RA Stefan Bell, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Düsseldorf
1. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub geht nicht unter, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.
2. Eine solche Abgeltung kann nicht davon abhängen, dass der Betroffene im Vorfeld einen Antrag gestellt hat.
EuGH, Urteil v. 12.06.2014, C-118/13
Entscheidung des europäischen Gerichtshofes
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nach Vorlagebeschluss des LAG Hamm über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden.
Sachverhalt bei der Klage auf Anspruch auf Urlaubsabgeltung:
Frau B. war die Alleinerbin ihres verstorbenen Ehegatten, der vom 1. August 1998 bis zu seinem Tod am 19. November 2010 bei der Beklagten beschäftigt war. Herr B. war seit dem Jahr 2009 schwer erkrankt. In jenem Jahr war er acht Monate arbeitsunfähig. Arbeitsunfähigkeit bestand auch vom 11. Oktober 2010 bis zu seinem Tod. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte Herr B. unstreitig Anspruch auf mindestens 140,5 offene Tage Jahresurlaub.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2011 machte Frau B. gegenüber der Beklagten Abgeltungsansprüche für diese nicht genommenen Urlaubstage geltend. Die Beklagte wies die Forderung mit der Begründung zurück, dass Zweifel daran bestünden, dass es sich um einen vererbbaren Anspruch handle.
Das im ersten Rechtszug entscheidende Gericht, vor das Frau B. diese Forderung brachte, wies die Klage mit der Begründung ab, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Anspruch auf Abgeltung des bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers nicht entstehe.
Im Verfahren über die Berufung gegen diese Entscheidung stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob an dieser innerstaatlichen Rechtsprechung in Ansehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88 festgehalten werden kann. Der EuGH hält die Rechtsprechung des BAG aus den folgenden gründen für unionsrechtswidrig:
Zunächst ist an die ständige Rechtsprechung des EuGH zu erinnern, wonach der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den Grenzen umsetzen dürfen, die in der durch die Richtlinie 2003/88 kodifizierten Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18) selbst ausdrücklich gezogen werden (vgl. Urteile Schultz-Hoff u. a., C-50/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 22, KHS, C-214/10, EU:C:2011:761, Rn. 23, und Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 16).
Schließlich hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass der Arbeitnehmer, wenn das Arbeitsverhältnis geendet hat und es deshalb nicht mehr möglich ist, tatsächlich bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 Anspruch auf eine Vergütung hat, um zu verhindern, dass ihm wegen dieser Unmöglichkeit jeder Genuss des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird (vgl. in diesem Sinne Urteile Schultz-Hoff u. a., EU:C:2009:18, Rn. 56, sowie Neidel, C-337/10, EU:C:2012:263, Rn. 29).
Dazu ist festzustellen, dass der Anspruch auf Jahresurlaub nur einen der beiden Aspekte eines wesentlichen Grundsatzes des Sozialrechts der Union darstellt und dass dieser Grundsatz auch den Anspruch auf Bezahlung umfasst (vgl. in diesem Sinne Urteil Schultz-Hoff u. a., EU:C:2009:18, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Schließlich erweist sich ein finanzieller Ausgleich, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers geendet hat, als unerlässlich, um die praktische Wirksamkeit des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub sicherzustellen, der dem Arbeitnehmer nach der Richtlinie 2003/88 zusteht. Würde nämlich die Pflicht zur Auszahlung von Jahresurlaubsansprüchen mit der durch den Tod des Arbeitnehmers bedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses enden, so hätte dieser Umstand zur Folge, dass ein unwägbares, weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber beherrschbares Vorkommnis rückwirkend zum vollständigen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub selbst, wie er in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verankert ist, führen würde.
Daraus folgt zum einen, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass der Tod des Arbeitnehmers, der das Arbeitsverhältnis beendet, den Arbeitgeber des verstorbenen Arbeitnehmers der Zahlung der finanziellen Vergütung enthebt, die Letzterem normalerweise für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zugestanden hätte, und zum anderen, dass eine solche Vergütung nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass im Vorfeld ein entsprechender Antrag gestellt wurde.
Anspruch auf Urlaubsabgeltung im Todesfall – Fazit:
Erst vor knapp 3 Jahren hat das BAG entschieden, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht vererblich ist (BAG, Urteil v. 20.09.2011, 9 AZR 416/10). Der EuGH hat mit vorliegender Entscheidung der Rechtsprechung des BAG, die teilweise immer noch auf dem Surrogationsprinzip beruht, erneut eine Absage erteilt (vgl. EuGH 22. November 2011 – C-214/10).
Verstirbt ein Arbeitnehmer daher und steht ihm zum Zeitpunkt des Todes noch Resturlaub zu, können seine Erben vom Arbeitgeber Urlaubsabgeltung verlangen. Ergibt sich aus den Unterlagen des Verstorbenen (z.B. Lohn- oder Gehaltsabrechnung) nicht, ob noch ein Anspruch auf Urlaub bestand, so sollte ein Auskunftsanspruch geltend gemacht werden.
Eile ist dabei geboten, der Anspruch kann vertraglichen oder tariflichen Verfallsfristen
unterliegen und nach deren Ablauf nicht mehr geltend gemacht werden.
Autor und zuständig für Rückfragen:
Stefan Bell Bell , Fachanwalt für Arbeitsrecht
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