Über den Zwang im Urlaub diszipliniert zu sein und die Rolle der selbsternannten Stilpolizei. Ein Gespräch mit einem Soziologen.
Kaum ist Sommer, sieht man seine Landsleute schon von weitem. Respektlos werden Kulturdenkmäler von Shorts tragenden Sandalenträgern belagert. In Fetzen hängt dabei sonnenverbrannte Haut aus einem kunterbunten Tank-Top. Aber so regelmäßig wie diese Urlauber auftauchen, so regelmäßig werden diese auch medial gerügt. Socken in Sandalen, das geht gar nicht. Oder doch? Wir sprachen darüber mit einem Soziologen. Dem Unterhaltungswissenschaftler Sacha Szabo , der für das Institut für Theoriekultur Alltagstrends untersucht.
Was interessiert einen Kultursoziologen an weißen Socken?
Sacha Szabo: Was auffällig ist, dass jeden Sommer immer wieder das gleiche Thema aufkommt, wie unmöglich sich die Leute im Urlaub anziehen. Irgendwelche Stilpolizisten kritisieren dann Dont´s, wie gemusterte Bermudashorts, Träger-Tops und natürlich der Klassiker: Socken in Sandalen.
Was ist nun daran ein Thema für einen Soziologen?
Sacha Szabo: Spannend ist, wie über diese Kritik nun ein Bereich der Kontrolle unterworfen werden soll, bei der der Einzelne völlig entspannen sollte. Der Urlaub zeichnet sich gegenüber dem Arbeitsalltag dadurch aus, dass es eine ganz andere Welt ist. Andere Regeln, andere Verhaltensweisen und eben auch ein anderer Kleidungsstil. Der Alltag ist durchreglementiert und von Pflichten durchsetzt. Im Urlaub will man sich dann einmal gehen lassen. Man will die starke Kontrolle für kurze Zeit vernachlässigen und die Disziplin, die man sonst jeden Tag aufrechterhält, schleifen lassen. Dies äußert sich in verschiedenen Facetten. Man isst beispielsweise in kurzen Hosen. Manchmal sogar mit nacktem Oberkörper, sodass viele Hotels darauf hinweisen, dass man beim Betreten des Speisesaals auf die Garderobe achten soll. Natürlich gehört auch dazu, dass man sich exzessiv sonnt und sich einen kapitalen Sonnenbrand holt und dazu gehört eben auch die entsprechende Kleidung, die man im Alltag nie tragen würde.
Bei der Kritik geht es also darum, dass sich die Leute gehen lassen.
Sacha Szabo: Ja, das was auch in der Freizeit eingefordert wird, ist die Selbstdisziplin. Selbst im wohlverdienten Urlaub muss man sich disziplinieren. Sobald man in Verdacht gerät im Urlaub nur auf der faulen Haut zu liegen, herrscht Rechtfertigungsdruck. Gerade Kleidung war schon immer ein Mittel zur Erziehung und die internalisierte Form dieses Zwangs nennt man dann persönlichen Stil.
Was hat der persönliche Stil mit Zwang zu tun?
Sacha Szabo: Mode wie wir sie kennen, die frei und scheinbar individuell kombiniert wird, ist historisch ein recht junges Phänomen. Lange herrschten verschiedenste Kleidervorschriften. Selbst die Regenten waren oft nicht frei in ihrer Wahl. Nun hat sich die mittelalterliche Schichtengesellschaft in eine funktional-differenzierte gewandelt. Sie hat sich individualisiert. Für den einzelnen bedeutet dies, er trägt jetzt selbst die Verantwortung für seine Kleidung. Entsprechend rigide ist der Druck den der Einzelne nun auf sich selbst ausübt, möglichst individuell gekleidet zu sein.
Das ist doch schön!
Sacha Szabo: Ich kann das nicht beurteilen. Was ich aber sagen kann, es ist aufwändig. Man muss Zeit in seinen persönlichen Stil investieren. Also bewirtschaftet man sich selbst und sucht die optimale Mischung zwischen Aufwand und Aufmerksamkeit. Dabei werden die Grundfunktionen von Kleidung nicht selten in den Hintergrund gerückt, nämlich zu schützen, zu wärmen und dabei der Bewegung nicht allzu hinderlich zu sein. Die Selbstdisziplinierung führt nämlich über Schmerz, den man sich selbst zuzufügen bereit ist. Jeder kennt das Sprichwort: Wer schön sein will, muss leiden.
Zurück zum Urlaub, dort ist das ja doch ganz anders.
Sacha Szabo: Der Urlaub unterscheidet nun eben vom Alltag, dass dort weniger Zwänge herrschen. Dies betrifft eben auch die Kleidung, die im Urlaub einfach nur bequem sein muss. Inzwischen gehört wohl auch zum Urlaubsgefühl mit Shorts und Tank-Top umherzuschlendern oder sich wild bedruckte Shirts mit den jeweiligen Urlaubsorten zu kaufen. Zu Hause haben diese dann zudem auch noch die Funktion eines Erinnerungsstücks.
Das klingt nun sehr melancholisch.
Sacha Szabo: In unserer Leistungsgesellschaft ist der Urlaub die Möglichkeit eines temporären Utopias. Eines Gegenentwurfs. All die Dinge die man im Alltag tut, kann man dort hinter sich lassen. Natürlich wird gerne eingewandt, dass der Urlaub nur eine Alltagsflucht sei. Dass man dort lediglich die Arbeitskraft regeneriert. Aber dass dieses Utopia genau so bemessen ist, dass keine Revolte, weder eine innere noch eine äußere stattfindet, das alles stimmt auch zu großen Teilen. Aber man muss eben auch sehen, im Urlaub kommt der Mensch seiner naturhaften Bestimmung sehr nahe. Er ist ein Nahrungsopportunist. Er hat nichts dagegen sich für seine Nahrung nicht anstrengen zu müssen. Er ist ein geselliger Einzelgänger. Er ist eigentlich so etwas wie ein Natural Born Chiller. Unser Bild von Natur als ständiger Kampf ist völlig von unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit geprägt. Tatsächlich passiert relativ wenig in der Natur, das kann jeder bestätigen der einmal einen Tag lang eine Katze beobachtet hat. Aber der Mensch ist zugleich mit einem Bewusstsein seiner selbst ausgestattet, er muss sich auch mit sich beschäftigen. So wechselt er zwischen seinem Naturzustand, der heißt Bequemlichkeit und seinem Kulturzustand, der heißt Arbeit. Dieses Spannungsverhältnis zeichnet den Menschen aus. Aber dazu gehört eben auch, dass man dem Menschen das Recht zugesteht auf der faulen Haut zu liegen und dabei Shorts, Tank-Top und Sandalen mit Socken zu tragen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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