Ciper & Coll., die Kanzlei für Medizinrecht, Arzthaftungsrecht, Schmerzensgeld (bundesweit) informieren:

(Mynewsdesk) Das “System der taggenauen Schmerzensgeldbemessung”:

Im Bereich des Personenschadenrechtes wird von Opferseite, Patientenstellen und Anwälten von Geschädigten immer wieder darauf hingewiesen, dass die in Deutschland zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge oftmals untersetzt sind. Dagegen hat der Berliner Universitätsprofessor Dr. Schwintowski ein Konstrukt entworfen, das die Opferrechte stärken soll:

Ausgehend von dem Grundgedanken, dass eine Rechtsschutzlücke hinsichtlich der Bemessung der Schmerzensgeldhöhen existiert und die momentan zugesprochenen Schadensummen deutlich untersetzt sind, legt er zunächst anhand der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes aus 1955 zum Schmerzensgeldanspruch aus § 253 II BGB deren Kriterien dar und weist auf die zugesprochene Doppelfunktion – der Genugtuung und des Ausgleiches – für die erlittenen Schäden hin. Er führt aus, dass die Genugtuungsfunktion in denjenigen Fällen, in denen der Ausgleich seiner Natur nach nicht möglich ist, in denen die Lebensbeeinträchtigungen zu groß, zu stark und zu elementar sind, eine neben die Ausgleichsfunktion tretende ergänzende, letztlich auf Kompensation gerichtete Funktion übernimmt der zwar kein Strafcharakter innewohnt, die aber doch eine Art “Buße” oder eben Genugtuung für zugefügte körperliche und seelische Leiden darstellt. Diese Kriterien habe der BGH zwar im Jahre 1955 genannt, aber man vermisst weitgehend deren Fortschreibung, das heißt in der Mehrzahl der Fälle würde der BGH sowohl zu den Schmerzensgeldkriterien als auch zur Höhe des Schmerzensgeldes schweigen. Das bedeutet, die Rechtspraxis suche nach objektivierenden Maßstäben für die Bemessung des Schmerzensgeldes; ein verbindlicher Katalog fehle. Die bisherige Praxis berufe sich zwar auf vergleichbare Fälle und Fallgruppen, so wie sie etwa in Schmerzensgeldsammlungen veröffentlicht werden. Diese Schmerzensgeldsammlungen seien aber durch keinerlei überprüfte oder überprüfbare Systematik gekennzeichnet. Abweichungen zwischen den Schmerzensgeldern bei ansonsten vergleichbaren Sachverhalten seien in der Praxis außerordentlich hoch – Schwankungen zwischen 20 % und mehr als 100 % seien nicht ungewöhnlich. Diese Rechtsschutzlücke will er mit dem System der taggenauen Bemessung des Schmerzensgeldes füllen.

Er führt weiter aus, der BGH habe als Maßstab für die Vergleichbarkeit von Verletzungsfolgen zwar immer auf die “Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden” abgestellt, meine damit aber eigentlich die daraus resultierende “Lebensbeeinträchtigung”. Um diese Lebensbeeinträchtigung objektivieren und messen zu können müsse man zunächst nach den Behandlungsstufen fragen, die ein Patient durchlaufen muss. Die stärkste Lebensbeeinträchtigung erfahre der Patient auf der Intensivstation, die zweitstärkste auf der Normalstation im Krankenhaus: Danach folgen Reha – Maßnahmen, danach ambulante Behandlungen zuhause und schließlich ginge es um die Frage, ob der Patient durch den Unfall eine dauerhafte Lebensbeeinträchtigung davonträgt.

Im Ergebnis teilt Prof. Schwintowski die konkreten Schadenfälle in drei Stufen auf und kommt auf Stufe eins zunächst zu klaren Feststellungen der prozentualen Höhe der Tagessätze. Ausgehend von der Lebensbeeinträchtigung, die die verschiedenen Behandlungsstufen bestimmen, schlägt er vor:

– Intensivstation: 15 % täglich des monatlichen Durchschnittseinkommens
– Normalstation: 10 % täglich des monatlichen Durchschnittseinkommens
– Rehabilitation: 9 % täglich des monatlichen Durchschnittseinkommens
– Ambulant : 8 % täglich des monatlichen Durchschnittseinkommens
– Dauerschaden 7 % täglich (bei 100 % GdS) des monatlichen
Durchschnittseinkommens – bei weniger als 100 %
entsprechend reduziert.

Realistisch werden diese Prozentsätze durch die Verbindung mit dem monatlichen Durchschnittseinkommen der Bundesbürger, das im Jahre 2011 2.670,16 Euro betrug. Danach beträgt das Schmerzensgeld für einen Tag auf der Intensivstation ca. 400,- Euro, für den Tag auf der Normalstation sind es ca. 267,- Euro, für die Rehabilitation ca. 240,- Euro und für einen Tag ambulant zuhause ca. 213,- Euro, während eine Person, die einen 100 % Dauerschaden erleidet, pro Tag einen Betrag von ca. 187,- Euro an Schmerzensgeld erhält.

In einer zweiten Stufe sollen individuelle Zu- und Abschläge ermöglicht werden, je nach Gestaltung der Schwere des Falles. Die sich aus dem besonderen Verschuldensgrad, aus den beiderseitigen Vermögensverhältnissen und aus anderen Faktoren ergeben, die den Einzelfall prägen (§287 ZPO).

Die dritte Stufe soll der Präventionsfunktion des Haftungsrechtes Rechnung tragen, damit sich über die Höhe des Schmerzensgeldes letztlich doch das Verhalten derjenigen, die schwere Schäden angerichtet haben, ändert. Verwiesen wird auf Studien, die den Geldbetrag zu ermitteln versuchen, den die Mitglieder einer Risikogruppe aufzuwenden bereit sind, um das Risiko zu vermindern. Danach ergibt sich für das Risiko eines tödlichen Unfalles ein Betrag, der zwischen 1 – 2 Millionen Euro als Wert der Todesverhütung schwankt, für schwere körperliche Verletzungen, z.B. obere Querschnittslähmung wird ein Schmerzensgeld von etwa 1,5 Mio. Euro unter Abschreckungsgesichtspunkten angemessen sein. Momentan bewegen sich die zugesprochenen Beträge bei rund einem Zehntel dieser Summe.

Sodann geht Prof. Schwintowski noch auf Einzelfälle ein, wie u.a. die eine taggenaue Bemessung des Zinsschadens und zeigt auf, dass das System der taggenauen Bemessung des Schmerzensgeldes weder die Versicherungsgesellschaften noch die Versichertengemeinschaft überfordern würde, da die aus dem System resultierenden Lasten wirtschaftlich angemessen auf alle Schultern verteilt werden könnten.

Die Anregung zur taggenauen Schmerzensgeldbemessung stellt sich für den Rechtspraktiker als ein gelungener Versuch dar, die momentan bestehende Rechtsschutzlücke zur Höhe des Schmerzensgeldes und der momentan völlig untersetzten zugesprochenen Schadensummen zu füllen. Es lässt sich darüber streiten, ob man tatsächlich die Behandlungsstufen Intensivstation, Normalstation, Reha – Maßnahmen und ambulante Behandlung zuhause zum Maßstab nimmt. Subjektiv empfindet sicher jeder Geschädigte die jeweilige Behandlungsstufe, in der er sich befindet, anders. Aber es kommt für die Rechtspraxis notwendigerweise auf objektivierende Orientierungsmaßstäbe an. Dazu bietet das System Ansätze, die nicht einmal einer gesetzgeberischen Intervention bedürfen, zumal sie de lege lata bereits durch die bestehende Gesetzeslage eins zu eins umsetzbar wären.

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Ciper & Coll. – Rechtsanwälte
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