Was tun, wenn Unterforderung zum Problem wird?
Was nach Muße und süßem Nichtstun klingt, kann einen engagierten Menschen mindestens ebenso krank machen wie ständige Überforderung: Boreout ist das Gegenteil von Burnout, einem Zustand totaler Erschöpfung, der durch Dauerstress und Überlastung entsteht. Was viele nicht wissen: Auch zu wenige oder zu anspruchslose Aufgaben, das Gefühl, überflüssig zu sein und nicht gebraucht zu werden, kann bei Betroffenen erheblichen Stress auslösen – und schließlich sogar seelisch und körperlich krank machen. Wie Arbeitnehmer bei einem drohenden Boreout Abhilfe schaffen können, erklärt Dr. Wolfgang Reuter, Gesundheitsexperte der DKV Deutsche Krankenversicherung.
Der Begriff des Boreout ist noch relativ jung und unter Fachleuten umstritten; belastbare Studien zu dem Phänomen fehlen bislang. Fest steht jedoch, dass sich Hunderttausende Menschen in Deutschland im Job mit zu wenigen oder zu anspruchslosen Aufgaben herumschlagen: Umfragen zufolge fühlen sich beispielsweise 60 Prozent der jungen Arbeitnehmer bis 29 Jahre unterfordert. Was nach einem allzu ruhigen Job klingt, schadet aber nicht nur den Unternehmen, sondern auf Dauer auch der Gesundheit der nicht ausgelasteten Mitarbeiter: Ständige Unterforderung und das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, frustrieren und setzen die Betroffenen unter Druck. Sie tippen wahllos auf ihrer Computertastatur herum, surfen stundenlang im Internet oder lösen Sudoku-Rätsel – alles, um möglichst ausgelastet zu wirken und die eigene Untätigkeit vor der Umwelt zu verbergen. “Hinter der vorgetäuschten Betriebsamkeit verbirgt sich dabei meist eine quälende Langeweile und ein Mangel an Erfolgserlebnissen”, weiß Dr. Wolfgang Reuter, Experte der DKV Deutsche Krankenversicherung. “Abends fühlen sich solche Mitarbeiter dann oft erschöpft, ausgelaugt und unzufrieden – obwohl, oder gerade weil sie tagsüber wenig geschafft haben.”
Nichts zu tun haben – ein Tabu in der Leistungsgesellschaft
Die Symptome von Burnout und Boreout gleichen sich: Egal, ob Unter- oder Überforderung die Ursache für den krank machenden Stress ist – im Extremfall kann er bei beiden Gruppen zu Antriebslosigkeit, einem Gefühl innerer Leere, Schlafstörungen und Depressionen führen. Oft kommen nach einer Weile auch körperliche Beschwerden wie Magenschmerzen, Rückenprobleme, Tinnitus und Kopfschmerzen dazu. Zwar scheuen sich die meisten Boreout-Kandidaten, das Problem zur Sprache zu bringen, weiß Dr. Wolfgang Reuter: “Der Burnout, das Leiden der Manager und Erfolgreichen, ist inzwischen allgemein akzeptiert. Der Boreout dagegen gilt in unserer Leistungsgesellschaft als Tabu. Wer gibt schon gerne zu, im Job zu wenig zu tun zu haben?” Doch Scham ist nach Ansicht des Experten fehl am Platze. Stattdessen sollten Betroffene das Problem möglichst schnell angehen, um nicht in einen Teufelskreis zu geraten. “Zunächst ist es eine gute Idee, den Vorgesetzten anzusprechen”, meint der DKV Experte. “Vielleicht hilft es schon, wenn der Arbeitnehmer anregt, seinen Aufgabenbereich auszuweiten.”
Boreout-Betroffene müssen lernen, dass sie nicht nur Opfer sind
Wichtig zu wissen ist vor allem eines: Die Betroffenen sind nicht faul oder träge. Erst die Langeweile macht sie mit der Zeit immer weniger handlungsfähig. “Vorübergehend können anspruchsvolle Hobbys wie das Erlernen einer Fremdsprache oder eine herausfordernde Sportart Ausgleich schaffen”, empfiehlt der Gesundheitsexperte. “Außerdem sollten Betroffene über eine Weiterbildung oder Umschulung nachdenken.” Wenn sich auf Dauer nichts ändert, empfiehlt es sich, die Stellenanzeigen und internen Ausschreibungen anzuschauen. Denn manchmal ist eine berufliche Neuorientierung die einzige Lösung. “Viele an Boreout leidende Arbeitnehmer müssen erst wieder lernen, dass sie selbst Verantwortung für sich übernehmen können”, erklärt Dr. Wolfgang Reuter. Sofern sich bereits seelische oder körperliche Leiden eingestellt haben, ist der Hausarzt ein guter erster Ansprechpartner. Der wird den Patienten wahrscheinlich an einen Psychologen oder einen Facharzt für psychosomatische Medizin überweisen. In aller Regel sind die Heilungschancen gut – sofern der Betroffene frühzeitig Hilfe sucht.
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