2 diabetes. Diabetes Care 2007; 30: 306-311.
[25] Thorstensson H, Kuylenstierna J, Hugoson A. Medical status and complications in relation to periodontal disease experience in insulin-dependent diabetics. J Clin Periodontol 1996; 23: 194-202.
[26] Janket SJ, Wightman A, Baird AE, Van Dyke TE, Jones JA. Does periodontal treatment improve glycemic control in diabetic patients? A meta-analysis of intervention studies. J Dent Res 2005; 84: 1154-1159.
[27] Darré L, Vergnes JN, Gourdy P, Sixou M. Efficacy of periodontal treatment on glycaemic control in diabetic patients: A meta-analysis of interventional studies. Diabetes Metab 2008; 34: 497-506.
[28] Simpson TC, Needleman I, Wild SH, Moles DR, Mills EJ. Treatment of periodontal disease for glycaemic control in people with diabetes. Cochrane Database Syst Rev 2010; 5: CD004714.
[29] Teeuw WJ, Gerdes VE, Loos BG. Effect of periodontal treatment on glycemic control of diabetic patients: a systematic review and meta-analysis. Diabetes Care 2010; 33: 421-427.
[30] Engebretson S, Kocher T. Evidence that periodontal treatment improves diabetes outcomes: a systematic review and meta-analysis. J Clin Periodontol 2013 Apr;40 Suppl 14:153-63.
[31] Lalla E, Cheng B, Kunzel C, Burkett S, Lamster IB. Dental Findings and Identification of Undiagnosed Hyperglycemia. J Dent Res 2013 Aug 26. [Epub ahead of print]
Zur Aufklärungskampagne der EFP/DGParo für bessere Mundgesundheit:
Die European Federation of Periodontology (EFP) und die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DGParo) haben auf der Grundlage von neuen Forschungsergebnissen zu Wechselwirkungen zwischen parodontalen und systemischen Erkrankungen eine umfangreiche Aufklärungskampagne für ein besseres Mundgesundheitsbewusstsein eingeleitet. Unterstützt wird die Kampagne, die sich an Zahnärzte und Dentalhygieniker in ganz Europa sowie die breite Öffentlichkeit richtet, von Colgate-Palmolive und GABA.
Die DGParo hat die EFP-Aufklärungskampagne zum Anlass genommen, in den kommenden Monaten über diese Wechselwirkungen in den Medien und auf ihrer Website zu berichten. Ziel ist es, die Zahnärzteschaft und die Humanmediziner für dieses interdisziplinäre Thema zu sensibilisieren und darüber hinaus in Richtung Patienten aufzuklären. Aktuelle Informationen und Pressemitteilungen zur Kampagne finden sich auf der Website der DGParo .
Gesellschaft:
Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e.V. (DGParo) nimmt wissenschaftliche und fachliche Aufgaben auf dem Gebiet der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, insbesondere der Parodontologie wahr. Für ihre fast 4.400 Mitglieder sowie zahnärztliche Organisationen ist sie als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Praxis seit nahezu 90 Jahren beratend und unterstützend in parodontologischen Fragen tätig. Zu den Aufgaben der DGParo gehört u.a. die Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Parodontologie sowie die Auswertung, Verbreitung und Vertretung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Richtung zahnärztliche Praxis. Wesentliche Tätigkeitsschwerpunkte neben der Durchführung von wissenschaftlichen Tagungen, sind die Fort- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Parodontologie sowie die Ausrichtung entsprechender Veranstaltungen. Zudem arbeitet die zahnärztliche Fachgesellschaft interdisziplinär, etwa mit allgemeinmedizinischen und anderen wissenschaftlichen Gesellschaften, Arbeitsgemeinschaften und Institutionen des In- und Auslandes zusammen. Sie ist wichtiger Förderer von Forschung und Wissenschaft im Bereich Parodontologie und vergibt jährlich Wissenschaftspreise wie den Eugen-Fröhlich-Preis. Sie verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke.
Kontakt
Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e.V.
Gerlinde Riembauer
Neufferstraße 1
93055 Regensburg
+49 (0) 941/942799–0
kontakt@dgparo.de
http://www.dgparo.de/
Pressekontakt:
Accente Communication GmbH
Sieglinde Schneider
Aarstraße 67
65195 Wiesbaden
0611-40806-10
sieglinde.schneider@accente.de
http://www.accente.de