Düsseldorf – 23.01.2015 – Strafverteidiger Dr. Martin Rademacher zur Bedeutung des Motivs bei der Falschbezichtigung
J o u r n a l: Man sagt, keine Straftat ist besser über alle Bildungs- und Bevölkerungsschichten verteilt als die Sexualstraftat. Wie sieht das mit der Verteilung der Falschbezichtigungen aus?
M a r t i n R a d e m a c h e r: Das Phänomen der falschen Beschuldigung bei Sexualstraftaten zieht sich nach meiner Erfahrung genauso durch alle sozialen Schichten. Die Statistik hat mich aber eigentlich nie interessiert, weil auch ein signifikanter Anteil an Falschbezichtigungen im individuellen Strafprozess kein Argument für die Verteidigung ist.
Ich erinnere mich aber, dass es vor allem in den 90er Jahren Untersuchungen gab, die den Anteil der falschen Bezichtigungen – je nach Untersuchung – bei 5 bis 10% ermittelt haben. Mir hat neulich ein Polizeibeamter gesagt, die schätzen dort den Anteil sogar auf bis zu 50 Prozent. Diese Einschätzung scheint mir aber keine tatsächliche Grundlage zu haben und eher der Frustration darüber zu entspringen, dass die Ermittlungsbeamten bei Sexualstraftaten so oft nicht wissen, wo sie bei Belastungszeugen dran sind.
J o u r n a l: Wie können Sie die bloß vorgetäuschte Sexualstraftat von der echten, erlebnisfundierten Beschuldigung unterscheiden?
M a r t i n R a d e m a c h e r: Erst mal gar nicht. Man sieht zunächst nur Aspekte des Falles, z.B. das Anzeigeverhalten des Opfers, war es sofort nach der behaupteten Tat oder viel später, hat das Tatopfer selber die Tat angezeigt oder ein Dritter, stand das Opfer unter Drogen- oder Alkoholeinfluss, gab es medizinische Untersuchungen des Opfers, gab es Verletzungen, wo sind die Kleidungsstücke des Opfers geblieben usw..
J o u r n a l: Was kann man daraus schließen?
M a r t i n R a d e m a c h e r: Man darf nicht damit rechnen, dass man ein Kriterium findet, das eine klare Unterscheidung erlaubt. Zum Beispiel die späte Anzeige sagt für sich genommen gar nichts aus, wenn man weiß, dass bei Sexualstraftaten im Durchschnitt die Anzeige erst nach einem Monat oder später erfolgt. Verletzungen des Opfers im Genitalbereich kommen erfahrungsgemäß häufiger sogar bei vorgetäuschten Vergewaltigungen vor. Die Summe der genannten Kriterien vermittelt deshalb auch allenfalls eine Ahnung. Ein objektivierbares Ausschlusskriterium ist ganz selten.
J o u r n a l: Wonach suchen Sie dann, wenn Sie als Strafverteidiger die Falschbezichtigung identifizieren wollen?
M a r t i n R a d e m a c h e r: Für Kriminalisten ist das Motiv des Täters der Schlüssel zur Aufklärung des Falles. Bei vorgetäuschten Straftaten lautet die Schlüsselfrage: Warum sollte die Zeugin oder der Zeuge den Beschuldigten zu Unrecht anzeigen und belasten? – Auch wenn sich der Schlüssel am Anfang oft noch schwer dreht, eine überzeugende Antwort auf die Frage nach dem Falschbelastungsmotiv steht am Anfang der Verteidigung.
J o u r n a l: Was liegt auf dem Weg?
M a r t i n R a d e m a c h e r: Strafverteidigung in Sexualstrafsachen ist oft im wesentlichen eine Auseinandersetzung mit belastenden Zeugenaussagen, insbesondere mit der Aussageentstehung und der Aussagekonstanz, ihrer psychologischen Stimmigkeit und Originalität. Diese Auseinandersetzung spannt wiederum den Bogen zum Falschbelastungsmotiv.
*** Gerade hat der BGH in Strafsachen wieder die Glaubhaftigkeit einer Belastungszeugin bestätigt und den Beschluß darauf gestützt, dass : “… … … kein Motiv dafür erkennbar (ist), weshalb sich die Nebenklägerin selbst mit Pfefferspray verletzt haben sollte, um einen Überfall durch den Angeklagten vorzutäuschen” (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14).
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